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Entre Nous

Von Stanislav Kutac — Paradies im Boudoir – Soirée mit sinnlichen Klei­derkreatio­nen, ero­tis­chen Tex­ten und berauschen­der Musik: Bea­ta Sievi, Corsetière und Inhab­erin des Ate­liers «entre nous», ver­führt ihr Pub­likum in die galante Zeit des Rokoko.

Verträumt in einem Buch lesend – als ob sie die Anwe­sen­heit des Pub­likums nicht bemerken würde – schre­it­et eine Frau durch den Saal. Gehüllt in dunkel vio­let­ten Sei­dentaft, der in reichem Fal­tenwurf zu Boden fliesst, lauscht sie den Klän­gen der Harfe. Ihre san­ften Bewe­gun­gen sind erfüllt von Anmut; zweifel­sohne weiss sie um die Wirkung ihrer Erschei­n­ung. Sie ver­liert ihre Con­te­nance auch keineswegs, als ein ihr unbekan­nter Herr den Raum betritt. Auch wenn dieser sich beeilt, die Dame mit Galante­rien zu umwer­ben.

«Längst sind in Frankre­ich Mann und Frau gle­ich­berechtigt in ihren Ansprüchen an das Vergnü­gen. Find­et man aneinan­der Gefall­en, so genügt es, wenn der Lib­ertin der Dame auf geschick­te Weise Inter­esse sig­nal­isiert. Sodann heuchelt sie tugend­haften Wider­stand, denn dies wertet den Feldzug ihres Erober­ers auf.» Und siehe da, unserem Lib­ertin gelingt es allmäh­lich, der Umwor­be­nen das Ver­sprechen für ein Ren­dez-vous abzurin­gen. In diesem delikat­en Moment betritt eine anders geart­ete Schön­heit das Szenario. Bei­de Damen buhlen sogle­ich mit der Enge ihrer Taille und der Fülle ihres Décol­letés, wenn auch mit unter­schiedlichen Mit­teln. Der Epoche entsprechend tra­gen sie eine für das Rokoko typ­is­che Vor­liebe für Naturbe­zo­gen­heit im Detail zur Schau. So ent­deckt der aufmerk­same Betra­chter an der mit grünem Taft über­zo­ge­nen Kri­no­line gar echte Trauben. Sie wollen nicht nur die Gelüste des Lib­ertins auf die darge­bote­nen Früchte weck­en…

Die Insze­nierung ein­er Rokoko Soirée mit den neuen, gewaltig poet­is­chen Klei­der­in­ter­pre­ta­tio­nen von Bea­ta Sievi wurde vor 80 gelade­nen Gästen im Gemein­de­saal Benken bei Rap­per­swil aufge­führt. Für die Lesung «Paradies im Boudoir» hat Bea­ta Sievi die Form des Briefwech­sels zweier Fre­undin­nen gewählt. Die Briefe der englis­chen Kur­tisane Fan­ny Hill stam­men aus der Fed­er von John Cle­land, der seinen welt­berühmten Roman im Jahr 1748 nicht etwa im Boudoir, son­dern im Gefäng­nis geschrieben hat­te, nur um sich sein­er hor­ren­den Schulden zu entledi­gen. Die Briefe der franzö­sis­chen Fre­undin Jean-Marie hat Bea­ta Sievi auf der Grund­lage von eige­nen Recherchen über die Kul­tur der Lib­erti­nage ver­fasst. Angelehnt an Cle­lands bild­hafte Sprache entwick­elt sich so ein ungeah­nt prick­el­nder Dia­log, der an sich frei ist von jedem vul­gären Vok­ab­u­lar, und den­noch nichts an Ein­deutigkeit ver­mis­sen lässt – schon gar nicht die so genan­nten Tabus ver­nach­läs­si­gend, die ihrer­seits nur die all­gewär­tige Präsenz des Anrüchi­gen in jen­er Zeit unter­stre­ichen. Getra­gen von sor­glos­er Spon­taneität und jugendlich­er Leb­haftigkeit lassen uns die Darstel­lerin­nen hin­ter die Kulis­sen des dama­li­gen Hochadels blick­en. Ins­beson­dere die volle Stimme von Ali­cia Aumüller ver­lei­ht Fan­ny Hill die Aura ein­er über alles Erhabenen und mit allen Düften par­fumierten Lebe­frau.

Wer bei all dem Augen­schmaus – Musik­er, Dien­st­mäd­chen und teil­weise auch die Gäste tru­gen Kreatio­nen des Ate­liers «entre nous» – auch noch musikalis­chen Ohres war, ver­nahm anschmiegsam liebliche Klänge der Harfe, vor­ge­tra­gen von Rebek­ka Ott, kon­trastierend zum erdig war­men Ton der Oboe von Rico Zela. Eine Kom­bi­na­tion zweier Musik­er, die anlässlich dieses Pro­jek­tes zum ersten Mal zusam­menge­fun­den haben.

Bea­ta Sievis Erfahrun­gen in The­ater­regie, die Verbindung von Profis und begeis­terten Ama­teuren machte diese Soirée zu einem berührend men­schlichen Ereig­nis, welch­es uns glaub­haft und humor­voll in eine Welt der Bilder, Geschicht­en und Phan­tasien ent­führte, die so manch­er und manche nur ungern wieder ver­liess.

Jean-Marie, die junge Französin, schien dem hüb­schen Lib­ertin ihr Ver­trauen für immer geschenkt zu haben – denn der ein­stige Galan trug zum Abschluss ihre zahlre­ichen Kof­fer, Schirme und den Vogelkä­fig, stets darauf bedacht, sich nicht in der drei Meter lan­gen Schleppe sein­er Lieb­sten zu ver­fan­gen. Auch diesem Aufwand zum Trotz behielt der junge Ehe­mann die Würde. Er gedachte wohl Voltaires Aus­sage: «Freude zu bere­it­en kann ganz schön anstren­gend sein».

Foto­strecke Kun­st­mu­se­um Win­terthur:
www.stanislavkutac.com/?cat=26

Foto: zVg.
ensuite, Okto­ber 2011

 

Artikel online veröffentlicht: 20. Februar 2019