Von Claudia Badertscher — «Die Frau: Zelle für Zelle eines der letzten ungelösten Mysterien der Menschheit.» Mit diesen Worten beginnt der Film «Fou de coudre». Die Stimme aus dem Off macht sich denn auch gleich daran, in die Untiefen des Mysteriums vorzudringen: «Die Frau erkennt man(n) an den primären und sekundären Geschlechtsorganen.» Ist es für die Frau selbst auch so einfach, sich zu erkennen?
In «Fou de coudre» (zu deutsch: nähverrückt) gehen zwei junge Bernerinnen dieser Frage nach. «Wir haben gemerkt, dass das Wort ‹Feminismus› für viele junge Frauen angestaubt daherkommt», sagt die 28-jährige Filmemacherin Stefanie Christ. Gemeinsam mit der 32-jährigen Helen Lagger habe sie daher ein Filmprojekt gestartet, um «die Situation der Frau heute zu klären».
Diese Analyse betreibt ihr Film auf eine sehr persönliche Art. «Fou de coudre» nähert sich dem Frausein so, wie es dieses verdient: Vielschichtig, umsichtig und mit einer Prise Selbstironie. Einerseits wird dem «schwachen Geschlecht» in experimentellen Sequenzen nachgespürt. Dann unterhalten sich etwa zwei Brüste miteinander übers Brustdasein oder Dornröschen wacht nach 101 Jahren von selbst auf und reibt sich verwundert die Augen. Andererseits ist «Fou de Coudre» auch ein Dokumentarfilm. Frauen aus vier Generationen gewähren den Zuschauenden Einblick in ihre Arbeitswelt, ihren Alltag, ihre Beziehungen. Sie erzählen aber auch, woran sie als Frau grenzten und immer noch grenzen. Ihre bewegten und bewegenden Leben stehen auf der einen Seite für gesellschaftlichen Wandel und Stillstand, vor allem aber auch für sich selbst, für vier Persönlichkeiten: Die 91-jährige Marthe Gosteli, Frauenrechtlerin der ersten Stunde, erinnert etwa daran, dass es noch nicht lange her ist, «dass eine Frau als nicht bildungsfähig galt». Oder sie erzählt von ihrem Einsatz für die Rechte der Frau: «Für etwas einzustehen, das nicht populär ist, habe ich erlebt. Bis zum Letzten. Aber man muss es aushalten.» Aber auch die jüngste der Interviewpartnerinnen, die 27-jährige kaufmännische Angestellte Viviane Badrutt, wundert sich: Darüber, dass ihre männlichen Klassenkollegen, «die nicht mal bessere Noten hatten – im Gegenteil», heute viel öfter leitende Positionen bekleiden als ihre Mitschülerinnen. Oder darüber, dass sich häufig die Frauen gegenseitig Steine in den Weg legen. Neben Gosteli und Badrutt erzählen in «Fou de coudre» auch die 58-jährige Verena Weibel, bekannt geworden als Mitbegründerin des Schweizer Frauenlaufs, und die 42-jährige Karin Hermes, Choreografin und Tänzerin, aus ihren Leben.
«Allen vier befragten Frauen ist etwas gemeinsam: Es ist ihnen sehr wichtig, eine Frau zu sein», sagt Filmemacherin Christ. Auch ihr sei während der Dreharbeiten immer stärker bewusst worden, «wie zentral es ist, ein Selbstverständnis als Frau zu haben». Dazu gehöre für sie auch, dass eine Frau, die sich gerne schminke und schön kleide, keineswegs als weniger kompetent angesehen werden dürfe. Christ: «Es geht heute auch darum Frau zu sein, ohne dass die Gesellschaft rechtlich wieder Rückschritte macht.» Aber: Im Leben jeder Frau komme der Punkt, an welchem sie merke, dass eine Frau auch heute noch mehr leisten müsse als ein Mann, um dasselbe zu erreichen. Als Feministin möchte sich die junge Filmemacherin trotz solcher Worte nicht bezeichnen: «Ich spreche lieber von Frau-
sein.»
Aber was bedeutet das, Frausein? Auch «Fou de Coudre» gibt keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Vielmehr umkreist das Werk den Mythos Frau auf vielen Bahnen — ernst und augenzwinkernd zugleich. Stefanie Christ bricht derweil bereits zu Neuem auf. Gemeinsam mit Daniel Schneeberger, der anderen Hälfte ihrer Produktionsfirma pink productions, arbeitet sie am Konzept für ihren nächsten Film: Als Pendant zu «Fou de Coudre» wollen die beiden darin der Befindlichkeit des heutigen Mannes nachspüren.
«Fou de coudre» wird am 2. April um 19 Uhr in der Berner Cinématte gezeigt. Weitere Spieldaten werden laufend auf www.pinkproductions.ch bekannt gegeben.
Bild: Still aus dem “Film de coudre” / zVg.
ensuite, April 2009