Die 200. Ausgabe von ensuite wird in den nächsten Tagen erscheinen und bei den AbonnentInnen im Briefkasten liegen.
Hier mein persönliches, längeres Resümee dazu:
Nein, hätte man mir das im Jahr 2003 erzählt, dass sich ensuite so lange auf dem Markt halten würde, hätte ich das für eine Utopie gehalten. Aber: Utopien sind machbar! Diese Erkenntnis entnahm ich dem Buch «Wir amüsieren uns zu Tode» des Medienwissenschaftlers Neil Postman. Und just dieser Fundus an Studien, die ich damals im Jahr 2002 für das Konzept dieses Kulturmagazin zusammentrug, brachte mir dauernde Kritik und Unvernunft entgegen. So zum Beispiel vom heutigen Creaviva-Leiter Urs Rietmann, der mit seiner Kritik an einer gemeinsamen Sitzung mit der Stadt Bern den eigentlichen Konflikt zwischen dem damaligen Kultursekretär und ensuite losgetreten hatte: «Wir wollen kein Lesemagazin und Deine Liste mit Buchbestsellern interessiert uns nicht.»
Gelesen hatte er oder der Kultursekretär meine Konzepte wohl nie. Die Reaktion war aber sehr typisch und stellvertretend für die Branche: VeranstalterInnen wollen die bestmöglichste Promo gratis. Die Stadt wiederum wollte die bestmöglichste Public Relation günstig. Die KünstlerInnen wollen das bestmöglichste Renommee gratis. Und die LeserInnen wollen die bestmöglichste Information – bitte auch gratis. Der Werbemarkt brach schon damals zusammen – hauptsächlich durch die Zusammenschlüsse von Firmen, die den Gewinn neu jetzt lieber im Personenkult und in AktionärInnen versenkten, statt gesellschaftlich und nachhaltig zu teilen. Der damalige Verleger vom BUND wollte das Engagement von ensuite im Februar 2003 mit der Zeitung verknüpfen, doch brach die kurz darauffolgende Zusammenlegung von BUND und Berner Zeitung keine Möglichkeit mehr ins Spiel, dafür viele Kündigungen.
WIE ein Magazin in einem solchen Markt überleben soll, wie es konzipiert sein kann, darüber wollte niemand nachdenken. Dass es dabei nicht um ein «wirtschaftliches Produkt» geht, sondern um ein gesellschaftliches Demokratieinstrument, welches nicht durch Geld, Macht, Einfluss, Kontrolle und Steuerung geplant werden muss, war bereits für viele zu komplex. Diese Verantwortung überlässt man auch heute noch den VerlegerInnen – die logischerweise kaum eine Möglichkeit haben, im Alleingang irgendjemandem gerecht werden zu können und oft auch nicht die grössten Denker der Zeit sind. Auch ich nicht – aber ich war weder Verleger noch hatte ich eine Ahnung, worauf ich mich da wirklich eingelassen hatte. Trotzdem habe ich in Bern fast alle VerlegerInnen überlebt.
Das Internet oder die Digitalisierung sind nicht schuld am Mediensterben. Wer sowas sagt verkennt, dass die Arbeitsprozesse in der Produktion schon längst komplett digital sind. Das hat gerade den Medienunternehmen viel Geld eingespart. Doch statt, dass man dieses gesparte Geld in den Marktaufbau investiert hätte, erstellte man Medien, welche die Konkurrenz mundtot machen sollten. Denken wir dabei an «.ch», «Metropol», «News», «20 Minuten», «heute» oder später «Blick am Abend» – dieses Geld hätte man sich sparen können, nur eine Zeitung hat jetzt schlussendlich den Kampf überlebt. Und das investierte Geld, die gesamten Gewinne der guten Jahre zuvor, war verpulvert. «20 Minuten» wird es wahrscheinlich auch nicht schaffen.
Konzeptlosigkeit ist das grösste Problem und die fehlenden Visionen. Wir können aus all den Informationen, die wir heute erhalten, keine logischen, effizienten und rationellen Schlüsse mehr ziehen. Etwa so, wie der Taschenrechner in der Schule das Kopfrechnen unmöglich macht. Die Schweiz ist beispielsweise mit der föderalistischen Bauweise und den rund 80’000 Vereinen ein hyperdemokratisches Land. Doch Vereine, Gewerkschaften, Interessensgruppen und alle möglichen Vereinigungen sind vom Mitgliederschwund bedroht. Das kommt den schwindenden AbonenntInnen gleich. Und man muss sich bewusstwerden, dass diese «Ent-Demokratisierung» von den Menschen, welche in der Demokratie leben, ausgeht. Schliesslich gibt es heute das Leben auf «demand». Wir haben einen Zenit überschritten und bewegen uns talwärts. Es sind nicht äussere Umstände, sondern die Einzelinteressen der Menschen, welche die grosse Veränderung in der Geschichte schreiben. Es ist unsere Kultur, wie wir mit der Gesellschaft umgehen. Und das wird sich alles auch wieder ändern.
Das waren auch meine Grundgedanken, als ich 2002 das ensuite konzipierte. Noch heute lacht man darüber und unser Archiv füllt sich gleichzeitig mit den Geschichten über Unwissenheit, Einstellungen oder Konkurse, Entlassungen, Unterfinanzierungen, Fehlplanungen, etc. … Ich habe viele Menschen in der Kulturförderung vorbeiziehen sehen. Gefragt hat nie jemand was – aber alle wussten alles besser.
Der Irrsinn ist ja: Am Geld liegt es nicht. Dieses ist massenhaft und im Überfluss vorhanden. Nur, wofür? Und da folgt die Sinnfrage. Im Vergleich: Die Stadt Bern hat seit 2004 der hauseigenen Berner Kulturagenda, trotzdem wir mit der Stadt zusammenarbeiten wollten, über 2 Millionen Franken Fördergelder zugesteckt und den Vertrieb und Produktion über den regionalen Amtsanzeiger abwickeln lassen. Man wollte uns austrocknen lassen und verbot sogar Institutionen, bei uns Werbung zu schalten. Von einem «unlauteren Wettbewerb» will niemand was hören. Immerhin: Die Berner Kulturagenda steht schuldentechnisch nicht besser da, als wir. Diese «Förderung» hat überhaupt nicht funktioniert. Im Gegenteil: Das öffentliche Geld wurde in ein Firmenkonstrukt geworfen, wo sich viele Firmen mit dem gleichen Besitzer gegenseitig die Aufträge zuspielen. Die PolitikerInnen möchten sich natürlich daran nicht die Finger verbrennen und gucken in die Luft. Ab 2020 sollen jetzt wenigstens die Subventionsgelder aus der Kulturabteilung wegfallen. Wer’s glaubt, wird selig.
Kultur- und Kunstmagazine werden reihenweise eingestellt. Die Werbung klemmt. Seit ca. 15 Jahren greift die öffentliche Kulturförderung so tief in die Taschen und verteilt Geld, wie «Hochzeitstäfeli». Und symbolisch entsprechend hängt die Kulturbranche heute viel zu stark am Geldhahn der öffentlichen Hand und tanzt nach deren Gouts. Ich bin nicht gegen eine öffentliche Kulturförderung. Jedoch sehe ich in der Förderung eine Notwendigkeit für eine Entwicklung und nicht eine Durchfinanzierung. Dazu bräuchte man den gesellschaftlichen Dialog und Konzepte, Visionen. Noch immer hat ein Scheinwerfer und ein Schauspieler in dieser Förderung den gleichen Wert: Die Budgets für das künstlerische Schaffen und für die Infrastruktur kommen noch immer aus dem gleichen Topf. Das ist kompletter Unsinn: Je institutionalisierter ein Kulturbetrieb ist, umso weniger muss er sich um Geld bemühen. Das heisst, oftmals reichen die Eintritts- oder Vermietungseinnahmen, um die politisch geforderten 20 %-Marke zu erreichen. Die Kulturinstitutionen sind damit nicht dazu gedrängt, mehr Geld aufzutreiben, sich mehr mit der Bevölkerung zu sozialisieren – sprich: Die Wirtschaft liess man fallen. Kaum ein privates Wirtschaftsunternehmen kann sich über Kulturengagement noch profilieren. Wer das Werbematerial von VeranstalterInnen genau anschaut, sieht selber: Es sind nur noch öffentliche Kulturförderer mit dem Logo vertreten und ein paar Stiftungen, die schon fast das Monopol in der Kunstförderung innehaben. Und klar, da sind noch die Luxusmärkte – doch die sind vom Alltag weit entfernt. Jene, die sich hier noch inszenieren können, machen dies nicht uneigennützig, werden oft selbst vom Bundesamt für Kultur mitunterstützt durch Kooperationswirkungen. Dazu kommt, dass die Kulturinstitutionen selbst teuer Kultur-PR-Magazine herstellen, wo sich subventionierte Institutionen gegenseitig Gratis-Austauschinserate zuspielen. So zeigt man dem Subventionszahler, dass man sich um Werbung bemüht – investiert aber kaum einen Franken dafür.
Der Geldkreislauf in der Kulturförderung ist unterbrochen, deswegen sterben in der Kulturbranche die Mitbewerber, Teil- oder Zulieferanten, oder eben die Medien, aus. Es ist eine Einbahnfinanzierung geworden – da hilft auch keine staatliche Subvention. Unterdessen ist das ungefähr vergleichbar mit den KunstsammlerInnen, die direkt bei den KünstlerInnen einkaufen – und die Galerien nicht mehr miteinbeziehen. Das hat fatale Folgen, denn die KünstlerInnen machen keine Werbung für sich und fehlen diese Kunst-Renommee-Instanzen einmal, wird dem Kunstmarkt das Geld verloren gehen. Das ist schon heute eine grosse Bedrohung im Kunstmarkt: Bei Auktionen gehen bekannte Namen zu Unsummen, während sich neue Kunst kaum verkaufen lässt – schon gar nicht zu realistischen Preisen.
Diese Mentalität, die wir heute im Markt vorfinden, ist selbstzerstörerisch und es ist noch eine Frage der Zeit, bis die Konsequenzen grosse Auswirkungen zeigen werden. Was vergessen gegangen ist: Wenn wir zusammenarbeiten würden, käme alles viel günstiger und wäre aufbauender. Doch spielt der gesellschaftlichen Entwicklung die ICH-AG, die individuelle Selbstüberschätzung, dagegen. An den Schlüsselpositionen in den Märkten sitzen heute Menschen, die nur noch «das Projekt» kennen – aber nicht dessen Kontinuität. Bereits jetzt spüren wird die Schwächungen im politischen Alltag: Für mich ist der wachsende Rechtspopulismus eine direkte Folge unseres verlorenen Gemeinschaftsbewusstseins. Mit anderen Worten: Einer verlorenen gemeinsamen Kultur.
Dass ensuite also die Nummer 200 produziert hat, ist weit mehr, als ein lockeres sich selbst auf die Schultern klopfen. Das hat wenig mit einem Wettbewerb zu tun, ist keine Siegesleistung. Doch der Fakt, dass wir in diesem Jahr unser Werbe-Einnahmen-Budget bereits Anfang Juni zu 100 % verbucht hatten, zeigt, dass wir absolut den richtigen Kurs fahren. Klar bin ich stolz – aber es geht mir um viel mehr, als Sie denken!
Schaffen wir die gemeinsame Wende? Vielleicht, aber nur gemeinsam. Ich erkenne viele Entwicklungen, die positiv darauf hinweisen. Denn: Der Mensch hat eigentlich immer Kultur. Wir müssen ihm dies einfach wieder bewusst werden lassen. Und das ist unsere Funktion oder Bestimmung als Magazin seit 17 Jahren.
Wir freuen uns, wenn Sie über uns mit Ihren FreundInnen reden, uns abonnieren, wenn Sie uns kritisieren und den Dialog suchen. Wir machen das nicht zum Spass hier, sondern es geht um viel mehr. Und Sie, liebe LeserIn, sind ein Teil davon.
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Mit freundlichem Gruss
ensuite – Zeitschrift zu Kultur & Kunst
Lukas Vogelsang
Gründer, Chefredaktor und Mitglied der Verlagsleitung