Von Corinna Möller - Elfriede Jelineks Sprechoper „Kein Licht“ vorzeitig zu verlassen, kann jemandem vielleicht nicht so übel genommen werden, wie eines von Jelineks Büchern vorzeitig zuzuschlagen. Ob man die Inhalte verträgt oder vertragen möchte, ist nicht gleichbedeutend damit, ob man auch die Form verträgt oder vertragen möchte, in der dieser Inhalt präsentiert wird. Diese Meinung zu vertreten könnte jedenfalls alle die entschuldigen, die das Ende, den Epilog nicht abwarten wollten und ihre Plätze bereits in der Pause oder während Stücks geräumt haben. Letzteres wäre dann zwar doch nicht unbedingt nötig gewesen, aber sie sollen mildernde Umstände bekommen.
Die schweizer Erstaufführung des bereits 2011 in Köln uraufgeführten Dramas fand im Rahmen des Berner Musikfestivals „WahnWitz“ in der Dampfzentrale statt, doch wie der von Jelinek eingesprochene und über Lautsprecher abgespielte Prolog bleibt auch der „Rest“ der Inszenierung von Ernst Marianne Binder im Hintergrund weitestgehend still. Bis auf das auf einem Podest installierte Fahrrad, dessen Dynamo zeitweise das einzige Licht und bis auf vereinzelte gespenstische Geräusche die einzige Hintergrundmusik produziert, sind 6 Stimmen das, was man hören und 6 Figuren das, was man sehen kann. In die Nicht-Farbe Beige sind 5 dieser Nicht-Menschen gekleidet, die zugleich Opfer und Mitverantwortliche der atomaren Katastrophe sind, von der nie direkt die Rede ist, die im Dunkeln steht und um die „Kein Licht“ unmissverständlich kreist. Die 6. Figur ist als einzige männlich, sie trägt Sonnenbrille und Anzug, und sie ist diejenige, die den Dynamo in Gang bringt, indem sie fortlaufend in die Pedalen tritt. Dabei schweigt sie, beim Stromerzeugen auf dem goldenen Fahrrad schweigt sie, und die Sonnenbrille scheint auf eine andere Blindheit hinzuweisen als auf die, die durch das „helle Licht“ verursacht wird. Ihre Blindheit, ihr Leiden scheint schon früher dagewesen zu sein und auch immer noch da sein zu wollen. Doch auch die Blindheit der anderen wird bald immer deutlicher.
Am Anfang liegen die Opfer wie Leichen auf dem Boden, formlos wie der Schlamm, zu dem sie geworden sind. Nach und nach fangen sie an sich zu regen und zu sprechen, obwohl ihre Töne eigentlich längst verstummt sind und sie sich eigentlich gar nicht mehr hören können. Nichts als Lärm und Lärm als Nichts ist zu hören in den Ohren der Gespenster, und im Verlauf der Monologe, die zuerst einzeln, später auch als Komposition, im Chor, im Kanon präsentiert werden, werden Themen zum Thema, die versuchen, die Komplexität einer solchen Katastrophe einzufangen. Den Ausmassen des Super-GAUs wird versucht mit einer Flut von Worten entgegenzukommen, zu entgegnen, gerecht zu werden, bis zum Schluss, den der Epilog einer alten Trauernden bildet. Wenngleich das so zu erwarten war, mag es für den aufmerksamen Zuhörer, der man unweigerlich sein muss, um mitzuhalten, vielleicht das eine oder andere Wortspiel zu viel und das eine oder andere Thema etwas zu plakativ, zu ausgeschmückt gewesen sein.
Das Ergebnis der Explosion ist für den Zuschauer also vor allem hörbar, dies aber ausschliesslich gesprochen. Das Stück kann trotz seiner Schwere Spass machen, vielleicht aber noch mehr mit Musik, vielleicht vor allem auch im Rahmen eines Musikfestivals.
“Kein Licht”, das am 14. und 15. September im Turbinensaal der Dampfzentrale aufgeführt wurde, ist eine Koproduktion von Drama Graz mit Theater Faimme, KosmosTheater Wien und dem Musikfestival Bern in Zusammenarbeit mit der Hochschule der Künste Bern.