- ensuite - Zeitschrift zu Kultur & Kunst - https://www.ensuite.ch -

Fatale Zustände für die Kulturberichterstattung Schweiz

Von Lukas Vogel­sang - Es ist etwas geschehen in der Diskus­sion um die kul­turelle Berichter­stat­tung in der Schweiz: Die Nation­al­rätin Min Li Mar­ti (SP) hat per Inter­pel­la­tion den Bun­desrat ange­fragt: «Ist die Zukun­ft ein­er vielfälti­gen und qual­i­ta­tiv hochste­hen­den Kul­turberichter­stat­tung gefährdet?» (19.4086) Damit ist das The­ma Kul­turberichter­stat­tung in der ober­sten Chefe­tage angekom­men. Ist das gut? – Oh ja, aber aus ganz anderen Grün­den, als die eigentlich ursprüngliche Idee gedacht war.

Hal­ten Sie sich fest, liebe LeserIn­nen, wir gehen auf eine kleine Reise: Die gesamte öffentliche Kul­tur­förderung in der Schweiz kostet pro Jahr über 3 Mil­liar­den Franken (Bun­de­samt für Sta­tis­tik 2016), die pri­vate Kul­tur­förderung (Stiftun­gen, Spon­sor­ing etc.) kommt hier noch dazu. Als Ver­gle­ich: Die Rüs­tungsin­dus­trie ist mit 4,7 Mil­liar­den nicht allzu weit weg. Insofern darf man anerken­nen, dass es der Schweiz wichtig ist, dass wir unsere Kul­tur und Kun­st pfle­gen. Wobei man unter­schei­den muss zwis­chen dem kün­st­lerischen Schaf­fen und der Kul­tur unseres Lan­des, welche natür­lich auch in Kreatio­nen dargestellt und man­i­festiert wird. 3 Mil­liar­den sind pro Ein­wohn­er gerech­net rund 3500 Franken im Jahr. Das ist nicht wenig.

Aus kul­turver­legerisch­er Sicht sieht es drama­tisch aus. Eine Über-den-Dau­men-Rech­nung hat ergeben, dass der inländis­che und bezahlte Anzeigen­markt (viele Anzeigen sind Gegengeschäfte, die ohne Geld­fluss stat­tfind­en, aber in den Buch­hal­tun­gen kor­rekt aufge­führt wer­den) dieser 3 Mil­liar­den ca. 0,08 bis 0,1 Prozent beträgt, also rund 2,5 bis 3 Mil­lio­nen Franken. Wobei ich jet­zt nur Anzeigen von öffentlich sub­ven­tion­ierten Insti­tu­tio­nen im Inland rechne. Dabei muss man wis­sen, dass der durch­schnit­tliche Seit­en­preis ein­er Anzeige­seite bei unge­fähr 30 bis 50 Prozent vom offiziellen Verkauf­spreis liegt. Die Anzeigekun­den ver­lan­gen Nach­lässe und erhal­ten Men­genra­bat­te. Die Pri­vatwirtschaft wiederum inseriert nur sel­ten im Kul­tursek­tor. Die Dom­i­nanz der öffentlichen Kul­tur­förderung hat viele Engage­ments ver­trieben, da man sich in diesem Bere­ich kaum noch pro­fil­ieren kann. Selb­st das Kul­tur­prozent der Migros hat das Bud­get für kul­turelle Anzeigen zusam­mengestrichen und inseriert fast auss­chliesslich in eige­nen Pub­lika­tio­nen. Die Mobil­iar-Ver­sicherung hat zurzeit den wichtigeren Stel­len­wert und die Migros über­holt. Viele Anzeigen sind zudem Teil eines Spon­sor­ingver­trages – so löst das die Cred­it Suisse in Pro­gram­mzeitschriften von Museen zum Beispiel.

Von diesem Anzeigen­verkauf (alles in allem vielle­icht ca. 6 Mil­lio­nen Franken) soll­ten sich rund 30 schweiz­erische Kul­turredak­tio­nen mit jew­eils vielle­icht 20 Mitar­bei­t­erIn­nen und min­destens nochmals so vie­len freien Jour­nal­istIn­nen zu zwei Drit­tel ernähren kön­nen. Davon müssen eben­so die Pro­duk­tion­skosten gedeckt wer­den. Mit den Abos zusam­men kom­men wir auf einen Markt von rund 10 Mil­lio­nen Franken – nicht Umsatz, son­dern effek­tives Pro­duk­tion­s­geld.

Das heisst, das Geld der öffentlichen Kul­tur­förderung bleibt in den Betrieben, in der Kreation, und wird nicht in die Öffentlichkeit­sar­beit oder andere Wirtschaft­skreis­läufe investiert. Das BAK (Bun­de­samt für Kul­tur) hat allerd­ings Aus­gaben für «Massen­me­di­en» von pro Jahr 140,5 Mil­lio­nen Franken. Das klingt im Ver­hält­nis kom­plett absurd. Wir erin­nern uns: Die Presse wird in der Schweiz nicht direkt gefördert, da die öffentliche Mei­n­ungs­bil­dung nicht manip­uliert wer­den darf. Da Bun­desämter und grund­sät­zlich Amtsstellen die ver­längerten Arme der Poli­tik sind, sind die Befürch­tun­gen hier gerecht­fer­tigt. Allerd­ings: Was hat es mit diesem Bud­get­posten beim BAK von 140,5 Mil­lio­nen Franken für Massen­me­di­en auf sich?
In der Taschen­sta­tis­tik Kul­tur in der Schweiz 2019 wird der Begriff so definiert: «Förderung von kul­turellem Mate­r­i­al, das für die Ver­bre­itung über Fernse­hen, Inter­net und Radio bes­timmt ist; Förderung von Schrift­stel­lerin­nen und Schrift­stellern; Her­aus­gabe von Büch­ern und Zeitun­gen; Buchmessen und Mul­ti­me­di­apro­duk­tio­nen.» Moment mal: Wie war das mit der direk­ten Presse­förderung? Unter diesem Bud­get­posten wer­den zum Beispiel vier pri­vate Filmzeitschriften mit ins­ge­samt jährlich 355 000 Franken finanziert – ohne dieses Geld kön­nten diese Zeitschriften nicht existieren. Oder aber es fliessen 205 000 Franken jährlich an den Vere­in CH-Interkul­tur (früher Schweiz­erisch­er Feuil­leton­di­enst). Dieser ist bei der pri­vat­en, aus­ländis­chen und Grossver­legern gehören­den SDA/Keystone (Nachricht­en Depeschenagen­tur der Schweiz) unterge­bracht. Die SDA/Keystone ste­ht beim Bun­desrat in spezieller Gun­st, da die Agen­tur mit über 2 Mil­lio­nen jährlich für den Ver­trieb der Bun­desnachricht­en bezahlt wird. Dazu kom­men noch weit­ere 2 Mil­lio­nen Sub­ven­tio­nen, die man in Aus­sicht stellt, «um den Jour­nal­is­mus in der Schweiz» zu ret­ten. Die Buchver­leger prof­i­tieren unter­dessen eben­so von diesem Topf, aber von Buchver­la­gen oder Buchmessen habe ich noch sel­ten ein Inser­at in der Schweiz gese­hen – wohl aber die Messeauftritte, unter­stützt vom BAK. Warum das BAK sel­ber Einzel­pro­jek­te unter­stützt, wo doch die lokalen Förderquellen, Pro Hel­ve­tia und die Kan­tone bere­its aktiv darin sind, ist mir etwas schleier­haft. Die Stiftung Pro Hel­ve­tia, die eigentlich für die Präsen­ta­tion der Schweiz im Aus­land zuständig wäre und hier oft nur durch die Präsenz von aus­ländis­chen Kün­st­lerIn­nen im Inland wahrgenom­men wird, erhält nur rund 40 Mil­lio­nen pro Jahr.

Der Vere­in CH-Interkul­tur, zu deren Vere­insvor­stand Nation­al­rätin Min Li Mar­ti zählt, hat jet­zt ein Prob­lem: Die SDA/Keystone will die Zusam­me­nar­beit wahrschein­lich auflösen. Das ist der eigentliche Grund der anfangs erwäh­n­ten Inter­pel­la­tion. Damit ste­ht das 80-jährige Engage­ment im Auf­trag vom BAK in Not. Ohne Ver­trieb­sorgan­i­sa­tion, ohne feste Pub­lika­tion­spart­ner­In­nen gibt es keine Exis­ten­z­grund­lage für diesen Vere­in, der notabene über das Sprachenge­setz vom BAK Geld aus dem Massen­me­di­en-Top erhält. Man möchte damit die kul­turelle Berichter­stat­tung der ver­schiede­nen Lan­desteile an die Öffentlichkeit brin­gen – was allerd­ings haupt­säch­lich nur im Som­mer, als eine Art Ferien­loch-Aktion der SDA/Keystone, also wenn es kaum jemand wahrn­immt, geschieht.

Faz­it: Wenn wir das alles nüchtern betra­cht­en, so kann die Frage über die Zukun­ft der Kul­turberichter­stat­tung in der Schweiz mit einem klaren «NEIN» beant­wortet wer­den. Bei diesen Unver­hält­nis­sen kann es sich kein Ver­lag leis­ten, kri­tisch zu sein. Am Beispiel dieser Zeitschrift ist das gut doku­men­tiert: Unsere Konkur­renz ist heute die Stadt Bern oder die öffentliche Hand. Unsere Gesuche wer­den abgewiesen mit der Begrün­dung, die Presse dürfe nicht sub­ven­tion­iert wer­den – auss­er sie entspricht dem Wohlwollen der BeamtIn­nen. Ein bekan­ntes Beispiel ist der The­aterkri­tik-Blog im Inter­net, welch­er das BAK mit 70 000 Franken unter­stützte und der nach zwei Jahren spur­los, ohne Archiv­nach­lass und fast unge­le­sen ver­schwand. Es gibt einige Pro­jek­te im Web, die von unpro­fes­sionellen Medi­en­pro­duzentIn­nen erstellt wur­den und nur von ein­er Nano-LeserIn­nen­gruppe wahrgenom­men wer­den, aber öffentliche Gelder erhiel­ten. Schön, wenn ein Beitrag pro Monat veröf­fentlicht wird. Oft­mals find­et man im Impres­sum das Logo vom Bund, der sich mit anderen öffentlichen Förder­ern daran beteiligt hat. Ich wage zu behaupten, dass Bekan­ntschaften bei solchen Ver­gaben eine Rolle spie­len.

So ver­spricht der Bun­desrat, bald auch Online-Medi­en zu unter­stützen, die bezahlte dig­i­tale Inhalte anbi­eten – und just haben die Grossver­leger (diesel­ben, denen auch die SDA/Keystone gehört) ihre Inter­net-Por­tale mit einem gemein­samen Login verse­hen. Ab näch­stem Jahr sollen deren Inhalte nur noch kostenpflichtig zugänglich sein. «Ziel ist es, über das Login zu erfahren, welche Artikel und The­men Sie inter­essieren, sodass wir Ihnen dere­inst per­son­al­isierte jour­nal­is­tis­che Inhalte anbi­eten kön­nen», so schrieb Patrick Feuz, Chefredak­tor vom «Bund» bei der Ankündi­gung der Login-Allianz am 15. Okto­ber in sein­er Zeitung. Das spricht Klar­text.

Kleine Ver­leger und Fach­pub­lika­tio­nen wür­den sich damit nur das Grab schaufeln, was unzäh­lige Testläufe in den let­zten Jahren schon gezeigt haben. Das Ver­trauensver­hält­nis zur Leser­schaft ist für uns heikel und kann nicht über­gan­gen wer­den. Von Medi­en wird erwartet, dass Nachricht­en (ob Kul­tur oder Poli­tik ist egal) kuratiert und für die Leser­schaft sin­nvoll auf­bere­it­et wer­den. Die neuste Studie vom Forschungs­bere­ich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Uni­ver­sität Zürich zum The­ma «Qual­ität der Medi­en» hat aber ergeben, dass ein Drit­tel der Men­schen in der Schweiz unter Nachricht­e­n­ar­mut lei­den. Doch mit immer mehr unqual­i­fizierten Massen­me­di­en­titeln und Ein­heit­snews-Geplätsch­er, ana­log und dig­i­tal, ver­suchen die Grossver­lage, sich gegen­seit­ig die Mark­tan­teile stre­it­ig zu machen, und erstick­en darin unseren wichti­gen Pfeil­er der Demokratie.

In der Kul­turberichter­stat­tung müssen wir uns bewusst wer­den, dass 3 Mil­liar­den Kul­tur­fördergelder (also Steuergeld) von den Medi­en (unter­fi­nanziert) und der Poli­tik (Desin­ter­esse) unbeobachtet ver­sick­ern und die bre­ite Öffentlichkeit kaum was davon mit­bekommt – zumin­d­est nicht in einem adäquat­en Ver­hält­nis. Schlim­mer noch: Die Kul­turkri­tik ist in der Schweiz durch die überdi­men­sion­ale Finanzierungs- und Zuliefer­ungspoli­tik fast auss­chliesslich gekauft und wird in PR-Pub­lika­tio­nen versenkt. In der neuen Kul­tur­botschaft vom Bun­de­samt für Kul­tur will der Bund ver­stärkt «Pro­mo­tion und Ver­trieb» fördern – was unweiger­lich ein noch grösseres Übergewicht im PR-Jour­nal­is­mus mit sich bringt. Haupt­sache, es sieht alles gut aus und man kann sich auf dem roten Tep­pich präsen­tieren: Heute insze­niert das BAK Wet­tbe­werbe und Preisver­lei­hun­gen, die es selb­st pro­motet – um kün­stlich den Wert des kul­turellen Schaf­fens aufzubauen. Das Renom­mee wird nicht mehr durch die Kri­tik, die öffentliche Auseinan­der­set­zung und im Dia­log, son­dern durch das Eigen­lob erar­beit­et. Das entspricht zwar dem Self­ie-Zeit­geist, ist aber alles andere als gut. Ein Blick auf den orange­far­be­nen, besten und weis­es­ten Präsi­den­ten aller Zeit­en genügt.

Für die kleinen Ver­legerIn­nen gäbe es aber eine vernün­ftige Lösung in der Finanzierung, die effek­tiv und nach­haltig genau die Sicht­barkeit unter­stützen würde, die man sich in der Kul­tur und Kun­st wün­scht und die erst noch unbee­in­fluss­bar wäre: das Archiv. Wer dig­i­tal Medi­en «kon­sum­iert», ver­hält sich wie ein Autokäufer, der nur das linke Vorder­rad kauft: Das gesamte Auto wird nicht mehr mitein­be­zo­gen. Darum ist es wichtig, dass bei Recherchen, bei Inter­net­suchen die bere­its pub­lizierten Artikel im Bere­ich Kul­tur umge­hend erscheinen und öffentlich (kosten­los) zugänglich sind. Das bedeutet viel Arbeit und diese ist nicht wirtschaftlich ver­w­ert­bar. Entsprechend wäre hier das ide­ale Vorge­hen, nicht eine Finanzierung in der Zukun­ft, son­dern über die Ver­gan­gen­heit zu lösen. Artikel, die geschrieben sind, kann man nicht mehr bee­in­flussen. Durch eine Qual­itäts­garantie und Pflegev­er­ant­wor­tung wären die öffentlichen Gelder aber kor­rekt, nach­haltig und fair investiert und für die Öffentlichkeit nüt­zlich einge­set­zt – dazu erhielte die Schweiz eine sicht­bare kul­turelle Ver­gan­gen­heit.
Es gibt noch weit­ere solche Lösun­gen – die Poli­tik und die Ämter müssten allerd­ings den Dia­log mit den ver­schiede­nen Grup­pen suchen, son­st wer­den sie zu Lob­by­opfern. Das BAK, die öffentliche Kul­tur­förderung generell, sucht aber erst gar nicht den Kon­takt. Ich wurde nie kon­tak­tiert, zum Beispiel, auch wenn unser Ver­lag im Kul­turseg­ment, nation­al und inter­na­tion­al, einen gewichti­gen Sta­tus hat und wir zu den grössten Kul­turzeitschriften zählen. Das zeigt viel über den Willen, wie die The­matik ange­gan­gen wird. Aber wen inter­essiert das schon? Es geht ja nur um 3 Mil­liar­den Schweiz­er Franken.