Von Walter Rohrbach — Ein Gespräch mit dem poetischen Liedermacher und Schreiber Endo Anaconda über die Medien, Gesellschaft, Erich Hess und sonstige Weltuntergangsszenarien.
Gleich vorneweg: Dies ist kein standardisiertes, strukturiertes Interview. Vielleicht ist gerade dies typisch für den mit bürgerlichem Namen Andreas Flückiger genannten, der für Exzesse und Ausschweifungen ebenso bekannt ist wie für intelligente und gewiefte Liedtexte.
So stehe ich nun bei der Tramhaltestelle beim Kornhausplatz und warte auf den grossen Meister selbst. Ausgemacht wurde ein Interview und Austragungsort dieses Freundschaftsspiels (so hoffte ich jedenfalls) soll die Spaghetti Factory zur Mittagszeit werden. Bewaffnet mit Endos neuestem Werk «Walterfahren» und einer Reihe, so habe ich gedacht, ausgeklügelter Fragen, warte ich voller Spannung auf die Ankunft des stillen und nun schreibenden Hasen. Mit einer nur kleinen Verspätung und in einen halblangen, dunklen Wintermantel gehüllt erscheint Endo. Auf dem Kopf wie für ihn typisch ein eleganter Hut, allerdings nicht einer aus Panama, der ist wohl aufgrund der Temperaturen einem wärmeren Modell gewichen. Nach der kurzen aber herzlichen Begrüssung erkundigen wir uns erfolglos nach einem ruhigen Platz im Restaurant, das vorwiegend Nudeln mit rundem Querschnitt anbietet, und lassen uns schliesslich in einem thailändischen Restaurant in der Nähe nieder. Nicht zum «Znüni näh», sondern für ein Mittagsmahl und um ein Interview zu machen. So sitze ich, mir gegenüber einer, der wie kein zweiter Berner Lyrik zu schreiben vermag, ein Songpoet sagen die einen, als vollbluesigen Maulhelden beschreiben ihn andere. Legendär sind seine Lieder, welche sich durch einen dadaistischem Sprachwitz auszeichnen: «Nid eso, nei nei, nid eso hani gseit Stelle u nid lege». Mit seiner ausgeprägten und charakteristischen Bassstimme, welche sich beinahe symbiotisch an den langsamen und melodiösen Berner Dialekt schmiegt, bestellt der österreich-schweizerische Wahl-Emmentaler mit konzentrierter Miene das Mittagessen. Endo hat etwas rauhes, direktes und ungekünsteltes, und dennoch etwas unglaublich Sympathisches, geradezu Herzliches, wenn er bei einer spitzen aber treffenden Bemerkung spitzbübisch unter seinem Hut hervorgrinst. Der bekannte Liedermacher und Schriftsteller offenbart sich im Gespräch als interessierter Beobachter des Zeitgeschehens, der mit pointierten Aussagen die Geschehnisse kritisch zu hinterfragen weiss.
Endo, du musstest aufgrund einer Nierenkolik einige Auftritte absagen. Wie geht es dir heute?
Blendend. Danke. Weisst du, wenn man in zwanzig Jahren mal etwas hat, wird das in den Medien gleich hochgespielt und ein riesen Drama gemacht.
Heute Morgen habe ich einen spannenden Artikel von Franz Hohler gelesen, in dem er sich für die Wichtigkeit der Fantasie ausspricht: «Eines der wichtigsten menschlichen Organe ist die Fantasie. Wird sie nicht genügend ernährt kommt es zu Mangelsyndromen, zu geistiger Blutarmut, zu seelischer Magersucht». Deine Kolumnen sind auch sehr kreativ und fantasievoll, welchen Stellenwert nimmt die Fantasie bei dir ein?
Der Alltag ist doch viel zu langweilig, man muss ihn irgendwie zu Ende schreiben. Fantasie in der Kolumne ist deshalb wichtig, damit die Zeitung aufgemotzt wird, wo doch die redaktionellen Teile mittlerweile so schwach sind, dass sie viele Kolumnisten brauchen, damit der ganze «Krempel» überhaupt noch gekauft wird. Genauso gut könnte man Agenturmeldungen runter-googeln. Dies ist auch der Grund, weshalb ich mit dem Kolumnenschreiben aufgehört habe. Es kaschiert die allgemeine Inhaltslosigkeit in der Zeitung. Beispielsweise haben wir in Bern keine nationale Zeitung mehr. Der Bund hätte sich zu so einer entwickeln können, ist aber mittlerweile ein Teil des Tagesanzeigers geworden. Zum Glück gibt es aber noch, wenn auch nur wenige, unabhängige Teile im Bund. Die einzigen Zeitungen, für die ich heute Kolumnen schreiben möchte, sind NZZ und Tagesanzeiger. Es sind vorwiegend Kurzgeschichten, weil, rein nur über die Schweizer Politik zu schreiben wird mit der Zeit zu langweilig. Die ist unglaublich dröge und in keinem Land so festgefahren wie in der Schweiz.
Willst du mit deinen Kolumnen etwas verändern oder erhoffst du dir eine bestimmte Wirkung?
Ja, das mit der Botschaft… Die einzige Botschaft ist: nur bloss keine Wellen schlagen. Die Situation in dieser Welt ist so zugespitzt und die Probleme sind so vielfältig. Ich plädiere für einen gesunden Menschenverstand. Ich glaube aber nicht, dass man mit Musik oder mit Texten die Welt verändern kann. Wenn man Leute zum Denken anregen kann, ist das bereits sehr positiv. Die Kolumne, die ich schreibe, ist einfach nur Unterhaltung, reine Unterhaltung. Und Unterhaltung auf hohem Niveau ist, wenn auch tatsächliche Probleme behandelt werden. Ich war einer der ersten in der Schweiz, der auch private Themen in der Kolumne «Bärbeisser» einbezogen hat. Mittlerweile ist das ein Genre. Es gibt Leute die über ihr Vatersein schreiben oder wie Bänz Friedli über die Rolle als Hausmann. Die Kolumnen sind seither viel persönlicher geworden, und ich denke ich war der erste, der sowas gemacht hat.
War diese persönliche Sichtweise und diese «Privatheit» beabsichtigt?
Man kann als Mensch gar nicht anders als seine subjektive Sichtweise wahrnehmen. Es gibt immer die grosse Geschichte und es gibt immer die kleine Geschichte. Die kleinen Geschichten von den Menschen, das kleine Schicksal und das grosse Schicksal, die immer miteinander verknüpft sind. Das grosse Schicksal, das sich im kleinen spiegelt, und das kleine Schicksal, welches das grosse beeinflusst.
Hast du eine Lieblingspassage in deinem Buch? Beispielsweise finde ich die Beschreibung deiner olympiareifen Arschbombe ab dem Viermeterspringturm in der Badi Langnau sehr gelungen.
Ich muss sagen, ich habe die Kolumnen jeweils geschrieben und weggeschickt. Erst als ich sie für das Buch zusammengestellt habe und die Kolumnen wiedergelesen habe, fand ich Passagen, die ich gut und unterhaltsam fand. Ich glaube, man darf das geschriebene nicht zu sehr hinterfragen, sonst schreibt man nicht mehr. Ich habe mit dem Schreiben von Kolumnen aufgehört zu einem Zeitpunkt, als mir das Schreiben noch Spass gemacht hat, und ich denke, in nächster Zeit will ich das nicht mehr machen. Auf der einen Seite bietet das Kolumne schreiben ein regelmässiges Einkommen, und man kann auf gewisse Vorkommnisse reagieren. Aber mein Kerngeschäft ist und bleibt die Musik, und ich bin nicht mehr dazugekommen, Songs zu schreiben, da ich für die Kolumne die ganze Woche aufbringen musste. Schliesslich hatte ich einen gewissen Anspruch an mein Schreibwerk, und das ganze sollte nicht nur «dumm» sein.
Aber die olympiareife Arschbombe ab dem Viermeter-Sprungbrett – machst du das immer noch?
Ja sicher, das mache ich immer noch. Todesmutig springe ich bis heute mit der Speedo Badehose vom Viermeterbrett. In dieser Kolumne beschreibe ich auch das Zusammentreffen mit Gwendolyn Rich, als ich mir nicht sicher war, ob es sie oder sonst ein «Promi» war. In der Schweiz, und vor allem bei Ringier, weiss man nie genau, wer wieso berühmt ist. Aufgefallen ist mir, dass über diese Gwendolyn Rich ständig berichtet wird, aber ich konnte nie in Erfahrung bringen, wieso diese Frau Rich bekannt ist. Beispielsweise hiess es, dass diese Gwendolyn Rich wieder ein Kind mehr hat, jetzt aber geschieden sei. Ich weiss zwar, dass sie eine Schauspielerin ist, habe aber noch nie mitbekommen, wenn sie eine Rolle gespielt hat. Vielleicht ist ihr Vater ja Aktionär bei Ringier, und sie ist die Tochter von Mark Rich.
Heute wird ja unglaublich viel produziert und geschrieben. Gerade auch wegen den neuen Medien. Wie stehst du zu den neuen sozialen Medien? Wir sind im Zeitalter der Veröffentlichung, und man kann sofort alles veröffentlichen.
Ja, aber auch viel belangloses Zeug. Ich bin noch nicht angesteckt von diesen neuen sozialen Medien. Ich bin nur indirekt auf Facebook und verfüge über keine eigene Registrierung, ich bin selber nicht aktiv weil ich skeptisch gegenüber Facebook bin. Es täuscht einen sozialen Zusammenhalt vor, der real nicht vorhanden ist. Ich finde auch, dass Steve Jobs in die Hölle kommen wird für das, was er angerichtet hat. Man kann sagen, dass dies das Ende der persönlichen Freiheit ist. Die Kontrolle ist total, und jeder kann sich in das Privatleben anderer einmischen. Ich bin sehr skeptisch bezüglich des Zugangs zu Informationen zu allen möglichen Inhalten über das Internet. Gewisse Inhalte im Internet sollte man einfach zensurieren. Jeder Massenmörder kann problemlos sein Pamphlet im Internet veröffentlichen. Zudem ist es unglaublich schwierig, das Internet und dessen Auswirkungen zu kontrollieren. Beispielweise die ganzen Bewegungen im arabischen Raum, deren Veränderungen ich zwar für gut befinde, deren Auswirkungen aber dennoch sehr ungewiss sind. Welche Richtung diese Länder verfolgen werden, bleibt unklar. Als ich die Bilder bei der Festnahme von Gaddafi gesehen habe, hat es mich «tschuderet». Für mich sah das nicht nach Demokratie und Rechtstaatlichkeit aus. Allerdings gibt es einige Politiker, die über Gaddafis Tod nicht unglücklich sind. Beispielsweise Berlusconi, welcher für mich wie Christoph Blocher ein «untoter» Politiker ist. Die politische Aktivität von Christoph Blocher überschreitet das Mass des Erträglichen. Sein politischer Antrieb ist seine Gekränktheit durch die Abwahl aus dem Bundesrat. Dafür will er sich rächen.
Gutes Stichwort, Endo. Wie sehen deine Prognosen für die anstehenden Bundesratswahlen aus?
Ich denke es braucht einen zweiten Sitz für die SVP, und es braucht nicht zwei für die FDP – das entspricht nicht ihrer Wählerstärke. Für den zweiten SVP-Sitz sehe ich Peter Spuhler. Offensichtlich funktioniert sein Verstand noch, und er ist privat, oder was seine Mitarbeiter betrifft, sozial, da er Mindestlöhne für seine Mitarbeiter eingeführt hat. Zudem ist er als Unternehmer sehr innovativ und generiert Arbeitsplätze.
Und wie sieht es für Widmer-Schlumpf aus?
Unbedingt lassen! Hingegen ist Schneider-Ammann nicht länger tragbar. Jedenfalls verfügt er nicht über genügend kommunikative Fähigkeiten. An Bundesrat Ueli Maurer mag ich, dass er wenigstens sagt, was Sache ist, und wie es um die Arme steht. Wenn neue Panzer gefunden werden im Wallis … 400 Stück. Maurer ist auf eine skurrile Art volksverbunden, und er lügt nicht. Das Hauptproblem der SVP ist ein intellektuelles. Auch die Kandidierenden: Erich Hess und Thomas Fuchs, die wirken doch fast wie Karikaturen, und ich frage mich, ob das nicht Absicht ist. Völlig überzeichnet. Ebenso Christoph Blocher: für mich gibt es keine überzeichnetere Person als ihn. Ich könnte ihn mir gut vorstellen auf einer Laienbühne, oder als Darsteller in einem Heimatfilm. Das Problem ist, dass die Leute das nicht merken. Es ist wie ein Stammtisch auf einer höheren Ebene. Lächerlich finde ich auch seine Berufung zum Politiker, welcher er sich nun fügen muss, und seine pseudo-Gotthelf‘sche Moral. Seinen Bruder finde ich interessanter: Gerhard Blocher, die Christoph Blocher-Variante ohne Stossdämpfer, seines Zeichens Pfarrer und Seelsorger – eine spannende Kombination.
Verfolgst du die aktuellen Politik- und Informationssendungen wie die «Arena» noch?
Nein. Ich habe keinen eigenen Fernseher mehr. Das Gebotene ist einfach schlecht: Das Privatfernsehen bringt man sowieso nicht runter, und den Sven Epiney brauche ich nun wirklich nicht. Dann schaue ich lieber Tele Bärn. Beim Schweizer Fernsehen schaue ich vorwiegend Informations- und Kultursendungen. Das schweizerische Vorabendprogramm ist wie DRS 3: einfach ungeniessbar. DRS 3 war mal mein Lieblingssender. Viele hören heute RaBe, vorwiegend Jüngere die auch kritischer sind. RaBe hat aber auch die bessere Musik. Mittlerweile gibt es sehr viele Lokalradiosender, wie das Radio «Neo» im Emmental: diese revolutionäre Bezeichnung passt ja perfekt zum Emmental. Was mich allerdings aggressiv macht, ist diese ständige Lärmbelästigung überall, selbst in den Kaufhäusern. Oder wenn man in eine Bar geht läuft andauernd «Ambient»-Sound. Es ist nirgendwo mehr ruhig. Diese nervige Klingeltonkultur.
Dein Buch «Walterfahren» enthält Kolumnen der Jahre 2007 bis 2009. In diesem Zeitraum gab es einige Ereignisse: Welches war für dich das Prägendste?
Innenpolitisch war es die Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher: Die grosse Überraschung der Abwahl, und das ganze «Gerangel» um die Bundesratssitze. International waren die prägendsten Ereignisse die Wahl von Barack Obama und die Anhäufung der verschiedenen Umweltkatastrophen. Die Ölpest vom Golf von Mexiko beispielsweise, deren globale Auswirkungen nicht direkt feststellbar, aber langwierig sein werden.
Walter ist die Bezeichnung für deinen in den Kolumnen erwähnten Wagen. Wieso um Gottes Willen nennt man einen 92er Mazda MX‑5 mit 125 PS Walter? Walter ist ja nicht gerade ein Name für ein sportliches, elegantes Auto!
Es ist ja auch nicht ein Auto, das wirklich schnell ist. Es tönt einfach nur schnell und ist eigentlich nur subjektiv schnell, weil es sehr tiefliegend ist und ein Fahrgefühl wie ein Gokart vermittelt. Eigentlich ist es ein «halbstarkes» Auto -– deshalb passt es zu mir. Allerdings sehe ich aus wie ein Osterhase, wenn ich damit fahre, und die Bandscheibe habe ich mir damit auch ruiniert. Benannt habe ich das Auto nach dem berühmten bayrischen Audiquattropiloten Walter Röhrl, der eine Rennfahrlegende ist. Zudem hat das Auto nur ein Röhrl (Auspuff). Deshalb stimmt der Ausdruck. Aber ich schenke ihn der Tochter als Maturageschenk. Zu ihr passt er besser.
Welche Bedeutung nimmt bei dir das Autofahren ein?
Ich muss beruflich viel Fahren, und nach einer gewissen Zeit stinken einem die ganzen Hotelübernachtungen. Diese Best Western Unterkünfte halte ich nicht mehr aus. Auch aus praktischen Gründen brauche ich das Auto, da ich halb im Emmental und halb in Ostermundigen wohne. Aber mit Walter kann ich nicht auf Tournee gehen. Zuwenig Platz. Walter ist eher etwas für den Sommer.
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2011