Von Guy Huracek — Die wertvollen Körpersäfte müssen erhalten werden, weshalb auch ein Atomkrieg gegen die Sowjetunion geführt werden muss. Diese verrückte Behauptung ist für den US-Air-Force-General Jack D. Ripper Grund genug, den ihm unterstellten B‑52 Bombern den Angriffsbefehl auf Russland zu erteilen.
Der raffinierte Plan des Generals wird vom amtierenden Präsidenten Muffley vereitelt. Er arbeitet mit den Russen an einer Strategie, die Flugzeuge abzuschiessen. Doch das ganze hat einen Hacken. Wenn nur eine Atombombe der US-Flieger einschlägt, aktiviert sich automatisch die «Weltvernichtungsmaschine». Ein von der UdSSR entwickeltes Abschreckungssystem, das jegliches Leben auf der Erde vernichtet. Der Bomber «The Leper Colony» (dt. «Die Leprakolonie») wird weder abgeschossen noch erreicht ihn aufgrund seines beschädigten Funkgeräts der Rückkehrbefehl. Seine Besatzung führt daher letztlich den befohlenen Angriff aus. Kurz vor dem Abwurf klemmt die Bombe. Der Pilot, Major Kong, setzt sich mit seinem Cowboy-Hut auf die Atomrakete und bringt sie so durch sein Gewicht zu Fall. Jubelnd und lachend, mit seinem Hut winkend, als würde er Rodeo spielen, stürzt er mit der Atombombe, auf der «Hi there» steht, in den Tod. Das fatale Abwehrsystem der Roten Armee kommt ins Rollen und die Welt erstickt in einem atomaren Todesmantel. Begleitet werden die unzähligen Explosionen im Film mit der sanften Stimme von Vera Lynn mit ihrem optimistischen, sentimentalen Lied aus dem Zweiten Weltkrieg, «We will meet again».
«Wie ich lernte, die Bombe zu lieben» ist der elfte Film von Stanley Kubrick und erschien in den 60er-Jahren. Kubrick war dafür berühmt und berüchtigt, jede Szene so oft zu wiederholen, bis sie seiner Meinung nach makellos war. Als berühmtes Beispiel gilt eine Szene aus seinem Film «Shining», in der Shelley Duvall einen Stapel von über dreihundert Blatt Papier findet, auf denen immer wieder derselbe Satz (All work and no play makes Jack a dull boy) steht. Kubrick weigerte sich, für die einzelnen Seiten Kopien zu verwenden, selbst bei jenen Seiten, die man gar nicht genau sehen konnte. Dieser Perfektionismus spiegelt sich auch in diesem Film wieder.
Eine geeignete Vorlage für seinen Film fand Kubrick in dem Roman «Red Alert» von Peter George. Es ging darin um einen beinahe ausgelösten Atomkrieg, der in letzter Minute verhindert werden konnte. Ein Thema, dass während der Kuba-Krise in der Luft lag.
Kubrick gestaltet hier wieder eines seiner Lieblingsthemen: Der Mensch entwickelt eine Maschine, die nach den Regeln reiner Logik funktioniert und der er wesentliche Entscheidungsfähigkeiten überträgt. Der Grund dieser Übertragung ist es, menschliches Versagen auszuschließen. Ähnlich ist es beim Film «2001: Odyssee im Weltraum», der fünf Jahre später erscheint. Die Maschine ist perfekt und der Mensch nicht. Doch die Logik der Maschine wendet sich gegen ihren Schöpfer und schlägt um in puren Wahnsinn.
Der Film ist schwarz-weiss gedreht und beschränkt sich nur auf vier Handlungsorte: Die Bomberbasis mit dem Büro des verrückten Generals, das Innere des Bombers, das Zuhause des General «Buck» Turgidson und schließlich der unterirdische Bunker im Pentagon, in dem der Präsident mit dem Krisenstab tagt.
Sexuelle Anspielungen und Motive schmücken den Film. Über zahlreiche Phallussymbole bis zu den Namen der Hauptfiguren, die nahezu alle sexuelle Konnotationen haben. Neben dem General Jack D. Ripper, der auf einen Lustmörder deutet und Mandrake, dessen Name die Verballhornung eines Aphrodisiakums ist, über Buck Turgidson, den geschwollenen Bock und Merkin Muffley, in dessen Name die weibliche Schambehaarung verborgen ist, bis hin zu Dr. Strangelove, dessen Liebe zu Bomben seltsam ist.
Der Pilot des verhängnisvollen Bombers, Major «King» Kong, liest in einer Szene den Playboy. Als die Crew des Bombers ihre Überlebenspäckchen öffnen, finden sie neben einer Minibibel Nylons, Kondome und Kaugummis. Überall Sexualität. Doch ist offensichtlich, dass es nur um männliche Sexualität geht und dass die verhängnisvollen Entscheidungen aus gestörter Sexualität entspringen. Nur in einer Szene ist für kurze Zeit eine Frau zu sehen. Es ist die Geliebte von General Turgidson.
In anderen Antikriegsfilmen von Kubrick findet man eine ähnliche Konstellation. Dass die Absurditäten der Männerwelt des Militärs mit gestörter Sexualität verwischen, sieht man auch in «Full Metal Jacket».
«Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben» ist ein bissig zynischer Antikriegsfilm, der Kriegsgräuel in perversen und absurden Formen zeigt. Wenig Action, dafür leicht verstörende Dialoge und ein Hauch dokumentarischer Charakter versetzen den Zuschauer in ein surreal flimmerndes Kriegsgeschehen, welches erst beim zweiten Blick auf eine traurig realistische Art echt wird.
Foto: zVg.
ensuite, August 2009