Von Ruth Kofmel — Der Goalie: Ihm sagt man ein gewisses Einzelgängertum nach, eine spezielle psychische Austattung.
Dass nun einer als Bub davon träumt, Goalie zu werden und schliesslich als Pianist Karriere macht, kommt sicherlich nicht all zu oft vor. Aber vielleicht doch häufiger als man denkt. Je länger ich mich mit Musikerpersönlichkeiten beschäftige, desto mehr schälen sich gewisse Muster heraus, die ich amüsant und interessant finde: Musiker – Grafiker – Fussballer – Lehrer, diese doppel- oder dreifach- Besetzungen sind mir jetzt schon mehrmals unter gekommen. Nicht, dass ich da nun irgendwelche Theorien entwickeln möchte, aber es liesse sich durchaus einmal darüber nachdenken, wo die Überschneidungen zu finden sind, oder was diese Berufsziele über das männliche Selbstverständnis aussagen.
Jedenfalls ist da nun dieser Fabian Müller, der gleich drei der oben genannten Stationen durchlief: vom Goalie zum Lehrer und schliesslich zum Musiker. Sein Werdegang beeindruckt mich, obwohl er ihn als eher normal und unspektakulär hinstellt. Nun, all zu gewöhnlich ist ein solcher Lebenslauf meines Wissens nach nicht. Dass sich ein junger Mann, der eigentlich davon träumt, künstlerisch tätig zu sein, für den Lehrerberuf entscheidet, ist sicherlich nichts Besonderes. Auch nicht, dass man über die jugendliche Begeisterung für Hip Hop zu Jazz gelangt, und sich in diese Musikrichtung vertieft. Was aber besonders ist und schon fast etwas befremdend: mit zweiundzwanzig den Entschluss zu fassen, seinen Alltag von nun an selbst zu bestimmen, sich ganz der Musik zuzuwenden und dass sich aus diesem Entschluss auch in relativ kurzer Zeit eine erfolgreiche Musiker-Karriere entwickelt. Auch nicht selbstverständlich ist es – jedenfalls in der Jazzszene nicht, diesen Weg ohne spezifische Ausbildung in Angriff zu nehmen. Auch wenn er vehement verneint Autodidakt zu sein, da er über viele Jahre den klassischen Klavierunterricht besuchte und die Ausbildung zum Lehrer viel Musikwissen beinhaltet. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass er sich die Technik und seinen Zugang zu Musik auf seinem Instrument zum grossen Teil selbst erarbeitet hat. Er erzählt, wie er sich Tagespläne zusammengestellt hat, die er aber dann doch nicht einhielt, da ihm acht Stunden Üben am Tag schlicht nicht zusagten. Im Gespräch mit ihm fällt oft das Wort «Lust»: Keine Lust mehr gehabt, von jemanden seinen Tagesablauf auferlegt zu bekommen, Lust darauf gehabt dies und das auszuprobieren, mit anderen Musikern zusammenzuspannen, ein Solo-Werk zu schaffen, sich mehr der Filmmusik zuzuwenden etc. Er erzählt das alles so, als sei dies eben das Selbstverständlichste der Welt. Selbstverständlich, dass er mit seinem FM Trio bereits im Ausland Erfolge verbuchen konnte, selbstverständlich, dass er sich mit einem Berlin-Stipendium daran machte ein Solo-Werk zu schaffen, welches die Fachpresse mehrheitlich begeistert aufnahm, selbstverständlich seinen Lebensweg so zu gehen, wie er das als richtig empfindet, ohne sich von den allgemeinen Vorgaben und Konventionen einschüchtern zu lassen. Und das wirklich Besondere daran ist, dass er dies ohne die Attitüde der Rebellion, oder Verweigerung tut. Ich denke wieder an den Goalie, der sich anders als seine Mitspieler auf dem Feld bewegt, der wartet, dann agiert, dessen Timing alles entscheidend ist, der sich auf seine Reflexe und seinen Instinkt verlässt – der Goalie, der nur besteht, wenn er in einer Gemeinschaft unabhängig bleibt.
Auf seine Solo-Platte «Monolog», die er dieses Frühjahr auf Unit Records veröffentlicht hat, bin ich eher durch Zufall gestossen. Ich bin mit diesen reinen Jazz-Geschichten oft überfordert: zu abstrakt geht es mir da zu und her, dann wiederum ist es mir zu sehr der Virtuosität verpflichtet, oder dem Süffigen, und meistens habe ich das Gefühl, einfach nichts zu verstehen, weil mir die Bildung dazu fehlt. Da ich wenigstens bei der Musik finde, ich will mich damit beschäftigen, weil ich Lust darauf habe, verpasse ich das meiste, was an Jazz Platten auf den Markt kommt. Dem Zufall also ist zu verdanken, dass ich diese CD abspielte und zu meiner Verwunderung nach sehr kurzer Zeit einen Zugang fand. Dabei sind die Kompositionen weder durchgehend melodiös, noch besonders einfach in ihrer Struktur. Oft ist die Musik aufs Nötigste reduziert, manchmal durchaus verwirrend, manchmal der reine Wohlklang. Wie auch immer; sie sagt mir was, berührt, macht Gänsehaut — die Zeiger meiner eigenen Qualitätsparameter schnellen hoch. Nach dem Gespräch und dem Konzert wird klarer, warum mir diese Musik gefällt. Man hört beispielsweise die Hip Hop Affinität immer noch heraus, wenn er im Innenleben seines Flügels rumexperimentiert und Beats produziert. Das irritiert das geschulte Jazz-Publikum ein wenig — mich macht es lächeln. Die Idee einen Beat zu schaffen, der nur von der Klangästhetik lebt, weil da nicht viel an Virtuosität und Überlagerungen möglich ist, da er mit einer Hand gespielt wird, finde ich bestechend. Diese Art, wie er sich in Klangmalereien verliert, wie man ihm quasi beim musikalischen Denken zuhören kann, zuhören kann, wie er sich von einer hübschen Melodie in die Monotonie flüchtet, sich darin vergräbt, um plötzlich wieder daraus auszubrechen, wie er einen, so kommt es mir jedenfalls vor, seine Musikwelt sorgfältig aufschlüsselt und einen nie hängen lässt in einer Steilwand. Mir gefällt das, ich versinke in der Musik und habe einen halben Herzinfarkt, als am Konzert eine Flasche zu Boden poltert. Das ist ein gutes Zeichen, das heisst, dass ich nicht am Denken und Analysieren bin, das heisst, dass ich ganz und gar eingetaucht bin, und die Welt wieder einmal für einen kurzen Moment zu existieren aufgehört hat. «Meine» gute Musik muss genau das können.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2011