Von Luca D’Alessandro — Michel Camilo ist flink und präzise, einfallsreich und sentimental. Die Tasteninstrumente beherrscht er wie kein anderer, was ihn zum Vorbild für viele Latin Jazzer macht.
Kein Wunder also, dass seine Konzertreihe im Mai am Berner Jazzfestival überaus gut besucht war. Fünf Abende à zwei Sets, in welchen der Pianist aus der dominikanischen Republik die Töne regelrecht aus dem Flügel hämmerte. So fest, dass nach jeder Show der Klavierstimmer aufgeboten werden musste.
ensuite-kulturmagazin hat Camilo am Festival aufgelauert, und mit ihm über seinen Ehrendoktortitel und die neue CD «Mano A Mano» gesprochen, welche demnächst bei Universal erscheint.
Michel Camilo, bei Ihnen ist ganz viel los im Moment.
Ja, es sind ereignisreiche Monate, schon nur wegen der zahlreichen Konzerte, die ich in Europa machen darf, unter anderem in Mailand und Barcelona. Nebenbei steht die Publikation meines neuen Albums «Mano A Mano» bevor, welches ich mit dem Bassisten Charles Flores und dem puerto-ricanischen Perkussionisten Giovanni Hidalgo letzten Januar in New York produziert habe. Es unterscheidet sich von meinen bisherigen Werken schon nur wegen der Besetzung und der Instrumentation. Es ist voller neuer Kontraste und Texturen – ein wahres Erlebnis für die Sinne.
Auf Ihrer Internetseite ist von diesem Album aber noch nichts zu finden.
Sie gehören zu den ersten, die davon erfahren…
Da fühle ich mich aber geschmeichelt.
Nein, ernsthaft: Wir haben bis jetzt auf Promotion verzichtet, da wir «Mano A Mano» erst mal im August am Newport Jazzfestival auf Rhode Island taufen wollen.
Ihr nächstes Schweizer Konzert ist für das jazznojazz Festival in Zürich vorgesehen. Ich gehe davon aus, dass der Act im Zeichen des neuen Albums steht.
Nein, ich werde im Duo mit dem spanischen Flamenco-Gitarristen Tomatito auftreten.
Eine tiefe Freundschaft verbindet Sie.
Wir stehen uns sehr nahe. Eine Sympathie, die uns für unser 2006 erschienenes Album «Spain Again» den Grammy beschert hat.
Zurück zu Ihnen: Sie waren nicht immer Pianist.
Doch, wieso meinen Sie?
In Ihren jungen Jahren standen Sie kurz davor, Arzt zu werden.
(lacht) Ah ja, ich studierte drei Jahre lang Medizin an der UASD, der Universidad Autonoma de Santo Domingo. In dieser Rolle war ich regelmässig auf Patientenbesuchen in einem Spital. Übrigens hat mir diese Universität letztes Jahr die Ehrendoktorwürde verliehen. Sie können sich meine Freude vorstellen. Eine gewaltige Anerkennung, eine Bestätigung für meine Arbeit. Darauf bin ich sehr stolz.
Haben Sie irgendeinmal bereut, das Leben des Musikers eingeschlagen zu haben?
Überhaupt nicht. Mit meiner Musik kann ich dem Publikum eine Freude bereiten. Das ist die beste Medizin gegen die Ausbreitung von schlechter Laune.
Sie lieben Ihr Instrument – das ist deutlich zu erkennen. Vorhin auf der Bühne waren Ihre Hände zeitweise kaum noch zu sehen: sie spielten dermassen schnell.
Ja? Also, ich fand mich ganz gut zurecht (lacht). Spass beiseite: Ich spiele seit ich vier Jahre alt bin. Mit neun nahm ich mein Klavierstudium auf… Übrigens: Glauben Sie nicht jenen Biografen, die behaupten, ich hätte erst mit sechzehn zu spielen begonnen. Das ist falsch. Wie dem auch sei: Ich lernte sehr schnell, zuerst Klassik, später befasste ich mich auch mit anderen Genres. Mit sechzehn wurde ich schliesslich jüngstes Mitglied des nationalen Symphonieorchesters der Dominikanischen Republik.
Wie fanden Sie den Weg zum Jazz?
Mit vierzehn hörte ich am Radio die Pianoversion von «Tea For Two». Das war der Startschuss. Heute noch spiele ich sowohl Klassik als auch Jazz.
Was halten Sie von der Schweiz?
Viele Leute wissen das nicht: Mein erster Besuch der Schweiz war in offizieller Mission. Ich war Teil einer diplomatischen Delegation meines Landes, welche von der Schweizer Regierung eingeladen wurde. Eine wunderbare Exkursion war das: Wir reisten zu allen Sehenswürdigkeiten und bekamen so die Gelegenheit, das Land bis ins letzte Eck zu erkunden. Das Programm durfte ich mit einem Konzert am UN Sitz in Genf abrunden. Ich spielte vor dem diplomatischen Corps. Aber diese Geschichte liegt schon eine Weile zurück. Mir gefällt dieses Land, welches mich immer wieder zu neuen Musiktaten inspiriert.
Michel Camilo – Discografie (Auswahl)
«Mano A Mano» (2011, Universal)
«Spirit Of The Moment» (2007, Telarc)
«Spain Again» with Tomatito (2006, Universal)
«Rhapsody In Blue» (2006, Telarc)
«Solo» (2005, Telarc)
«Live At The Blue Note» (2003, Telarc)
«Triangulo» (2002, Telarc)
Info: www.michelcamilo.com
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2011