Von Lukas Vogelsang - Der Postauto AG-Skandal erschüttert die Schweiz. 200 000 Fake-Buchungen sollen gemacht worden sein, um die Buchhaltung so zu manipulieren, dass man Gewinne von 90 Millionen Franken verschleiern konnte. Egal ob sich jemand damit bereichert hat oder nicht: 200 000 Buchungen sind eine planmässige Arbeit von einem Team, in so einem Betrieb eine Kaderentscheidung, mutwillig, nur um ein System zu bescheissen. Doch Angst muss jetzt niemand haben: In der Schweiz begnügt man sich mal mit einer Rückzahlung der zu viel bezogenen Gelder und die verantwortlichen Chefs bleiben bei einem solchen Vergehen unbehelligt und dürfen auf ihrem Posten sitzenbleiben. Nur der Bonus (von rund 300 000 Franken) wird «ausgesetzt» – Jesses! Bei einem Grundjahresgehalt der Post-Konzernchefin Susanne Ruoff von mindestens rund 610 000 Franken ist das immer noch mehr, als ein Bundesrat verdient. Schlussendlich werden also nur diejenigen bestraft, die unter ihr arbeiten und die die Aufträge ausgeführt haben. Wenn in einem KMU die Revisionsstelle versagt, ist immer noch der Chef der Depp, der die Verantwortung hat und die Busse bezahlen muss. Bei halbstaatlichen Betrieben gelten irgendwie andere Regeln.
Staatlich subventionierten Betrieben vertrauen wir, weil wir davon ausgehen, dass diese gut kontrolliert sind und rechenschaftlich arbeiten. Deswegen schreibt der Staat auch einiges vor, zum Beispiel die Löhne, damit keine Personalkonkurrenz mit der Privatwirtschaft oder subventionierte Lohnexzesse entstehen. Doch einige Chefs spielen hier auf dem falschen Spielplatz: Und wenn dieses Vertrauen erschüttert wird, trifft das in der Schweiz einen Grundkern unserer Kultur der «souveränen Neutralen» und «ehrlichen HüterInnen der Demokratie». Der Aufschrei um die Postauto AG ist berechtigt und lässt sich nicht kleinreden. Im Gegenteil.
Das war aber noch nicht alles. Stellen Sie sich diese Fiktion vor, liebe LeserIn: Weil ein Chef einer Abteilung geht, feiert eine städtische Finanzdirektion Ende Jahr ein grosses Fest. Man lädt Freunde und Bekannte ein und die Lieblingsband des Vizes als Abschiedsgeschenk. Ein rauschendes Fest unter Freunden mit Champagner und vielleicht noch ein paar Animationsdamen, wie es in gewissen Kreisen so üblich ist eben. Das Ganze ist günstig und kostet vielleicht nur 35 000 Franken – und wird aus dem städtischen Finanzdirektions-Kässeli bezahlt. Man hat ja im letzten Jahr gut gearbeitet und ist zufrieden mit den Steuereinnahmen, da kann man sich mal ein Fest für MitarbeiterInnen leisten, das hat man sich verdient, man arbeitet ja sonst nur und zahlt selber Steuern ein.
Was, liebe LeserIn, ist Ihre erste Reaktion, wenn Sie so was hören? Geht doch gar nicht, oder? Mir sträuben sich die Nackenhaare. Da würden also städtische Angestellte, welche eh schon ziemlich gute Löhne und Sozialleistungen beziehen und eine Arbeitssicherheit geniessen und einen klaren, durch ein Pflichtenheft definierten Arbeitsauftrag zu erfüllen haben, dessen Risiko nicht ihr eigenes ist, sondern das einer politischen Vorgesetzten, sich erdreisten, sich mit öffentlichem Geld eine Party zu leisten. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit sogar. Mit welchem Recht?
Doch viel schlimmer: Es ist eine wahre Geschichte – nur nicht aus einer Finanzdirektion und ohne Animationsdamen (immerhin). Die Berner Abteilung für Kulturelles hat ihren langjährigen Vizechef mit einem grossen Fest verabschiedet. Gespielt hat niemand Geringerer als die Gruppe Züri West, Freunde des Vizechefs, und noch einige mehr. Unter anderem rappte auch der Protegé des Vizes, der bekannt wurde durch das Stinkfinger-Selfie mit dem französischen Ex-Präsidenten Hollande und der damit für Staatsaufsehen gesorgt hatte, dann als Praktikant der Abteilung Kulturelles das New York-Stipendium erhielt – allerdings das Visum versiffte und noch immer in der Abteilung Kulturelles arbeitet. Dies nur am Rande, um dem Bild dieses Ladens etwas Kontur zu geben. Selbstverständlich ist dieses Fest ohne das Wissen des Vizes organisiert worden. Behüte! Es war ein Geschenk und wurde vor ihm geheim gehalten. Er wollte eh nie im Rampenlicht stehen – stand immer nur dort, wo jemand anderes die Verantwortung übernommen oder die Mehrheit ihn gedeckt hatte. Das Fest muss für ihn grausam gewesen sein, das kann ich nachvollziehen. Zum Glück hatte man nicht Bruce Springsteen eingeladen – das wäre budgettechnisch ein grösseres Problem geworden. Für ihn wärs allerdings die wahre musikalische Krönung gewesen.
Die grosse Frage ist also, wer hatte die Idee und dieses Fest bewilligt? In der Organisationsverordnung der Stadt Bern steht unter Direktionen, 2.1.4 Gemeinsame Bestimmungen: Sie schliessen Dienstbarkeitsverträge ab, soweit dadurch ausgelöste neue Verpflichtungen der Stadt 20 000 Franken nicht übersteigen. Und unter 2. Art 16. Kultur Stadt Bern:
l. entscheidet unter Berücksichtigung der Förderung der kulturellen Vielfalt über Beiträge bis 10 000 Franken, die nicht in die Zuständigkeit der Kulturförderkommissionen oder der Kommission Hauptstadtkultur fallen, namentlich weil
- sie die Breitenkultur betreffen;
- der soziokulturelle Bezug im Vordergrund steht;
- sie kulturgeschichtliche Themen zum Inhalt haben;
- die Information zur Kultur bezwecken;
So steht das auf der offiziellen Bern-Website. Die vorgegebene Abgangsentschädigung für Mitarbeiter soll 150 Franken betragen. Und was die Abteilung selber für «interne» Budgetmöglichkeiten hat, ist über die Website nicht ersichtlich. Die Abteilung spricht natürlich von einem «Vernetzungsevent», was offensichtlich eine Lüge ist: Freunde und Bekannte muss man nicht über städtisches Steuergeld vernetzen mit einem Abschiedsfest eines Mitarbeiters. Die Gesellschaft, Wirtschaft, Kulturförderer und SponsorInnen mit KünstlerInnen – das wäre die wichtige Vernetzung und mit 26 000 Franken sogar noch günstig. Kulturschaffende haben mehr als genug Möglichkeiten, sich in dieser kleinen Stadt zu treffen und zu organisieren. Dafür gibt’s sogar die entsprechenden Organisationen. Dieses Fest hätte ein wahnsinnig tolles Happening werden können, wenn es öffentlich gewesen wäre: Normalerweise spielt Züri West auf dem Bundesplatz. Somit hätten rund 5000 Menschen dabei sein können – hätte natürlich mehr gekostet. Aber damit hätte Bern wieder ein respektables Kulturfest gehabt – das wurde ja ironischerweise längst weggespart. Wahrscheinlich deswegen, weil man für das nächste Jahr spart, wenn Veronika Schaller, Abteilungsleiterin der Kulturabteilung, in Pension geht. Wie hoch wird ihre «Abgangsentschädigung» werden? Doch wie so üblich: Zur Rechenschaft wird die Verwalterin der Kulturgelder der Stadt Bern niemand mehr ziehen, dafür hat hier niemand die Hosen an. Sie geht ja eh Ende Jahr.
Nein, so was darf nicht toleriert werden. Steuergeld wird nicht auf diese Weise «verwaltet». Und ausgerechnet Frau Schaller betont immer wieder, wie wichtig ihr die Verwaltung sei und nicht das Gestalten. Was für ein Geschubbel. Und darauf zu hoffen, dass in ein paar Wochen alles vergessen ist, ist einfach nur dumm. Das ist auf jeden Fall kein Dienst für die Kultur.
Der Text erschien in der Print-Ausgabe 183, März 2018