Sarah Stähli - Eines gleich vorweg: «Brokeback Mountain» verfolgt einen noch Tage, wenn nicht Wochen nach dem Kinobesuch und versetzt einem jedes Mal wieder einen kleinen Stich ins Herz.
Der neue Film des taiwanesisch-amerikanischen Regisseurs Ang Lee — der sich mit Filmen wie «Crouching Tiger, Hidden Dragon» und «Ice Storm» einen Namen gemacht hat — ist allergrösstes Gefühlskino in seiner schönsten Form. Der Film, der auf einer Kurzgeschichte der Autorin Annie Proulx basiert, spielt mutig mit dem Western-Genre und erzählt völlig natürlich eine homosexuelle Liebesgeschichte, die tiefer geht als manches, was in letzter Zeit auf der Leinwand zu sehen war. Dass «Brokeback Mountain» der grosse Abräumer an sämtlichen europäischen und amerikanischen Festivals und Preisverleihungen war und vor allem ein breites Publikum, auch im konservativsten Teil Amerikas, anspricht, zeigt die universelle Gültigkeit des Filmes und dies, obwohl er von zwei ausgeprägten Aussenseitern erzählt. Bereits die ersten Bilder sind von einer grossen Kraft. Zwei junge Cowboys warten inmitten einer Edward Hopper-Landschaft auf ihren Arbeitsgeber. Cool und stumm, den Hut ins Gesicht gezogen, wie es sich für richtige Cowboys gehört. Im Seitenspiegel seines Autos mustert der eine interessiert den anderen und bereits in diesem einen Blick merkt man: dies wird kein Western-Film im herkömmlichen Sinne.
Die beiden tragen die klangvollen Namen Ennis Del Mar und Jack Twist und werden auf Brokeback Mountain als Schafhirten engagiert, dort bilden sie eine kleine Schicksalsgemeinschaft, die eine Verbindung von ewiger Dauer bleiben wird. Nach einigen wortkargen Abenden am Lagerfeuer und ein paar maskulinen Machtkämpfchen kommen sich die beiden langsam näher und zeigen ihre weicheren Seiten. Als Ennis eines Nachts tapfer draussen verharrt, während Jack im Zelt übernachtet, bittet dieser schliesslich den vor Kälte zitternden Ennis ins Zelt. Dass diese erste gemeinsame Nacht der Anfang einer tragischen Liebesgeschichte ist, überrascht einerseits und scheint andererseits das natürlichste der Welt. Tragisch ist die Geschichte von Ennis und Jack deshalb, weil es eine Geschichte wie die ihre im prüden, ländlichen Amerika der frühen sechziger Jahre nicht geben darf. Homosexualität wird entweder verleugnet oder zu einer Todsünde verteufelt. Die beiden leben in einem Umfeld, in dem die Geschlechterrollen klar verteilt sind; überdies ist ein Cowboy das Sinnbild für einen «echten» Mann, um nicht zu sagen Macho. Obwohl vor allem Ennis ihre Beziehung als eine einmalige Sache, eine Art Phase abtut, spürt man schnell, diese Liebe wäre im Stande Berge zu versetzten, würden die beiden es nur zulassen. Als Ennis und Jack am Ende des Sommers getrennte Wege gehen, verabschieden sie sich als sei nichts zwischen ihnen gewesen; kurz darauf bricht Ennis zusammen. Wie hoffnungslos ihre Situation ist, wird einem hier erstmals bewusst.
Der Mittelteil des Filmes, der von der Heirat und Familiengründung der beiden erzählt, ist im Wissen um die leidenschaftliche Liebe zwischen den zwei Männern schmerzhaft mitanzusehen. Als sich die beiden nach Jahren wieder treffen, kommt die immense Leidenschaft augenblicklich zurück, ihr Wiedersehen gehört zu den intensivsten Momenten des Films. Jack und Ennis können nicht ohne einander sein.
Was folgt, ist lediglich ein kleinster Teil von dem, was sein könnte, kurze Momente des Glücks, doch Liebe kann auf die Länge nicht im Kompromiss überleben. Ein tragischeres Ende als dasjenige von «Brokeback Mountain» gab es im Kino schon lange nicht mehr, leider ist es aber das einzig Denkbare.
Getragen wird der Film neben der herausragenden Kameraarbeit von Rodrigo Prieto («21 Grams») von der grandiosen Leistung der beiden Hauptdarsteller Heath Ledger («Monster’s Ball») und Jake Gyllenhaal («Donnie Darko»). Mit grossem Einfühlungsvermögen und unglaublicher Glaubwürdigkeit verkörpern sie diese gebrochenen, widersprüchlichen Charaktere.
Gyllenhaal meint zur Tragik der Geschichte: «Was mich wirklich zerreisst, ist, dass Ennis und Jack zwei Menschen sind, die tatsächlich Liebe gefunden haben. Wenn du die Liebe gefunden hast, solltest du an ihr festhalten.»
Bild: zVg.
ensuite, Februar 2006