Von Irina Mahlstein — Phasenweise kann ich Menschen nicht ausstehen, in diesen Momenten nervt mich all dieser langweilige Smalltalk – und wohl gemerkt, im Smalltalk bin ich Champions League. Doch manchmal, wenn die Tage im Bau unendlich lange werden, ich in einem noch endloseren Vortrag sitze, dann kommt es mir manchmal vor, dass es um mich herum richtig nach Mensch stinkt. Das sind dann jene Tage, an denen ich verdammt froh bin, dass ich keinen sozialen Beruf erlernt habe. Wäre ich Krankenschwester und ich müsste an einem solchen Tagen Kotze aufwischen… Ich glaube, meine Geruchsnerven wären bald in einer Nervenanstalt. Meiner Rechenkiste ist es egal, wie oft ich sie anfluche, oder ob ich sie tagelang anschweige. Und falls es meiner Kiste nicht passen sollte, dann stell ich eben einen Rosenquarz neben sie.
Immerhin, dies ist ein Privileg meines halb nerdigen Daseins. Ich kann mich verkriechen, ich muss nicht sprechen. Es ist halbwegs normal, oder sagen wir mal, niemand findet es weiter beunruhigend, wenn ein Wissenschaftler stundenlang ohne Kommunikation vor sich hin vegetiert. Und glücklicherweise gibt es für diese Fälle Skype, das perfekte Kommunikationsmittel für menschenfeindliche Tage. Dialoge sind möglich, ohne dass man das Gegenüber sieht, riecht oder sonstige höhere Interaktionen tätigen muss. Und so kann ich munter einsam in meinem Kämmerchen hocken, denken und dabei mit der ganzen Welt kommunizieren. Ähnlich wie Facebook, man kann da Hunderte von Freunden haben, und per Mausklick kommt mit etwas Glück ein weiterer dazu. Man kann nach der Arbeit gleich nach Hause, sich einloggen und loschatten mit all den tollen Freunden, die man weltweit besitzt. Die Welt wird zum Nerd. Und alle finden es cool, sogar die Modewelt.
Apropos stinkende Menschen: Anscheinend hat das Rauchverbot in Bars zum Nachteil geführt, dass man nun anstatt den stinkenden Rauch einzuatmen verschiedene menschliche Gerüche riechen muss — nicht kann, muss. Offenbar können wir Menschen uns in einem solchen Grad nicht riechen oder sind dermassen ungeduscht unhygienisch, dass die Bars mit Duftbäumchen dekoriert werden (in diesen Bars hat bestimmt niemand mehr Sex auf dem Klo!). Wir Menschen können uns folglich nicht riechen, wenn wir uns tatsächlich so geben, wie wir sind. Entweder hüllen wir uns ab sofort mit Duftstoffen von künstlichen Bäumen ein, oder Parfüms, Eau de Toilette und ähnliche Produkte werden in Zukunft staatlich subventioniert. Ansonsten läuft die Menschheit eventuell Gefahr, von der Erde zu verschwinden. Was wiederum den Vorteil hat, dass das Klimaproblem nachhaltig und für immer gelöst wäre. Womit ich meinen Job los bin, meine momentanen Anstrengungen umsonst wären, was aber keine Rolle spielt, da ich ja dann auch nicht mehr bin. Auf jeden Fall nicht mehr hier, auf dieser Erde.
Oder wir beschränken unsere menschlichen Interaktionen auf elektronische Medien. Um Kinder zu zeugen benötigen wir den Beischlaf ja schon lange nicht mehr. Oder wir rauchen fröhlich weiter, riechen einander deswegen nicht, die menschliche Fortpflanzung ist weiterhin gesichert, wir sterben weiterhin an Lungenkrebs, damit entlasten wir ebenfalls die AHV. Ich frage mich sehr, ob man wirklich diese Rauchverbots auch rückwärts angeschaut hat. Sollte man für solche Dinge nicht auch ein Life Cycle Assessment beauftragen oder sowas in der Art? Ehrlicherweise muss ich allerdings gestehen, dass ich mich auf rauchfreie Brunches und rauchfreie Feierabendbiere freue. Und meine asozialen Tage sind Gott sei Dank hormonabhängig, folglich kann ich mich auf jeden Fall an gewissen Tagen in eine Bar wagen, ohne dass mir die menschlichen Gerüche zu stark zusetzen.
Foto: Lukas Vogelsang
ensuite, November 2009