Emerenz Meier & #dichterdran

Von Dr. Reg­u­la Stämpfli — Sie sei unmöglich gewe­sen, diese Emerenz Meier, so reklamiert man noch heute im bayrischen Hin­ter­wald. Die Heimat­dich­terin aus dem Bay­erischen Wald (geboren 1874, gestor­ben 1928 in Chica­go), war zu ihrer Zeit eine Berühmtheit. Sie pack­te den harten Bauer­nall­t­ag in Poe­sie und sym­bol­isierte ab 1898 in ihrer Tra­cht die selb­st­be­wusste Frau und Intellek­tuelle auf der beliebten Ansicht­skarte „Gruss aus Wald­kirchen“. Der Erfind­er der Postkarten, Alphons Adolph him­self, sah in der klu­gen Frau vor dem Hin­ter­grund ihres Geburtshaus­es die Verkör­pe­rung von Stärke und naturver­bun­den­er Poe­sie. Wer nun meint, Emerenz Meier sei durch ihre Belieb­heit als Volks­dich­terin eine reiche Frau gewe­sen, irrt. Denn die bit­ter­ar­men „Waldler“ (Leute aus dem bay­erischen Wald­kirchen) flüchteten in Scharen nach Ameri­ka, wo sie sich ein besseres Leben erhofften. Dies tat auch die trink­feste Volkss­chreiberin Emerenz Meier. Doch Ameri­ka erwies sich als pick­el­hart. So heiratete Emerenz Meier, die sich lange gegen jede Ehe gewehrt hat­te, schliesslich sog­ar zweimal: Das erste Mal ungeliebt, das zweite Mal ganz okay. Doch nach dem Ersten Weltkrieg machte Ameri­ka das Leben ein­er deutschen Volks­dich­terin zur Hölle. Denn wer brauchte noch Gedichte in ein­er Sprache, die der Welt die Urkatas­tro­phe des 20. Jahrhun­derts einge­brockt hat­te?

Trotz­dem: Emerenz Meier bleibt – anders als viele beg­nadete Frauen ihrer Zeit – bis heute berühmt. Seit 2008 gibt es sog­ar eine Büste von ihr in Pas­sau, gefer­tigt von der Bild­hauerin Chris­tine Wag­n­er. Seit 2010 doku­men­tiert das Muse­um «Born in Schiefweg» das Leben der Dich­terin und die Zeit der Auswan­derungswelle aus dem Bay­erischen Wald.

Ihr Gedicht „Stossseufz­er“ liest sich im Som­mer 2019 wie ein Beitrag zum sehr lusti­gen, sehr wichti­gen und aufk­lärerischen Hash­tag #dich­ter­dran. Die Schweiz­er Lit­er­atur­wis­senschaft­lerin Nadia Brüg­ger hat ihn aus Ärg­er über die Rezen­sion von Best­seller­autorin Sal­ly Rooney, die „sex­u­al­isiert und in grossväter­lich­er Manier geschmälert“ wurde, mit Simone Meier (Wat­son) und der Regis­seurin Güzin Kar ini­ti­iert. Die Tweets zeigen die hochkomis­che Umkehr der Ver­hält­nisse: Wenn Frauen über Autoren schreiben wie Män­ner über Autorin­nen, wird offen­sichtlich, wie sehr jede weib­liche Kreativ­ität und Inno­va­tion der Frauen­rolle geopfert wird. Meist aus­gerech­net prak­tiziert von eini­gen Feuil­leton­is­ten, die sich als beson­ders „fortschrit­tlich“ insze­nieren.

Auf der Plat­te neben der Büste von Emerenz Meier in Pas­sau find­et sich der „Stossseufz­er“ – wie geschaf­fen für #dich­ter­dran:

„Hätte Goethe Suppen schmalzen, Klösse salzen
Schiller Pfannen waschen müssen,
Heine nähn, was er verrissen
Stuben scheuern, Wanzen morden
Ach die Herren,
Alle wären
Keine grossen Dichter worden.“

Die Bild­hauerin Chris­tine Wag­n­er ergänzt: „Heute wer­den keine erfol­gre­ichen Feld­her­ren mehr geehrt, son­dern eine Frau, eine Kom­mu­nistin, eine Athe­istin, die ihren Weg gegan­gen ist, die seel­is­che, geistige und materielle Not kan­nte, die den Aspekt des Scheit­erns in sich trägt. Diese Iden­ti­fika­tions­fig­ur ist für Pas­sau und die Region wichtig.“

Artikel online veröffentlicht: 12. September 2019 – aktualisiert am 25. Februar 2020