(Constantin Seibt) —
Wenn dieser Blog hier erscheint, sitze ich im Zug zur Frankfurter Buchmesse, über die ich schon viel Scheussliches gehört habe. Es soll deprimierend sein: ein Tsunami aus Büchern und ganze Wagonladungen von Buchverkäufern. Ich freue mich sehr, dabei zu sein.
Da ich also bereits als Verkäufer unterwegs bin, kann ich es auch kurz und schamlos machen – das Deadline-Buch ist draussen. Und es wäre grossartig von Ihnen, es zu kaufen. Es ist, das kann ich Ihnen versichern, das bei weitem beste Buch übers Schreiben, das ich je geschrieben habe.
Und es ist eines der wenigen Bücher, das Sie nicht als Katze im Sack kaufen. Immerhin stand der Löwenanteil des Buchs schon in diesem Blog – er ist jetzt gefeilt, gekürzt, verschlagwortet, ergänzt und neu sortiert. Und hat nun eine völlig andere Dramaturgie: War der Blog eine explodierende Bonbonschachtel, so ist das Buch ein solider Schinken.
Was elektronisch fehlt, ist das Vorwort. Als Mix von Vorschau und Eigenwerbung hat es mir beim Schreiben mehr Probleme gemacht als jedes andere Kapitel des Buchs. Schliesslich versuchte ich es so trocken und ehrlich wie möglich. Hier ist es:
[Vorwort]
Eine Menge Ärger
Seit drei Nächten versuche ich, dieses Vorwort hinzukriegen. Bis jetzt vergeblich.
Es ist nicht gerade eine Empfehlung für ein Buch mit Tricks zum Schreiben, wenn der Autor schon bei den ersten Sätzen aus der Kurve fliegt.
Aber Scheitern gehört zum Job. Aus der Ferne ist Schreiben ein eleganter Beruf. Man braucht wenig Material dafür, nur einen Computer und etwas Frechheit. Und was zu tun ist, ist einfach: Sieh hin und schreibs auf.
Nur ist es verblüffend schwierig, das Wesentliche zu sehen. Und es hinzuschreiben auch.
Dieses Buch handelt von all dem Ärger, den man als professioneller Schreiber vor dem Computer hat: mit Ideen, Storyskelett, Redigieren und der eigenen Blindheit. Und von all dem Ärger, den man als Journalist in seinem Job hat: mit Karriere, Geld, Lesern und der Pressekrise. Aus der Ferne ist Journalismus ein erfreulicher Beruf. Er besteht aus einer Kette von kleinen Abenteuern. Und die Freiheit ist gross. Wie kaum ein anderer Büroangestellter hat er die Kontrolle über sein Produkt. Zwar gibt es in jeder Redaktion eine Menge Chefs, aber mit etwas Erfahrung lassen sich diese austricksen. Die einzige Kompassnadel, die zählt, ist die eigene Nase.
Der Fluch der Freiheit
Aber manchmal ist es eine schreckliche Freiheit. Für einen längeren Artikel muss man mehrere Dutzend Entscheidungen treffen. Trifft man zu viele falsch oder trifft man sie nicht, passiert immer das Schlimmste, was einem Autor passieren kann: Aus einer lebendigen Geschichte wird ein lebloses Stück Text. Man produziert eine Leiche.
Und wenn das passiert, gibt es keinen anderen Schuldigen als: dich. Du hast es vermasselt. Kein Wunder, wünschen sich zuweilen selbst Profis, sie hätten einen angenehmeren Job gelernt, etwa Kanalreiniger.
Doch das ist nur die Hälfte des Ärgers. Das Internet hat den Journalismus radikal verändert. Traditionelle Nachrichtenorganisationen haben grosse Teile ihrer Einnahmen ans Netz verloren. Und das Verhältnis zum Publikum hat sich um 180 Grad gedreht. Früher schrieb ein Journalist für abhängige Abonnenten. Heute konkurriert er im Netz mit der weltweiten Unterhaltungsindustrie.
Der verschärfte Kampf um Aufmerksamkeit bedeutet, dass die eingespielte Maschinerie der Tageszeitung neu gedacht werden muss: von den Artikeln bis zur Strategie. Die bisherigen Produkte und Routinen sind nicht mehr zeitgemäss. Sie zielen alle auf die nun langsam aussterbenden Abonnenten ohne Alternative. Für den Journalismus im 21. Jahrhundert braucht man neue Konzepte.
Fett, Muskeln, Blutbahnen
In der Chefetage findet man dafür seltsam wenig Interesse. Die meisten Verlage haben als zentrales Gegenmittel zur Zeitungskrise das Sparen entdeckt. Und wurden süchtig danach. Erst schnitten sie das Fett weg, dann Muskeln und schliesslich die Blutbahnen.
Tatsächlich ist es erstaunlich, wie wenig selbst grosse Medienkonzerne trotz der Krise über Journalismus nachdenken. Und etwa systematisch Entwicklungsabteilungen ins Leben rufen: für neue Produkte und eine neue Haltung bei den Alten. Sie haben für den Journalismus der Zukunft nicht nur kein Konzept, sie haben nicht einmal die Melancholie, keines zu haben.
Doch damit sind sie sind nicht allein. Auch die meisten Redaktionen reagieren erstaunlich defensiv: Sie machen lieber das Blatt für morgen früh statt das Konzept für morgen.
Für den einzelnen Journalisten bedeutet das: Auf Hilfe von oben kann man nicht hoffen. Deshalb macht sich dieses Buch nicht nur Überlegungen zum journalistischen Handwerk. Sondern auch zur Frage: Mit welcher Strategie überlebt man als einzelner Journalist im 21. Jahrhundert?
Kalk als Chance
Der Grund, warum die Nachrichtenindustrie so konservativ ist, lässt sich in vier Worten beschreiben: über hundert Jahre Erfolg. Zeitungen waren viele Jahrzehnte Gelddruckmaschinen. Kein Wunder, denkt die Branche selbst unter Druck wenig nach. Und das ist auch der Ansatzpunkt für jede zeitgemässe publizistische Strategie. Nach hundert Jahren Erfolg kann man mit einer Menge Kalk im System rechnen: mit erstarrten Routinen, übersät mit blinden Flecken.
Der Konservativismus der eigenen Branche ist die verlässlichste Ressource, die man als Journalist in der Krise hat. Und die Rebellion dagegen ist die vernünftigste Strategie, auf die man setzen kann. Nicht zuletzt, weil man sich in der Aufmerksamkeitsbranche befindet. In dieser wird die Abweichung honoriert, nicht die Norm.
Deshalb lautet die zentrale Frage in diesem Buch: «Wie wäre es, wenn wir es ganz anders machten?» Sie ist die entscheidende Überlegung in jeder Situation: beim Schreiben eines Artikels, beim Nachdenken über die eigene Haltung, bei der Konzeption der gesamten Zeitung.
Wie man das in der Praxis anstellt, darum dreht sich dieses Buch. Es geht um konkrete Tricks beim Schreiben. Um die Haltung zur Welt, zu Texten, zum Publikum, zur Karriere. Und im letzten Kapitel um eine publizistische Strategie, wie die Tageszeitung zeitgemäss zu machen wäre.
Ein Mitternachtsbuch
Fast alle Kapitel dieses Buchs wurden neben meinem Job als Reporter beim «Tages-Anzeiger» geschrieben, meist nach Mitternacht, wenn das Kindchen schlief. Sie erschienen ursprünglich als Blog. Und wurden für das Buch gekürzt, ergänzt, neu sortiert.
Die meisten dieser Kapitel behandeln die berufsüblichen Katastrophen. Also die Momente, in denen ich beim Schreiben im Sumpf landete. Und darüber nachdenken musste, was schieflief. Und wie man sich und den Artikel retten könnte.
Deshalb ist der Journalismus auch ein abenteuerlicher Beruf, es geht im Kleinen immer darum, dass man überlebt. Und im Grossen auch.
PS: Hier der Link zum taufrischen Buch direkt ab Verlag. Sie verkaufen es dort unter dem Slogan «Ein Buch, so hilfreich und kaltschnäuzig wie ein Lawinenhund».
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