Von Hannes Liechti — Interview mit David Brühlmann und Stefanie Aeschlimann von An Lá: Schon seit über fünfzehn Jahren besteht die mittlerweile vierköpfige Berner Celtic Folk Band «An Lár». Ende Januar taufen sie im Bären Münchenbuchsee ihr viertes Album «Yarn». Ein Interview mit und über An Lár und Irish Folk in Irland und der Schweiz.
ensuite – kulturmagazin: Bald erscheint die neue CD von An Lár. Sie heisst «Yarn». Übersetzt heisst das Garn. Was steckt hinter diesem Titel?
David Brühlmann: Der Titel unserer neuen Platte bedeutet übersetzt Seemannsgarn. Wenn du auf Englisch jemandem sagst «You’re telling yarn», heisst das soviel wie «Du erzählst wieder irgendein Geflunker».
Ist «Yarn» eine Platte mit Seemannsliedern?
David: Ja, das stimmt ein Stück weit. Ich selbst bin ein alter Wasserfan. In zwei Texten von mir auf der neuen Scheibe geht es um Wasserliebhaber. Der eine Text handelt zum Beispiel von Bootsbauern. Ich habe darüber einmal eine DOK gesehen. Bis in die 50er Jahre hinein gab es in der Normandie und in der Bretagne einige Jungs, die der Küste entlang zogen und Schiffe bauten. Diese waren immer auf die gleiche, einfache Art konstruiert. Egal ob gross oder klein.
Das andere Lied ist die Geschichte von einem Mann, der vom Wasser angezogen wird, gleichzeitig von diesem aber abgelehnt wird. Nur die Meerjungfrauen singen für ihn. Das war eigentlich der Grund für diesen «Seefahrertouch», den das neue Album jetzt bekommen hat.
Auf dem Cover sieht man eine Garn-Aufwickelmaschine…
David: Nein, das ist ein Barograph. Ein Barometer, der den Verlauf des Luftdrucks aufzeichnet. Ich weiss, es sieht aus wie eine Nähmaschine.
Stefanie Aeschlimann: Die aufgezeichnete Linie des Luftdrucks geht dann weiter und fliesst innerhalb des Booklets in unsere Portraits über, die Matteo gezeichnet hat, und wird so zum eigentlichen Garn, das uns umspinnt.
An Lár bedeutet auf Gälisch «Das Zentrum». Welches Zentrum ist damit gemeint?
David: Das muss man nicht so eng sehen. An Lár ist einfach Gälisch und steht in Dublin auf jedem zweiten Bus und in ganz Irland auf fast jedem Wegweiser.
Stefanie: Der Name ist uralt und prägt unsere Band schon fast seit ihren Anfängen. Man kann An Lár als Wegweiser zu einem Zentrum hin verstehen. Das Zentrum von An Lár sind wir zu viert.
David: Das hast du jetzt sehr schön gesagt. (lacht)
Seit wann gibt es An Lár?
Stefanie: Das ganze begann – wir wissen es selber nicht mehr so genau – ungefähr 1992/93 als Trio. Jürg ist der einzige, der seit dem Anfang dabei ist. Ein Jahr später stiess ich zur Band und wir waren lange zu fünft unterwegs. 1999 gab es einen Wechsel: David kam zu uns und ein Jahr später schliesslich Matteo. Bis vor zwei Jahren waren wir dann zu sechst. Seit 2006 existiert nun eigentlich die heutige Viererformation.
Zeitweise wart ihr sogar zu siebt unterwegs. Wie habt ihr die Umstellung von dieser grossen Gruppe zu einem Quartett erlebt?
Stefanie: Durch die Umstellung wurde das Ganze sehr transparent und intensiv. Die Band wurde kleiner, die Zahl der Instrumente blieb aber gleich hoch.
David: Es kamen sogar noch mehr dazu.
Stefanie: Die Musik konnte davon nur profitieren. Die Arrangements wurden zwangsläufig klarer, feiner und ausgeklügelter…
David: … und abwechslungsreicher. Durch die vielen Instrumentenwechsel, die nötig wurden, ändert sich laufend die Farbe der Songs. Gleichzeitig ist ein Quartett, wie Stefanie schon gesagt hat, auch viel intensiver: Jeder muss einen weitaus grösseren Platz einnehmen als noch in der grösseren Formation.
Wie seid ihr dazu gekommen, Irish Folk zu spielen?
David: Da hat jeder seine persönliche Geschichte.
Stefanie: Nach vielen Jahren Klassik hatte ich keine Lust mehr darauf und war auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Auf einer Irlandreise erlebte ich die Spielfreude der irischen MusikerInnen und war sofort hell begeistert.
David: Bei mir ist es total schräg. Ich hatte lange ein Rockduo, das sich langsam ausbaute und ent-wickelte. Später kam Karin Widmer dazu, die parallel auch bei An Lár dabei war. Plötzlich sagten die Leute, unser Sound klinge irisch und wir bekamen Anfragen von einigen Irish-Festivals. Bis dahin war ich aber noch nie selbst in Irland gewesen und wusste wenig von irischer Musik. Eine spätere Irlandreise, auf welcher auch einige Bandmitglieder von An Lár dabei waren, gefiel mir derart, dass ich mich endgültig für Irish Folk zu interessieren und begeistern begann. Dann suchte An Lár plötzlich einen Sänger und ich sang bei einem Konzert einige Lieder mit. Seither blieb ich hängen.
Stefanie: Nach dem Konzert war es für uns klar, dass David bleiben muss, zu gut hat er zu uns gepasst. Er konnte gar nicht anders. (lacht)
Ihr bezieht eure Motivation und Inspiration also unter anderem direkt aus Irland. Und doch spielt ihr keinen reinen Irish Folk.
Stefanie: Wir schöpften immer aus dem grossen Fundus der traditionellen Musik Irlands. Typische, irische Gassenhauer und Schunkelsongs wie «Drunken Sailor» oder «Whiskey in the Jar» haben wir allerdings nie gespielt. Mit der Zeit begannen wir, immer mehr Eigenkompositionen zu spielen. Schon auf «Bümpliz Süd», unserem letzten Album, ist einiges davon zu hören. Auf «Yarn» schliesslich stammt fast die Hälfte der Songs und Tunes aus unserer eigenen Feder.
David: Dazu kommt, dass wir unseren Stil eigentlich mit Celtic Folk und nicht nur mit Irish Folk umschreiben. Das hat den Grund, dass traditionell irische Musik grundsätzlich relativ eintönig ist. Es gibt verschiedene rhythmische Grundformen wie der Reel oder der Jig, die dann immer gespielt werden. Wenn der Zuhörer diese Formen nicht kennt, wird es für ihn schnell langweilig. Deshalb greifen wir seit jeher auch auf bretonisches oder schottisches Material zurück. Wir spielen sogar ein Stück aus Asturien.
Stefanie: Durch diese Mischung und auch durch die Instrumentierung wird unsere Musik viel abwechslungsreicher — vor allem für Leute, die sich innerhalb des Irish Folk nicht gut auskennen.
Ihr habt gerade von der Instrumentierung gesprochen. Was benutzt ihr für Instrumente?
Stefanie: Neben den in der Irish-Folk-Kultur traditionell sehr stark verankerten Instrumenten wie Fiddle, den verschiedenen Whistles und Flöte benutzen wir auch «modernere» Begleitinstrumente wie Gitarre, Banjo, Mandola sowie Knopfakkordeon und Konzertina.
David: Als rhythmische Grundlage spiele ich Bodhrán. Das ist eine irische, mit Ziegenfell bespannte Rahmentrommel.
Ein enormer Reichtum an Instrumenten. Wie setzt ihr das um? Arrangiert ihr die Stücke?
David: Ja, bei uns ist praktisch alles durcharrangiert. Die vielen Breaks, Takt- und Rhythmuswechsel, die wir einbauen, lassen wenige Freiheiten zu. Wir arbeiten ganz klar auf Konzerte, beziehungsweise auf eine Platte hin. Ganz im Gegensatz zu traditionellen, irischen Sessions. Die sogenannten Sessions sind ein zentraler Bestandteil der irischen Musik. Bei einer Session musiziert eine Gruppe MusikerInnen in einem irischen Pub zusammen.
Stefanie: Genau. Bei diesen Sessions beginnt ein Musiker mit einem Stück, sei es ein Jig oder ein Reel, und die anderen steigen dazu ein. Die rhythmische Grundform wird beibehalten, während die Melodie gewisse improvisatorische Freiheiten erlaubt. Das sind ungeschriebene Regeln, nach welchen diese Sessions jeweils ablaufen.
David: Eine Session in einem irischen Pub ist ein fantastisches Erlebnis. Man sitzt um einen Tisch herum mit MusikerInnen, die man zuvor noch nie gesehen hat. Kennt man das Stück, spielt man mit. Kennt man es nicht, hört man zu oder trinkt sein Bier. Wir finden aber, dass eine solche Session nicht auf eine Bühne gehört. Es braucht den Rahmen des Pubs mit dem fliessenden Übergang vom Musiker zum Zuhörer. Eine Session ist nicht wie ein Konzert als primäre Unterhaltung gedacht, sondern in erster Linie als Austausch unter MusikerInnen. Das passt nicht auf eine Bühne.
Werden hier bei uns in der Schweiz auch solche Sessions gespielt? Organisiert ihr selbst welche?
Stefanie: Ja, es gibt da sogar eine relativ grosse Szene. In Steffisburg zum Beispiel werden immer wieder welche organisiert. Wir haben allerdings selten Gelegenheit, daran teilzunehmen. Vielmehr veranstalten wir ab und zu selber Sessions, an welchen wir als Band mit einigen befreundeten MusikerInnen teilnehmen.
David: Oder mit anderen Bands. Vor kurzem kam eine Band aus Irland in die Schweiz, die wir gut kennen. An ihrem konzertfreien Tag kamen sie dann zu uns und wir spielten einen Abend lang zusammen. Das war grossartig.
Der Austausch mit irischen MusikerInnen ist euch also sehr wichtig?
Stefanie: Gerade in einer Musik, wo es praktisch keine Noten gibt, ist dieser Austausch sehr wichtig. Irische Musiker besitzen ein riesiges Repertoire an Melodien, die sie auswendig kennen und auch spielen. Damit füllt man sich ein Tape oder eine MiniDisc und lernt es zu Hause.
David: Die alte Variante ist aber immer noch die, dass man es direkt im Pub lernt. In Irland reist man dafür herum, weil man weiss, jeden Donnerstag spielt der und der in dem und dem Pub.
Stefanie: Von einer Session nimmt man enorm viel mit nach Hause. Wir waren zwar noch nie als Band zusammen in Irland. Einzelne von uns gehen aber immer wieder hin und spielen dann auch selbst an Sessions mit.
Wie gehen die irischen MusikerInnen damit um, wenn ihr als «Touristen» an diesen doch sehr traditionellen Sessions teilnehmt?
Stefanie: Das hat sich etwas gewandelt. Ich gehe schon seit bald fünfzehn Jahren regelmässig nach Irland. Es gibt jetzt zunehmend Sessions, wo man das Bier selber bezahlen muss. Früher hiess es «Oh hello,
you’re a musician? Come in and sit down.». Dann bestellte man und bekam den ganzen Abend dieses Getränk serviert. Heute hat diese spezielle Art der Gastfreundschaft etwas nachgelassen. Häufig erleben wir aber positive Reaktionen, obwohl man sagen muss, dass die irischen MusikerInnen einem schon sehr genau auf die Finger schauen. Dafür würdigen sie es dann auch, wenn man mithalten kann.
Habt ihr bestimmte Vorbilder?
Stefanie: Da hat natürlich jeder seine eigenen Solo-MusikerInnen als Vorbild, je nach Instrument. Es gibt aber auch Bands, die wir alle toll finden, wie zum Beispiel LAU, ein Trio aus Schottland. Was uns an ihnen vor allem gefällt, sind die grossartigen Arrangements ihrer Songs, die allesamt Eigenkompositionen sind.
David: Aber auch rein traditionelle Bands aus Irland, wie zum Beispiel Dervish, könnte man als unser Vorbild bezeichnen.
Gibt es in der Schweiz ausser An Lár auch noch andere Irish Folk Bands?
Stefanie: Es gibt tatsächlich nur etwa vier, fünf Bands, die wirklich aktiv sind. Dazu gehören in der Westschweiz zum Beispiel Eowyn und Elandir oder Inish aus dem Raum Zürich.
In den letzten Jahren wuchs die Anhängerschaft des Irish Folk enorm. Spürt ihr das?
David: Ja. Wir sehen vor allem immer mehr junge Leute in unserem Publikum. Das muss unter anderem auch mit diesem Mittelalter-Boom zusammenhängen. Innert weniger Jahre ist da eine relativ grosse Szene entstanden, mit Mittelaltermärkten, Ritterspielen und allem Drum und Dran. «Lord Of The Rings» war da gewiss nicht unschuldig, obwohl das alles ja eigentlich nichts mit Irish Folk zu tun hat.
Zum Schluss möchte ich noch auf eure Texte zu sprechen kommen. Neben den Instrumentalkompositionen sind etwa die Hälfte eurer Stücke Lieder. Einerseits traditionelle, andererseits aber auch selbst geschriebene. Es sind alles Geschichten. Sei es die Geschichte über den Farmer Michael Hayes oder über ein Gerstenkorn.
Stefanie: Die Tradition des Geschichtenerzählens ist in der irischen Kultur sehr wichtig und tief verankert. Ich war auch schon an einer Session, wo plötzlich ein alter Mann aufstand, von dem man nicht dachte, dass er sich noch zu Wort melden würde, und ein traditionelles irisches Lied mit etwa zwölf Strophen sang. Dabei war das ganze Pub still. Das sind Geschichten, die aus der bewegten Vergangenheit Irlands, aber auch aus dem eigenen Dorf und Erfahrungshorizont erzählen. Wie zum Beispiel «The Wind That Shakes The Barley», das David an euren Konzerten jeweils alleine singt. Im gleichnamigen Kinofilm von Ken Loach singt eine alte Mutter dieses Lied am Grabe ihres im Unabhängigkeitskrieg getöteten Sohnes.
David: Ja, genau. Diese Lieder wurden teilweise auch über Generationen hinweg mündlich weitergegeben und immer wieder aktualisiert und mit neuen Strophen versehen. Ein wichtiges Thema ist auch der «Irish Rover». Einer, der auszieht, auf Wanderschaft geht und später wieder heimkehrt. Auch dieses Bild ist tief in der irischen Geschichte mit seinen enormen Emigrationsströmen verankert.
Versucht ihr diese Tradition des Geschichtenerzählens auch auf eure eigenen Texte zu übertragen?
David: Ja natürlich. «The Three-Cornered Hat» von «Bümpliz Süd» zum Beispiel ist die Geschichte einer Bretagne-Reise von mir, die ich offensichtlich einmal verarbeiten musste. (lacht) Was ich übernehme ist also die Idee des Geschichtenerzählens sowie die Sprache. Inhaltlich orientiere ich mich an meinem eigenen Erfahrungshorizont. Der Titel «Bümpliz Süd» macht’s vor.
Und auf die eingängigen Texte der bekannten irischen Pubsongs verzichtet ihr. Wieso eigentlich?
Stefanie: Schon nur, um das Niveau etwas zu heben. (lacht)
David: Es würde auch relativ schnell langweilig werden, weil man diese Songs schon zu viel gehört hat. Wenn man sie so arrangieren würde, dass sie wieder etwas interessanter wären, dann würden sie vom Publikum kaum akzeptiert werden. Es gibt meiner Meinung nach schon genügend gute Versionen dieser Songs. Vielmehr möchten wir mit An Lár etwas Neues, Anspruchsvolles schaffen und unsere Konzerte nicht zu einem Wunschkonzert von irischen Pubsongs machen.
Wie stark fühlt ihr euch der irischen Tradition verpflichtet?
David: Mit unserer Musik stehen wir eigentlich mitten in dieser Tradition. Allerdings versuchen wir nicht, diese möglichst authentisch abzubilden.
Stefanie: Wir wollen etwas Neues, Eigenes daraus machen. Deshalb schreiben wir eigene Kompositionen und spielen nicht ausschliesslich Irish Folk.
David: Es gibt ja eigentlich auch keinen authentischen Irish Folk. Dafür hat sich die Musik zu fest entwickelt und dafür gibt es auch zu viele regional unterschiedliche Stile.
Stefanie: Diese Mischung aus Eigenem und Traditionellem konnten wir auf «Yarn» bislang sicher am Besten verwirklichen.
«Yarn» kann ab 31. Januar unter www.anlar.ch bestellt oder im Jecklin gekauft werden.
Bild: An Lár (v.l.n.r.): Jürg Frey, Stefanie Aeschlimann, David Brühlmann, Matthias Hofer. Foto: Reto Camenisch
Ensuite, Januar 2009