Von Sabine Gysi - Für ein paar Augenblicke hält es den Atem an, das Publikum in der Barfussbar am letzten Sommerabend des Jahres; nur Fetzen von Musik von irgendwoher und eine Polizeisirene am Limmatquai unterlegen Pedro Lenz’ Stimme. Die Holzbretter der alten Badeanstalt schaukeln mit der Limmat. Im nächsten Moment lachen alle verlegen los, denn Pedro Lenz sagt Dinge, die wir nicht ganz zu Ende zu denken wagen, Dinge, die wir im Alltag wie einen lästigen Mückenschwarm verscheuchen.
Pedro Lenz gibt diesen Gedankenfragmenten eine Gestalt. Präzis formuliert er, was wir eigentlich von der hippen kulturellen Veranstaltung in jenem Keller in Basel halten, wo man einfach hin muss. Was wir insgeheim wirklich über unseren Nachbarn denken. Er erzählt auch über jenen Jungen, der in der Schule immer gehänselt wurde, und der es jetzt zu etwas gebracht hat — weil er sich nie etwas daraus machte, was die Leute von ihm dachten. Pedro Lenz blickt beim Erzählen etwas traurig und etwas träge in die Welt, und wenn er «Dehr, das het mi möge» sagt, wobei er das «Dehr» charakteristisch langgezogen ausspricht, wird sein Blick noch eine Spur trauriger, während die Zuhörer schmunzeln.
Im Oktober veröffentlicht Pedro Lenz ein Buch. Ein Buch? Nicht etwa, dass er bisher nichts Geschriebenes veröffentlicht hätte: Verfasst er doch regelmässig Kolumnen für verschiedene Zeitungen. Auch sein «Lexikon der Provinzliteratur», das 2005 im Zürcher Bilgerverlag erschien, ist uns in bester Erinnerung. Da gibt es einen Gedichtband. Und trotzdem — in den letzten Jahren hat sich Pedro Lenz uns eingeprägt als einer, der auf den Bühnen des gesprochenen Wortes steht. Als Sieger von Poetry Slams. Wenn wir an Pedro Lenz denken, hören wir seine Stimme und sein melodisches Berndeutsch.
Nach den beiden Mundart-CDs «I wott nüt gseit ha. Monologe des Kummers» und «Angeri näh Ruschgift. Monologe der Leidenschaft» nun also das Buch «Plötzlech hets di am Füdle», das im Cosmos-Verlag erscheint. Ein Mundart-Buch. Es wird einige Texte enthalten, die wir schon von der letzten CD kennen, aber auch neue Texte. «Es handelt sich um den Versuch, Spoken Word schriftlich festzuhalten. Freilich empfiehlt es sich, das Buch laut zu lesen», sagt Pedro Lenz dazu.
Beim Schreiben denkt Pedro Lenz immer daran, wie der Text gesprochen klingen würde: «Um meinen Rhythmus beim Lesen nicht zu verlieren, mache ich beim Schreiben immer dort Zeilenumbrüche, wo ich ein wenig Luft hole oder absetze. Ausserdem lese ich mir den Text beim Schreiben ständig laut vor. Und immer dort, wo ich den Eindruck habe, etwas passe rhythmisch nicht, ändere ich so lange, bis ich den Rhythmus gefunden habe, der mich logisch dünkt.»
Pedro Lenz blickt auf keine typische Schriftstellerlaufbahn zurück, wenn es denn eine solche gibt. Er war schon Maurer, Student der spanischen Literatur, Jugendarbeiter. Vielleicht ist dieser eigenwillige Weg die Voraussetzung dafür, dass wir nie etwas Abgehobenes in Pedro Lenz’ Texten finden. Und wenn wir für einen Moment abheben beim Zuhören, dann landen wir ziemlich unsanft dort, wo wir herkommen: Nein, ich bin in Wirklichkeit keine verführerische Kubanerin, sondern ein Mädchen aus Bern; nein, wir waren nicht ganz im Tessin, sondern haben’s knapp bis in den Jura geschafft.
Nicht genug der Auftritte und Publikationen: Pedro Lenz wirkt an verschiedenen Projekten aktiv mit, in deren Mittelpunkt das gesprochene Wort steht. Sie heissen «Hohe Stirnen», «Tintensaufen» und «Bern ist überall». Bei «Bern ist überall» ist der Autor Guy Krneta mit dabei. Gemeinsam mit ihm hat Pedro Lenz vor wenigen Wochen allabendlich das Geschehen am Zürcher Theater Spektakel kommentiert — in der Rolle eines Sportjournalisten, der sich in die Welt der Kultur wagt. Und gerade durch seinen unverbrauchten Blick den gestandenen Kulturjournalisten überflügelt.
Noch heute, in der Barfussbar, am letzten Sommerabend des Jahres, steht Pedro Lenz allein auf der Bühne. Er ahmt jetzt einen Secondo-Slang nach und wir merken, dass es nicht darum geht, sich darüber lustig zu machen, sondern dass er den Slang als eigenständige Sprache anerkennt, sich deren Besonderheiten und Rhythmen aneignet. Bis es plötzlich nicht mehr nachgeahmt klingt. Es ist nicht mehr Pedro Lenz, der da vorne spricht, und doch ist es unverkennbar Pedro Lenz.
Bild: Daniel Rihs
ensuite, Oktober 2008