Von Dr. Regula Stämpfli - «Sanfte Berührung», steht über den Burberry-Puschen, violett, flauschig und im Herbst 2023 für 690 britische Pfund zu haben. Als das MOMA 1936 in New York die Pelztasse von Meret Oppenheim zeigt, fällt, so die Legende, eine Frau in Ohnmacht. Peter, mein britischer Freund, meinte einmal, der Unterschied zwischen der deutschen und der englischen Sprache liege im «fluffy» und im «butterfly», Adjektiv und Insekt, also etwas so Leichtes phonetisch in die Nähe von «fleischig» (flauschig) zu rücken oder zu schmettern (Schmetterling), sage alles über die entsprechenden Kulturen aus. Punkto Britishness halte ich es mit Elif Shafak, die einmal in einem ihrer Bücher eine Protagonistin feststellen lässt: «Sie spucken dir ins Gesicht und reichen dir anschliessend das Taschentuch.» Willkommen in Kunst und Kultur – dem etwas anderen Essay von PD Dr. Regula Stämpfli, Leiterin der #HannahArendtLectures an der HSG zur Nahost-Medienberichterstattung.
Am 16. Oktober waren es 755 Tage, dass die Taliban für Mädchen den Schulbesuch verboten haben, und 295 Tage, seit den Frauen in Afghanistan alle Universitäten verboten sind. Lesen, schreiben, sich frei zu bewegen, Velo zu fahren oder gar an einer Universität zu studieren, ist den Frauen im Gazastreifen untersagt. In Saudi-Arabien dürfen Frauen erst seit fünf Jahren Auto fahren; in den Gefängnissen sitzen jene, die dafür gekämpft haben. Vergewaltigung in der Ehe ist in Saudi-Arabien legitim – dies nur so nebenbei. In Iran werden Frauen gefoltert, vergewaltigt, inhaftiert und regelmässig zum Tod verurteilt. Dies, weil sie bspw. ihren Schleier nicht «ordnungsgemäss» tragen, weil sie singen, weil sie tanzen. Der Friedensnobelpreis ging dieses Jahr an die iranische Frauenrechtlerin Narges Mohammadi, die seit Jahren im Kerker der iranischen Mullahs sitzt – SRF war die Meldung ganze eine Minute und 20 Sekunden wert. Am 7. Oktober 2023, in den frühen Morgenstunden, legten die von den iranischen Mullahs gesponsorten Islamisten, deren Familien von EU-Geldern unterstützt werden, einen Bombenteppich über Israel. Dieser sollte davon ablenken, dass an der Grenze zu Israel Tausende von vergewaltigenden, folternden, brandschatzenden und mordenden Islamisten fröhliche Teenager an einem jüdischen Musikfestival dahinschlachteten sowie die Nachbardörfer dem Erdboden gleichmachten. Die an den Dreissigjährigen Krieg erinnernden Mördertruppen verschwanden mit 200 Israelis, darunter Babys und Kinder, weibliche Teenager, einige Frauen und wenige Männer, und versteckten sich und ihre Geiseln bei ihren Familien, die sie regelmässig als Bomben-Schutzschilder gegen die Verteidigungsarmee aus Israel benutzen.
So weit die Fakten. Doch was lese ich in den mit unseren Steuergeldern finanzierten Medien- und Kulturinstitutionen? Nicht nur eine ganz andere Geschichte, sondern die Verherrlichung des Terrors, der darin gipfelt, dass BBC – SRF folgt auf Fuss – den Begriff «Terrorist» künftig aus jeder Information streichen will, da dies sonst «einer Parteinahme» gleichkäme. In London gehen am 14. Oktober, genau eine Woche nach dem Massaker, Tausende von Menschen auf die Strasse. Nicht etwa, um des unaussprechlichen Mordens in Israel zu gedenken, nein, um die Mörderbande zu feiern und gegen Israel zu demonstrieren.
London war surreal im wahrsten Sinne des Wortes: Die Dualität, Realität und Ideologie, war zugunsten Letzterer aufgehoben, von der BBC als globales Informationsmedium gepuscht. Realität gab es nur für die Terroropfer, dafür feierten alle anderen die auf völligen Wahnsinn gebaute islamistische Ideologie: postkolonial, Folter-Apokryphen inklusive, gemischt mit Antisemitismus und Gewalt gegen Frauen. Letztere waren an den Demonstrationen eh in der Minderzahl. In der Folge verkehrten SRF, ARD, ZDF und die BBC den schlimmsten Terroranschlag seit Bataclan – die Folterungen, die Brandschatzung, die Vergewaltigungen, die bestialischen Morde in Israel – in einen ganz normalen «Krieg». Deshalb titelten sie später «Eskalation im Nahen Osten» – SRF und ZDF und ARD in identischem Wortlaut. Es wurde nicht informiert, sondern gegen Israel, die Juden und Jüdinnen und alle, die sich über diese Art von Medienberichterstattung entsetzten, gehetzt. Im Podcast «Lanz & Precht» meinte Zweiterer, die «Orthodoxen» würden nicht arbeiten, höchstens im «Diamanten- und Finanzgeschäft» – Antisemitismus pur. Lanz zeigte sich über Gaza entmutigt und spricht an anderer Stelle vom «Freiluftgefängnis», nur die Guten protestieren. Menschen, die das Massaker an JüdInnen und die Attentate in Brüssel wie Paris relativieren, sich über antimuslimische Empfindungen sorgen und dafür plädieren, man müsse doch «beide Seiten anhören», brauchten genau 30 Sekunden, um eine Propagandaaktion der Hamas – Israel habe ein christliches Krankenhaus bombardiert und 500 Menschen ermordet – zu glauben. Es war eine Hamas-Rakete, die in den Parkplatz des Spitals eingeschlagen ist und den Lügen der Mörder perfektes Material lieferte, um alte Brunnenvergifter-Legenden neu zu verpacken. Storys, so erzählt uns Hannah Arendt, werden immer dann totalitär, wenn sie sie sich aller Wirklichkeit, der gemeinsam geteilten Welt und der Wahrheitsfindung verweigern. Die ongoing Storytelling-Hölle ist so unterirdisch, dass sie mir oft den Atem nimmt.
Der digital gefütterte Meinungsjournalismus verlinkt, errechnet, verfälscht und schaltet 2023 reale Welt und Wirklichkeit gleich. Eingeübt wurde dies schon länger via Tumblr, die Einhörner und die Woken, die Sprechakte wichtiger werteten als Wahrheit, Wirklichkeit und das Bewohnen einer gemeinsamen Welt. Es sind dieselben Kräfte, die jetzt in den Medien die Urteilskraft an Algorithmen abgeben, so wie die Umfrageidioten die Demokratie schon längst mit Meinungsumfragen beerdigen wollen und dann entsetzt feststellen, dass die Menschen völlig anders wählen als vorhergesehen. Ein Blutbad an einem Festival voller junger Menschen wird von einer Mörderbande angerichtet, und die Kulturschaffenden, Intellektuellen, Medienleute in Deutschland, der Schweiz und Österreich rufen «Bitte nicht parteiisch sein»?
War der Surrealismus der Kunst die Strömung, die den Dualismus zwischen Traum und Wirklichkeit auflösen wollte, bedeutet der Surrealismus in der Politik die Auflösung der Wirklichkeit zugunsten einer digital automatisierten «Wahrheit» – ein echter Albtraum für alle Beteiligten. Wie konnte es so weit kommen?
Als Steve Jobs im Januar 2007 sein erstes iPhone enthüllte, begann die surrealistische Kommunikation des Smartphones die Politik zu erobern. Surrealismus war, so wissen wir seit dem Urinal von R. Mutt (Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven, 1917 von Marcel Duchamp anonym eingereicht), die Ebenbürtigkeit von Gedanken und Kunst. Ob ein Urinal ein Urinal war, entschied weder das Objekt noch die Frage, wer es hergestellt hatte, sondern einzig und allein die Geste, dieses zur Kunst zu erklären. Und so geht es nun auch in der postfeministischen und postkolonialen Lesung von Politik und Demokratie. Nicht die Wirklichkeit entscheidet darüber, ob es sich bei einem System um Menschenverachtung oder demokratische Partizipation handelt, sondern die Geste, die Mehrheit, die codegetriebenen, algorithmisch behaupteten «Fakten».
Wie ich schon öfter sagte: «It is the codes, stupid.» Es geht immer und immer wieder um den Welt- und Wirklichkeitsverlust durch die Digitalisierung, die Ideologie – codierte Automatismen – via Hyperlink über jede Wahrheit und jede menschliche Erfahrung setzt. Deshalb spielt es für die fehlgeleiteten Medien und ihre pro-palästinensischen Massen inmitten unserer europäischen Städte keine Rolle mehr, ob ein Spital wirklich von den Israelis zerbombt wurde oder nicht. Es spielt keine Rolle, ob das Spital, also dessen Parkplatz, durch einen Fehlschuss der Mörderbande Hamas getroffen wurde, Hauptsache, das Anti-Israel‑, das Anti-Demokratie‑, das Anti-Westen-Narrativ stimmt. Wir haben in unseren öffentlichen Institutionen die feinmaschige, argumentative Öffentlichkeit für eine zukunftsorientierte, ökologische, sozial harmonische und partizipative Freiheit an die antidemokratisch codierten Maschinen, die mit menschlichen Emotionen spielen, schon fast gänzlich verloren. Wie Süchtige hängen wir am digitalen Hyperlink, der uns diesen Mix an Dopamin und Adrenalin verschafft, als würden wir ein Abenteuer erleben, dabei sitzen wir nur viel zu lange vor dem Bildschirm, verfetten und werden depressiv und/oder nihilistisch pervers.
Politikerinnen, Künstlerbetriebe, Wissenschaft, Medien, alle öffentlichen Institutionen lassen sich durch digitale Hochrüstung in die Auflösung von (Alb-)Traum und Wirklichkeit treiben. Surrealistische Kunstformen übernehmen die reale Welt, indem sie nicht Traum und Wirklichkeit REFLEKTIEREN, eigene Gedanken entwickeln, sondern den emotionalen Albtraum «jeder gegen jede» als digitale «Storyteller-Art» global verbreiten. Diese totalitäre Verflachung, Verkürzung führt zu algorithmisch operierenden Ideologien und ihren Mittäter-Idioten. Solange Maschinen und Erzählungen chemisch-biologisch und digital-automatisch mit antidemokratischen, misogynen, weltauflösenden Codes programmiert werden, gibt es kein Ende dieser trostlosen Zahlenwelten – ausser die Poesie. Weshalb ich hier Ihnen allen unbedingt und dringend das neue Buch von Salman Rushdie empfehlen will: «Victory City». Ach ja und noch etwas: Der Einstieg mit den Flausch-Puschen, der direkt zum Blutbad der Hamas führte, war quasi die Pelztasse in narrativer Form. Denn es ist höchste Zeit, die Welt losgelöst von Codes und deren dysfunktionalem Unterbewusstsein (sprich der Programmierung, des algorithmic bias) neu zu erzählen.
Buchempfehlungen:
- Elif Shafak, Der Bastard von Istanbul.
- Frank Bösch: Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann.
- Regula Stämpfli: Trumpism. Ein Phänomen verändert die Welt.
- George Orwell: A Nice Cup of Tea, Essay.
- Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totalitärer Systeme.
- Regula Stämpfli: Europa zwischen Banksprech und Sehnsuchtsort.
- Tim Marshall: Die Macht der Geografie im 21. Jahrhundert.
- Salman Rushdie: Die satanischen Verse.
- Salman Rushdie: Victory City.