Von François Lilienfeld — Max Brod (1884–1968) war einer der bedeutendsten Vertreter des literarischen Prag, das damals noch stark von deutscher und jüdischer Kultur geprägt war; der tschechische Nationalismus war eine junge Erscheinung, die aber das Bild der Stadt bald mitgestalten sollte. Auch auf dem Gebiet der Musik leistete Brod Hervorragendes.
Er war ein Jude deutscher Muttersprache, interessierte sich aber für alle drei Kulturen, was in seinen Schriften oft sehr deutlich zum Ausdruck kommt. Dass der Wallstein Verlag, in Göttingen beheimatet, in einer sehr sorgfältig gestalteten Auswahl-Edition Brods literarische Werke wieder herausbringt, ist eine verdienstvolle und längst fällige Aktion; denn Brods Name ist heute, wenn überhaupt, nur noch wegen seiner Bemühungen um das Werk seines Freundes Franz Kafka bekannt. In der Zwischenkriegszeit jedoch gehörte er zu den meist gelesenen deutschsprachigen Autoren.
Über seinen packenden Liebesroman «Die Frau nach der man sich sehnt» haben wir schon berichtet (Ensuite online Nov. 2013). Der Autor, ein Meister der zarten Erotik, erzählt darin die spannende und recht ungewöhnliche Geschichte einer Femme fatale zwischen zwei Männern. Brods Faszination mit Begegnungen, Gesprächen und intimen Beziehungen zwischen den Geschlechtern, aber auch mit den verschiedenen Möglichkeiten der zur Verliebtheit führenden Begegnungen, ist jedoch viel älter als dieses 1927 erschienene Buch.
Schon 1909 hatte er «Das tschechische Dienstmädchen», einen «kleinen Roman», veröffentlicht, der von der obsessiven Liebe eines jungen Mannes – Wilhelm Schurhaft, der Ich-Erzähler – zu Pepi Vlková erzählt. Willhelm ist Wiener, von seinem Vater zur Lehre in die Moldau-Stadt geschickt. Durch seine Liebe zu Pepi wird er nicht nur aus seiner Indifferenz (ein immer wiederkehrendes Motiv bei Brod!) geweckt, sondern erkennt auch die kulturelle Situation in seinem neuen Milieu:
«Dann liegen wir ruhig da, dicht beieinander, ineinander, ich fühle tief atmend nicht mehr die Grenzen meiner Körperlichkeit, nein, mein Blutkreislauf hat einen Weg in den ihren gefunden, mein Blut kreist in ihren Adern weiter und liebes fremdes Blut hat sich in meinen Gefäßen eingefunden. Wir sind einig, wir sind glücklich.
Und nun erfasst mich ein grenzenloses Wohlwollen gegen das liebe, schöne Mädchen neben mir;…
Ich verstehe die Tschechen, diese Nation von vielen Talenten und Schönheiten. Wie blind war ich die ersten Tage über in Prag, daß ich die jungen Ströme fremdartigen Lebens um mich gar nicht bemerkt habe, nicht den einzigartigen Reiz dieser Stadt, der in der Zweisprachigkeit besteht, in abwechselnd deutsch und tschechisch geführten Gesprächen voll Unregelmäßigkeit und unerhörten Nuancen…»
Die dritte Prager Kultur, die jüdische, hat in Brods Werken oft ihren Niederschlag gefunden, so zum Beispiel im ebenfalls aus dem Jahre 1909 stammenden Roman «Jüdinnen». Er spielt im Badeort Teplitz, einer Sommerfrische, in der die jungen Leute sich erholen und vor allem amüsieren, die Eltern jedoch hauptsächlich auf Heiratsvermittlung für ihre erwachsen gewordenen Sprösslinge aus sind. Brod zeichnet seine Hauptpersonen nicht in erster Linie als Juden, sondern als Vertreter einer bestimmten sozialen Schicht, auch wenn das Judentum immer wieder zur Sprache kommt. Im Mittelpunkt steht der Gymnasiast Hugo, der von der intelligenten, bezaubernden, aber auch bis zur Grausamkeit launischen Irene gebannt und gequält wird. Ein typischer Entwicklungsroman, dessen Hauptinteresse in den immer wieder von philosophischer Tiefe geprägten Gesprächen des Paares liegen.
«Arnold Beer – Das Schicksal eines Juden» (1912) beschreibt einen begabten jungen Mann, der sich vor lauter Talenten immer mehr verzettelt, vieles anfängt und nicht zu Ende führt, und schließlich durch die Begegnung mit seiner Großmutter die Eitelkeit und Ziellosigkeit seines Tuns erkennt. Die alte Dame spricht ein bezauberndes Gemisch zwischen schlesischem Dialekt und jiddisch, was der Szene eine reizvolle Farbigkeit verleiht. Durch die Erzählungen von Hugos Mutter erfährt man aber auch, dass sie eine grausame, tyrannische Erzieherin war. Was Hugo besonders fasziniert, ist das Festhalten der Großmutter an einer strengen, jüdischen Orthodoxie. Dass ausgerechnet diese zwar faszinierende, aber doch recht unsympathische Frau den jungen Mann zu seiner Katharsis führen soll, ist nicht ganz einfach nachzuempfinden. Trotzdem findet sich auch in diesem Roman sehr viel Lesenswertes, Kurioses, was durch den oft eigenwilligen, wohl aus dem Prager Dialekt stammenden Sprachgebrauch Brods noch erhöht wird.
Wer mehr über Brods Persönlichkeit erfahren will, sollte unbedingt seine Autobiographie «Streitbares Leben» lesen; sie ist zur Zeit allerdings nur antiquarisch zu finden.
Max Brod:
• Die Frau nach der man sich sehnt
• Jüdinnen und andere Erzählungen
• Arnold Beer – Das Schicksal eines Juden; Ein tschechisches Dienstmädchen und andere Erzählungen
(Alle im Wallstein Verlag, Göttingen)
Foto: zVg.
ensuite, April 2014