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Ein Leben zwischen Psychiatrie, Anerkennung, Exzessen und dem Schreiben. Das bewegte Leben des grossen Schriftstellers!

Von Wal­ter Rohrbach — Ausser­halb der gesellschaftlichen Nor­men, des bürg­er­lichen Lebens schrieb der Mann mit der aussergewöhn­lichen Biogra­phie seine Krim­i­nal­ro­mane, die später Schweiz­er Lit­er­aturgeschichte schreiben soll­ten. Dass Innen­leben des Friedrich Glauser, dessen Biogra­phie selb­st sich wie ein Krim­i­nal­ro­man liest, wird nun in einem neuen Doku­men­tarfilm durch­leuchtet. Schon fast ein «Muss», über diesen Mann einen Film zu drehen, so scheint es. Glauser stirbt einen Tag vor sein­er Hochzeit. Frem­den­le­gion, Irre­nanstalt, Verzwei­flung und Dro­gen­sucht sind Sta­tio­nen eines bewe­gen­den Werde­ganges: «Ich werde von denen, die ein ger­ades Leben geführt haben ver­achtet, aber es gibt solche und solche Wege. Und ich glaube, ich habe stets das Pas­sagen­geld bezahlt», wird Glauser später sin­nieren. Ein Leben zwis­chen Psy­chi­a­trie, Anerken­nung, Exzessen und dem Schreiben. Er, Wel­tenbumm­ler, Getrieben­er und Aussen­seit­er, schreibt in seinen let­zten drei Leben­s­jahren fünf sein­er bekan­nten Romane, und bleibt in Erin­nerung als bekan­ntester Schweiz­er Krim­i­au­tor sein­er Zeit.

Geboren 1896 in Wien als Sohn eines Schweiz­er Lehrers (Charles Pierre Glauser) und ein­er gebür­ti­gen Öster­re­icherin (There­sia Glauser), weist das Leben von Friedrich Glauser schon sehr früh schmer­zliche Brüche auf. Als er vier Jahre alt ist stirbt seine Mut­ter, ein Schick­salss­chlag, an dem Friedrich noch lange lei­den wird. Eben­so früh zeigen sich schulis­che Prob­leme – beispiel­sweise als er die dritte Klasse des Gym­na­si­ums wieder­holen muss. Der Vater heiratet erneut, schei­det, und heiratet ein drittes Mal. Nun übern­immt die Gross­mut­ter die Erziehung des Jun­gen. Dies ohne Erfolg, denn Friedrich bren­nt nach Ungarn durch. Als Reak­tion erfol­gt die Ein­quartierung in ein Erziehung­sheim. Auch dies ohne die erhoffte Wirkung: Der impul­sive Glauser ver­set­zt einem Latein­lehrer einen Hieb. Der Super­gau in der dama­li­gen Zeit des hier­ar­chis­chen Schul­sys­tems, denn wir schreiben das Jahr 1910, und Kuschelpäd­a­gogik gibt es damals höch­stens in der The­o­rieform. Wie eine grosse Mis­ser­fol­gs­geschichte liest sich bis dahin die Biogra­phie dieses jun­gen Mannes, der, getrieben von inner­er Unruhe, seinen Weg nicht zu find­en schien. Doch gab es auch Licht­blicke und Bestre­bun­gen, der Tragik zu entkom­men. Friedrich ging frei­willig nach Zürich, um am Min­er­va-Insti­tut auf dem zweit­en Bil­dungsweg seine Matu­ra zu absolvieren. Eben­so fol­gten Nieder­la­gen und Exzesse: Nach nur einem Semes­ter Abbruch des Chemies­tudi­ums, dafür aber Dada. 1917 lernt Glauser Kün­stler der Dada Bewe­gung ken­nen, und verkehrt in diesen Kreisen. Zudem begin­nt bei Glauser ca. um diese Zeit – seinem 21. Leben­s­jahr – die Mor­phi­um­sucht, die ihn von nun an ständig begleit­en und einen zen­tralen Platz in seinem Leben ein­nehmen wird. Sie zwingt Glauser eine vom Wech­sel zwis­chen Internierung und Frei­heit geprägte Lebens­führung auf. Ein bürg­er­lich­es Leben scheint für Glauser nicht erre­ich­bar. Mit grossem Erfind­ungsre­ich­tum beschafft er sich jew­eils sein Mor­phi­um, und ver­mag sein Umfeld geschickt zu täuschen.

Schön passt da die Äusserung von Pedro Lenz anlässlich eines Radioin­t­er­views (DRS) zum 70. Todestag von Glauser: «Ich habe in mein­er Jugend in Lan­gen­thal wo ich herkomme viele Junkies gekan­nt. Glauser war der grösste von ihnen, und ich habe alle seine Briefe gele­sen. Man liest diese Briefe und meint, man sitzt heute in einem Restau­rant einem Junkie gegenüber. Es geht immer um Geld, er muss immer Geschicht­en erfind­en weil er kein Geld hat. Aber er ist grossar­tig».

Auch mit den Frauen ergeben sich Prob­leme: Als Glauser 1919 aus der psy­chi­a­trischen Klinik entwe­icht und Zuflucht in ein­er Kün­st­lerge­mein­schaft in Ascona find­et, lernt er Elis­a­beth von Ruck­teschell ken­nen, seine erste grosse Liebe. Glauser ver­fällt dieser zehn Jahre älteren Stoff- und Tex­tilgestal­terin, umwirbt sie stür­misch, und schreibt Zeilen wie: «Man kann sehr schön mit Dir schweigen» (Brief an Elis­a­beth von Ruck­teschell). Die bei­den leben einige Monate zusam­men, doch fällt Glauser wieder in seine Sucht zurück und wird interniert, flieht mit Liso nach Baden, wo nach einiger Zeit die Beziehung zer­bricht. Liso heiratet Hals über Kopf den Schrift­steller Bruno Goetz, einen gemein­samen Fre­und der bei­den. Aus dieser Zeit stam­men Briefe, welche Glausers Stim­mungslage zwis­chen Glück­seligkeit und Verzwei­flung ein­drucksvoll doku­men­tieren.

Im Alter von 24 Jahren wird Friedrich Glauser ent­mündigt – wegen seines «lieder­lichen und auss­chweifend­en Lebenswan­dels», so die Begrün­dung. Auf­grund seines Dro­genkon­sums, dem Konku­bi­nat und sein­er Geld­schulden ist er aus Sicht der Behör­den nicht fähig, ein selb­st­bes­timmtes Leben zu führen. Glauser galt lange als nicht sozial­isier­bar. Ein hartes Urteil für einen 24 Jähri­gen. Und tat­säch­lich scheit­erte Glauser immer wieder und ver­brachte fast sein ganzes Leben lang unter Vor­mund­schaft – teils gerecht­fer­tigt, teils der Willkür der dama­li­gen Behör­den völ­lig aus­geliefert. Während seinen 42 Leben­s­jahren war Glauser ger­ade mal zehn Monate mündig. Nicht viel für ein der­art reich­es Leben. Eine ungewöhn­liche Biogra­phie zeich­net sich ab: 1921 flieht Glauser zu seinem Vater nach Mannheim, dieser rät und ver­mit­telt ihm die Auf­nahme in die Frem­den­le­gion. Weit­ere Sta­tio­nen sind Teller­wäsch­er in Paris, Grube­nar­beit­er in Bel­gien, und dazwis­chen immer wieder Exzesse mit nach­fol­gen­der Internierung. Glauser ver­brachte ins­ge­samt neun Jahre seines Lebens in Gefäng­nis­sen oder psy­chi­a­trischen Anstal­ten.

Doch was sich wie ein Irrweg liest, führt Glauser – tragis­cher­weise, möchte man sagen – zum lit­er­arischen Erfolg. Sein ausseror­dentlich­er Lebensweg, seine Exzesse und Gren­züber­tritte bracht­en ihn an die ungewöhn­lich­sten Orte und in Sit­u­a­tio­nen, die er zu beobacht­en und mit ein­er Präzi­sion niederzuschreiben ver­mochte, die bis heute beein­druckt. Wie kön­nte ein Schrift­steller eine Irre­nanstalt mit so gross­er Sorgfalt beschreiben, wenn er die Sit­u­a­tio­nen und Abgründe nicht selb­st miter­lebt hätte? Der Krim­i­nal­ro­man «Mat­to regiert» gilt bis heute als eine der tre­f­fend­sten Beschrei­bun­gen der «Irre­nanstal­ten» der dama­li­gen Zeit. Eben­so der Legion­sro­man «Goura­ma», der auf eige­nen Erfahrun­gen während sein­er Zeit als Frem­den­le­gionär in Nordafri­ka beruht. Zudem war Glauser in seinen let­zten drei Leben­s­jahren enorm Pro­duk­tiv. In dieser Zeit schrieb der ent­mündigte Autor fünf Krim­i­nal­ro­mane, daneben eine Vielzahl von Briefen. Wohl mit ein Ver­di­enst sein­er dama­li­gen Lebenspart­ner­in Berthe Ben­del, ein­er Psy­chi­a­triekranken­schwest­er, die Glauser in Münsin­gen ken­nen und lieben gel­ernt hat­te. Diese gab ihm einen gewis­sen Rück­halt und Sicher­heit. Glauser wird diese Zeit als die glück­lich­ste seines Lebens beze­ich­nen. Damals ent­standen die bekan­nten Romane um die Fig­ur des bär­beis­si­gen Kom­misärs Stud­er. Eine Fig­ur, die bald schon berühmter sein wird als ihr Schöpfer: Wacht­meis­ter Stud­er wurde zum Begriff, Friedrich Glauser nicht unbe­d­ingt. Auch auf­grund der vor­wiegend in den 40er Jahren gedreht­en Filme mit Hein­rich Gretler als Stud­er, und in den 70er und 80er Jahren ent­stande­nen Ver­fil­mungen, sind die Krim­is bis heute in (hel­vetis­ch­er) Erin­nerung geblieben, ja, gel­ten gar als «urschweiz­erisch». Dieser behäbige, alternde Komis­sar, schnur­rbär­tig, stetig mit ein­er andächtig ger­aucht­en Bris­sa­go im Mund, eine sym­pa­this­che Erschei­n­ung mit viel Mit­ge­fühl für seine Mit­men­schen, löst seine Fälle unkon­ven­tionell, mit Bauchge­fühl, oft auch mith­il­fe des Zufalls. Ein Komis­sar des Typus, wie ihn auch andere Krim­i­nalau­toren entwick­eln wer­den: beispiel­sweise Dür­ren­matt mit Kom­mis­ar Bär­lach, oder Schnei­der mit dem Krim­i­nalkomis­sär Hun­kel­er. Fig­uren mit Brüchen und Kan­ten, die ver­let­zlich sind – keine wirk­lichen Sieger. Viele, die sich mit Glauser beschäfti­gen, sind aber auch beein­druckt von seinen Briefen, die seine Lebenswelt zur Gel­tung brin­gen. Sie bergen Absur­des, Wahnsin­niges und Geniales, aber auch Berühren­des: «Man kann mitunter scheus­slich ein­sam sein. Dann nützt es nichts, mit sich nach Hause zu fliehen. Und falls man Schnaps zu Haus hat, Schnaps zu nehmen. Dann nützt es nichts, sich vor sich selb­st zu schä­men. Dann weiss man, was man sein möchte, klein zu sein…».


 

Friedrich Charles Glauser
Geboren am 4. Feb­ru­ar 1896 in Wien; Gestor­ben am 8. Dezem­ber 1938 in Nervi bei Gen­ua
Schweiz­er Schrift­steller. Er gilt als ein­er der ersten deutschsprachi­gen Krim­i­au­toren.

Krim­i­nal­ro­mane
1936 Wacht­meis­ter Stud­er, Mor­garten-Ver­lag;
1936 Mat­to regiert, Jean-Christophe-Ver­lag;
1938 Die Fieberkurve, als: Wacht­meis­ter Stud­ers neuer Fall, Mor­garten-Ver­lag;
1939 Der Chi­nese, als: Wacht­meis­ter Stud­ers drit­ter Fall, Mor­garten-Ver­lag;
1941 Die Speiche/Krock & Co., als: Wacht­meis­ter Stud­ers viert­er Fall, Mor­garten-Ver­lag;
1941 Der Tee der drei alten Damen, Mor­garten-Ver­lag


Dokumentarfilm über Friedrich Glauser

In seinem 75-minüti­gen Doku­men­tarfilm porträtiert der Regis­seur Christoph Kühn das Innen­leben des Schweiz­er Schrift­stellers. In «Glauser – Das bewegte Leben des grossen Schrift­stellers» wird haupt­säch­lich auf die let­zten Jahre von Glausers Leben fokussiert. Wer auf eine lit­er­arische Erläuterung und Einord­nung des Schaf­fens des Schrift­stellers hofft, hofft vergebens. Die The­men des Filmes sind andere, und nicht weniger inter­es­sante. Ein­drück­lich, mit welchen Worten die Zuschauer zu Anfang des Films von Glauser (gesprochen von Hel­mut Vogel) in Emp­fang genom­men wer­den: «Ich komme vom Grü­beln und Selb­stvor­wür­fen sel­ten los. Vielle­icht bin ich ver­rückt. Die Nächte hier sind aber auch so lang. Man hat Zeit, Bilanz und wieder Bilanz zu machen». Eben­so das zweite Zitat Glausers zeigt deut­lich, auf welche Schw­er­punk­te der Doku­men­tarfilm set­zen wird: «Erin­nerun­gen sind wie schillernde Blasen, wach­sen, wach­sen, wollen nicht zer­platzen. Man hat ver­sucht, sie loszuw­er­den. Man lag auf einem Ruhe­bett. Zu Häupten sass ein Mann, den man nicht sah, man musste erzählen … assozi­ieren nen­nt man diese quälende Beschäf­ti­gung». Wir sind in Münsin­gen, in der Irre­nanstalt, Glauser ist in seinem Zim­mer und erzählt von seinen Gedanken, gibt sein Inner­stes preis. Ihn selb­st sieht man nicht, vielmehr dun­kle Bilder der Irre­nanstalt, von Gän­gen und Räu­men erzählen die Bilder, ab und zu eine offene Tür, welche die Schat­ten bricht. Dazu Zitate von Glauser: Inter­views, nachgestellte Szenen, und schwarzweisse Bilder machen den Film zu ein­er vielschichti­gen Col­lage. Ger­ade die dun­klen Graphiken von Hannes Binder bee­in­flussen die Atmo­sphäre der Doku­men­ta­tion nach­haltig. Nadel-Kratz-Tech­nik heisst die ange­wandte Meth­ode der Darstel­lun­gen, und man spürt, dass diese sehr gut zur Bebilderung von Friedrich Glausers Lebenswelt dienen kön­nen. Aus einem schwarzen Hin­ter­grund wer­den die weis­sen Kon­turen freigekratzt, wobei das Dun­kle einen grossen Stel­len­wert behält und eine Grund­me­lan­cholie sym­bol­isiert, die Glauser ein Leben lang begleit­ete. Der frühe Tod der Mut­ter und die fehlende Akzep­tanz des Vaters hin­ter­liessen Wun­den, die Friedrich nie mehr ganz abstreifen kon­nte und ihn immer wieder ein­holen soll­ten. Ger­ade diesen Aspekt ver­mag der Film ein­drucksvoll darzustellen, und Christoph Kühn zeigt eine bekan­nte Lebenser­fahrung auf, die auch auf Glauser zutrifft: Die Ver­gan­gen­heit und die Wun­den früher­er Erfahrun­gen holen uns immer wieder ein und bee­in­flussen die Wahrnehmung des Aktuellen – ger­ade beim Schrift­steller und Lebe­mann Glauser beson­ders inten­siv. Immer flüch­t­end, immer getrieben, find­et er nur sel­ten Ruhe in seinem rast­losen, kurzen Leben. Für alle, die einen «anderen», intimeren Glauser ken­nen ler­nen wollen eignet sich dieser Film aus­geze­ich­net. Eben­so als Ein­stieg, um in die Welt des Friedrich Glauser einzu­tauchen, in welch­er es viel zu ent­deck­en gibt. Ein dun­kler Film also, dessen ungeachtet abso­lut sehenswert. Zum Schluss noch dieses: «Wis­sen Sie was ihnen dro­ht, wenn sie nicht mit­gack­ern in diesem Hüh­n­er­hof? Das Irren­haus, mein Herr.» (Zitat Friedrich Glauser).

Glauser «Das bewegte Leben des
grossen Schrift­stellers»
Ein Film von Christoph Kühn
Mit Friedrich Glauser, Berthe Ben­del, Max Müller
CH 2011, 75 Min.

 

Foto: zVg.
ensuite, Feb­ru­ar 2012

 

Artikel online veröffentlicht: 15. März 2019