Von Heike Gerling — In einem ruhigen, von viel Grün und villenartigen Bauten geprägten Wohngebiet im Zürcher Stadtquartier Enge, nahe des Rietberg-Museums und des Rieterparks, ist derzeit an einem spannenden Beispiel zu beobachten, wie der Charakter der Stadt durch ihre Architektur geprägt und durch Neubauten verändert wird. In diesen Tagen werden die letzten Bauten einer Wohnsiedlung abgerissen, die der Architekt und damalige ETH-Professor William Dunkel in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts geplant hatte. Auf dem langgestreckten Grundstück zwischen Scheidegg‑, Brunau- und Kurfirstenstrasse boten 13 weiss verputzte, dreigeschossige Mehrfamilienhäuser Raum für 72 Wohnungen.
Die architektonische Sprache dieser in serieller Reihung entlang der Grundstücksgrenzen mit Rücksicht auf Himmelsrichtung und Erschliessung unterschiedlich angeordneten Riegelbauten war zurückhaltend und unspektakulär. Auf den zweiten Blick fielen moderat modernistische Elemente auf, wie die gewendelten Treppen, die hinter den Glastüren der Eingangsbereiche sichtbar waren, oder die an Alvar Aaltos Architektursprache erinnernden Sichtschutz-Elemente aus weiss gestrichenen Holzlatten, mit denen der Architekt die Fassade gegliedert und die Fenster der Erdgeschosswohnungen zur Strasse hin abgeschirmt hatte.
Das Gelände der Siedlung wurde von einer kleinen Steinmauer umfasst; wo im Erdgeschoss Terrassen zur Strasse hin angrenzten, wuchs die Steinmauer nach oben und wurde zum Fundament eines zum Grün hin leicht gerundeten Sichtschutzes aus weissen Holzlatten, durch die im Lauf der Zeit die Äste benachbarter Gewächse hindurchgewuchert waren. Der grüne Innenbereich zwischen den Häusern mit seinen Büschen und Bäumen hätte theoretisch auch Spaziergängern zugänglich sein können, aber er wirkte dafür doch zu privat. Die Siedlung hatte einen introvertierten, ruhigen Charakter. Die Menschen, die hier wohnten, wirkten weder arm noch reich; es waren Angehörige der gesellschaftlichen Mittelschicht.
Im Jahr 2008 lud die Eigentümerin der Liegenschaften, Credit Suisse, gemeinsam mit dem Totalunternehmen Allco eine Auswahl von Architekturbüros ein, zwei mögliche Optionen für die weitere Zukunft des Areals zu prüfen: Eine Sanierung der alten Siedlung sollte gegen die Möglichkeit eines Abbruchs und Neubaus abgewogen werden. Das Neubauprojekt des relativ jungen, aber renommierten Zürcher Architekturbüros Eckert Eckert Architekten – abgekürzt e2a – gewann den Wettbewerb, auf dessen Grundlage jetzt 127 neue Wohnungen verschiedener Grösse gebaut werden; das Spektrum reicht von 2 1/2 bis zu 5 1/2 Zimmern. Dass eine Sanierung der alten Siedlung nicht weniger gekostet hätte als ein Abriss und Neubau, soll den Ausschlag für die Entscheidung zum Neubau gegeben haben.
Inzwischen ist ein Teil der alten Bebauung durch die ersten vier der insgesamt elf geplanten Neubauten ersetzt worden; der neuen Siedlung wurde der vieldeutige Name «Escherpark» gegeben. Im Januar sind die ersten Mieter eingezogen, und der Charakter der neuen Bebauung ist schon erlebbar, wenn auch die vorgesehenen neuen Büsche und Bäume um die Häuser herum erst in den nächsten Monaten gepflanzt werden. Nebenan hat mit dem Abriss der letzten Altbauten gerade die zweite Bauetappe begonnen; im Juli 2015 soll der zweite Teil der Siedlung bezugsbereit sein.
Beim Vorbeispazieren fällt das Material der elegant, aber unprätentiös wirkenden Gebäude auf, das einen ruhigen und doch lebendigen Hintergrund für die erhalten gebliebenen alten Bäume auf dem Grundstück bildet. Die viergeschossigen, locker auf dem Grundstück verteilten kubischen Baukörper werden durch fein proportionierte Fassaden aus geflammtem finnischen Fichtenholz umschlossen wie von einer Haut, die sich auf einfache und zugleich raffinierte Weise verändert, je nachdem, welche Räume sich hinter ihr verbergen. Neben raumhohen Fenstern stehen ebenso hohe, verschiebbare Klappläden, die aus dem gleichen Holz bestehen wie die Fassade selbst. In geöffnetem Zustand gliedern und beleben sie als plastische vertikale Elemente die Fassade; werden sie geschlossen, sind sie optisch ein kaum noch unterscheidbarer Teil der Fassadenhaut. Im Bereich der Badezimmerfenster wird jede zweite Latte der Fassadenverkleidung weggelassen, so dass sich ein feststehender, lichtdurchlässiger Sichtschutz ergibt, der entfernt an die frühere Bebauung denken lässt. An den Ecken der Gebäude wird die Fassadenhaut noch weiter aufgelöst, um die grosszügigen Loggien freizulegen, die das Innere der Wohnungen mit der Aussenwelt verschränken und die Wohn- und Essbereiche in den Wohnungen wesentlich prägen. Das wichtigste gestalterische Thema der Wohnungen im Inneren besteht weniger in ihren architektonischen Details, als vielmehr in ihrer Ruhe und dem Bezug zur Parklandschaft vor den Fenstern: Auf der Basis klarer, zugleich grosszügig und rational entworfener Grundrisse und angenehmer Räume geben die Loggia und die Fenster den Blick auf gerahmte Landschaftsbilder frei.
Trotz des im Vergleich zur früheren Bebauung deutlich grösseren Bauvolumens und eines zusätzlichen Geschosses wirkt die neue Bebauung relativ locker und nicht repetitiv. Die Gebäude sind nicht identisch; es gibt vier unterschiedliche Bautypen, deren äussere Volumina sich entsprechend ihrem unterschiedlichen inneren Aufbau voneinander unterscheiden. Die Baukörper sind so gegeneinander versetzt, dass zwischen ihnen und ihrem architektonischen Umfeld vielfältige Beziehungen und Durchblicke entstehen. Hier wurden bei der Entwurfsarbeit nicht nur die Gebäude selbst, sondern auch die Räume zwischen ihnen und den benachbarten Bauten mitgedacht, so dass die halböffentlichen, grünen Aussenräume der neuen Bebauung mit der Gartenlandschaft der Nachbargrundstücke in Dialog treten, und der parkartige Charakter des Quartiers mit seinen villenartigen Solitärbauten, Ein- und Mehrfamilienhäusern gestärkt wird.
Das Entwurfsprinzip, besondere Aspekte der Umgebung aufzugreifen und sie in gestalterische Elemente des Neuen zu übersetzen, zeigt sich in vielen Feinheiten des Projekts; so auch darin, dass ein erhalten gebliebener Rest der alten, steinernen Umgebungsmauer des Areals jetzt durch eine niedrige weisse Betonmauer fortgesetzt wird, die das Gelände des Neubauprojekts umfasst und in den Eingangsbereichen die Besucher ins Gebäudeinnere leitet.
Der Grundriss der Tiefgarage ist um das Wurzelwerk der erhalten gebliebenen alten Bäume herum entwickelt worden. Auch das immerhin 6 Meter betragende Gefälle vom Ende des Grundstücks bis zur Brunaustrasse ist ablesbar: Die Höhenlinien sind an den Wänden mit weisser Strassenfarbe markiert. Abdeckgitter von Lüftungsschächten werden in der natürlich belüfteten Unterwelt nicht nur vor Lüftungsöffnungen, sondern auch zur Abgrenzung offen einsehbarer Nebenräume verwendet. Aus der Beton-Unterwelt wachsen die Sockel der Bauten mit ihren Lift- und Treppenhauskernen nach oben und tragen die hölzernen Gehäuse der Wohnungen.
Der Bezug zur Umwelt hat über die gestalterische Wechselbeziehung zwischen Bestehendem und Neuem hinaus noch eine weitere Dimension: Die Gebäude erfüllen den Minergie-Eco-Standard; es wurde energieeffizient gebaut. Die Wohnungen verfügen über eine kontrollierte Lüftung und Bodenheizung; die Wärme wird mit Erdsonden gewonnen. Der verwendete Beton wurde recycliert. Das Fichtenholz der Fassade trägt das FSC-Label; statt es mit giftigen Chemikalien vor dem Verfall zu schützen, wurde es geflammt, gewaschen und gebürstet; ohne grosse Wartung soll es so bis zu 80 Jahre lang haltbar sein. Die Farbe des Holzes, das im Moment einen hell-rotbraunen Ton hat, soll sich mit der Zeit verändern, bis es fast schwarz wird. Dass verdichtet gebaut wurde und statt den früheren 73 auf demselben Grundstück jetzt 127 Wohnungen entstehen, entspricht den Forderungen eines nachhaltigen Städtebaus.
Die Mieten liegen, an den Masstäben der kommerziellen Wohnungswirtschaft gemessen, für Neubauten nicht sehr hoch, wenn man die Lage der Siedlung in der Stadt, die hohe Qualität der Architektur und die nachhaltige Bauweise gemäss Minergie-Eco-Standard berücksichtigt. Eine 2 1/2‑Zimmer-Wohnung im ersten Bauabschnitt kostet 2’600.- Franken; für 3 1/2 Zimmer sind 3’800.-, für 4 1/2 Zimmer 4’200.- Franken Miete monatlich zu zahlen.
Geht man davon aus, dass für eine Miete im Allgemeinen nicht mehr als 25% des monatlichen Bruttoeinkommens ausmachen sollte, stellt sich allerdings die Frage, was für einen Beruf man ausüben muss, um hier wohnen zu können. Orientiert man sich z.B. an den Zahlen des Schweizerischen Bundesamtes für Statistik, lag der monatliche Durchschnittsverdienst 2010 bei rund 6’000.- Franken – um eine 2 1/2 Zimmer-Wohnung bewohnen zu können, müsste man aber über ein Bruttoeinkommen von 10’400.- Franken verfügen.
Die Credit Suisse wirbt auf dem Finanzmarkt für ihr Label «greenproperty», das von ihr als Gütesiegel für nachhaltiges Bauen entwickelt wurde und sich an Kriterien des ökologischen Bauens orientiert. Für einen wirklich nachhaltigen Städtebau sollte man den Begriff der Nachhaltigkeit aber auch auf den sozialen Aspekt beziehen: So betonte die Soziologin Saskia Sassen in ihrem Zürcher Vortrag zum Thema der «Global Cities» im November letzten Jahres, wie wichtig die soziale Durchmischung verschiedener Einkommensklassen für die Qualität einer Stadt ist.
Insofern wäre es wünschenswert, dass die Escherpark-Siedlung, die sich durch ihren sensiblen baukünstlerischen Umgang mit der städtischen Umgebung auszeichnet, durch die Mietzinspolitik der Vermieterin nicht zum Luxusghetto für Grossverdiener wird. Wenn die Credit Suisse es mit Nachhaltigkeit wirklich ernst meint, auch bezogen auf den sozialen Aspekt, sollte die Frage erlaubt sein: Wäre es der Credit Suisse als Vermieterin nicht möglich, einen Teil ihrer berüchtigten Manager-Boni zu streichen und dieses Geld, statt auf deren ohnehin schon überfüllte Konti, in einen Fonds einzuspeisen, der einen Teil der Wohnungen zum Beispiel auch für Kulturschaffende erschwinglich machen würde?
Foto: zVg.
ensuite, März 2014