Von Adrian Dürrwang - Das «Right-Handed Koons Bunny» wirkt angeschlagen, matt-grau, dreckig und löchrig – als hätte es die Folgen seiner Weltkarriere als umjubelter Ballonhase nicht gut verkraftet, so steht es im verglasten Eingangsbereich des Kunstmuseums Olten. Selbstverständlich stammt dieser heruntergekommene Hase nicht von Koons, sondern von Jason Rhoades, der dessen glänzende Perfektion ironisiert: Die schäbige Skulptur bildet den Auftakt zur Ausstellung «Und Hasen, Hasen schneit es fort, Millionen jede Stund’», die nicht niedliche, sondern ein ganzes Panoptikum durchtriebener oder gar mordlustiger Exemplare versammelt. Hans Peter Litscher (*1955) wurde eingeladen, im Format des «Disteli-Dialogs» aus einer zeitgenössischen Perspektive auf Martin Disteli (1802–1844), diesen bekannten politischen Zeichner und Karikaturisten, zu reagieren, und versammelt dazu all diese Hasen …
Hans Peter Litscher, grossgewachsen, schwarzer Mantel, weisses langes Haar mit neckischem, felligem Ohrwärmer als Accessoire um den Hals, gibt an, von den blutrünstigen Hasen Distelis in seiner Kindheit traumatisiert worden zu sein! Die grandiose Lithografie «Der tolle Jäger» von 1838 zeigt eine Hasenmeute, die einen fliehenden Jäger zu Fall bringt, um ihren toten Artgenossen zu rächen. Ein politische Darstellung, die auf die Forderung nach demokratischen Rechten von Disteli im 19. Jahrhundert anspielt. Aus diesem Blatt nimmt Litscher den widerständigen Hasen als Leitmotiv heraus und spürt dessen Auftreten im Schaffen unzähliger Kunstschaffender ab 1968 nach. Neben dem bekannten Hasen-verrückten Joseph Beuys finden sich die Langohren etwa auch bei Meret Oppenheim oder Paul Thek.
Der Auftritt dieses «Innerschweizer Weltbürgers, Künstlers, Kurators, Autors, Theatermachers, Filmers und Performers Hans Peter Litscher», wie ihn der Ausstellungstext vorstellt, nimmt den Autor anlässlich seines Besuchs vom ersten Moment an gefangen. Auf der Führung, einer Entdeckungstour, toppt jede Erzählung die vorangegangene Anekdote … Solche verweben sich mit den unzähligen Gegenständen, oft aus Litschers eigener Sammlung, von Werken Dieter Roths bis zum Nippes-Hasen, zu einem komplexen Geflecht von Bezügen. Litscher hatte, als Jean-Christoph Amann das Kunstmuseum Luzern leitete, 1971 seine Künstlerkarriere gar mit einer Hasen-Installation begonnen und kennt und kannte viele der gezeigten Kunstschaffenden persönlich.
Im Erdgeschoss dominiert – in einer Art abgedunkelter Jagdkammer – der unheimliche überlebensgrosse Hasenkopf auf Leinwand des chinesischen Künstlers Shao Fan. Regelmässig ertönt auf dem alten Flügel in der Mitte des Zimmers wie von Geisterhand das Jagdsignal «Hase tot». Historische Bücher und Grafiken schlagen einen Bogen von der Vergangenheit zum kleinen, eigens für die Ausstellung entstandenen Blatt von Annette Messager, wo die Hasen mit Flinten auf die Jäger zielen.
Gleicht die Jagdkammer noch einem wohlgeordneten historischen Interieur, wird das zweite Obergeschoss von einer Materialfülle dominiert, die an eine zwielichtige Wunderkammer mit kabakovschem Charme erinnert. Wobei der zum Teil unglaubliche Hintergrund der Objekte erst durch den erzählenden Litscher lebendig wird: So stamme ein Hase unter einer Käseglocke aus dem Film «Psycho», und er habe diesen aus seiner Pariser Zeit, während der er in der Cinémathèque gearbeitet habe. Er sei ihm erst im Werk von Douglas Gordon, «24 Hour Psycho», aufgefallen, der diesen Film entsprechend verlangsamt hat. Oder dann die erste Begegnung mit Basquiat in der Garage des Galeristen Bruno Bischofberger in St. Moritz. Der Amerikaner habe nackt, umgeben von einem Teller Koks und leeren Champagnerflaschen, manisch mit einer Xerox-Maschine gearbeitet. Im Atelier in New York habe später seine Tochter, so Litscher, gar mit einer Zeichnung aus «Alice in Wonderland» dem ideenlosen Basquiat eine Vorlage für ein Gemälde gezeichnet. Diese Vorlage für ein Hasengemälde, das in der Ausstellung in einem Katalog abgebildet ist, sei leider im Nachlass verschollen, weshalb der Sohn seiner Tochter nun diese Vorlage nachgezeichnet habe, meint Litscher … Dem geneigten Leser, der geneigten Leserin mag auffallen, dass viel im Konjunktiv steht, wobei dieser nicht nur der indirekten Rede geschuldet ist … Der Status der Erzählungen ist oft nicht klar … Zugleich hat sich der Autor die Warnung Litschers sehr wohl zu Herzen genommen, dass, wie unglaublich manches auch klingen mag, sich eben dieses meist als Faktum erweise!
So faszinierend ein solch zweistündiger Rundgang ist, so sehr lebt dieser vom Schöpfer. Der Ausstellungsbeschrieb im Plakatformat birgt eine gigantische Objektliste. Nur mit dem Saalblatt kann man zwar die Räume durchstöbern und sich seine eigenen Geschichten ausmalen, dieser spezielle Sog entwickelt sich jedoch weit weniger. Eine Führung ist sehr zu empfehlen!
Ebenso ist die zweite Ausstellung sehr zu empfehlen, zu der die Grafik von Disteli eine Verbindung schafft: In der Präsentation «Rendezvous. Kostbarkeiten aus den Sammlungen der Stiftung für Kunst des 19. Jahrhunderts und des Kunstmuseums» ist der politischen Karikatur ein grosser Raum gewidmet. Hier kommt Disteli als Grafiker, in den weiteren thematischen Räumen aber auch als Zeichner zu Ehren. Viele bekannte Namen, wie beispielsweise der weitgereiste Landschaftsmaler Jakob Christoph Miville oder die eher als Stifterin in Basel bekannte Emilie Linder, mit ihren innerlichen, religiösen Motiven, sind ebenso vertreten. Die Kuratorin Katja Herlach nutzt die Gelegenheit geschickt, Gemälde und Zeichnungen klug mit Grafiken und Büchern zu ergänzen, indem sie in Vitrinen neben den gezeigten «Landschaften» auch auf die Neuerungen der Kartografie oder auf Zeichentechniken und Skizzenbücher eingeht. Was so gelingt, ist ein Einblick in eine, wie im Ausstellungstext ausgedrückt, im kollektiven Gedächtnis wenig verankerte, bewegte Zeit der Schweizer Geschichte: die Jahre 1789 bis 1848, wo der Hase von Disteli nicht nur Widerständler, sondern noch ein politischer Revolutionär war!