Von Ruth Kofmel — Ich habe Fitzgerald und Rimini an Ihrer Plattentaufe von «Aristokratie und Wahnsinn» in der Dampfzentrale zum ersten Mal überhaupt gesehen. Fast muss ich befürchten, mal wieder etwas verpasst zu haben, andererseits bin ich mir auch ziemlich sicher, dass ich die zwei in einem ihrer perfekten Momente erwischt habe.
Mir gefällt bei Elsa Fitzgerald, wie sie das auf der Bühne so macht: mit ihrer etwas schusseligen und charmanten Art wirkt sie bei aller Bühnenpräsenz immer noch etwas schüchtern. Und ich finde das durchaus erwähnenswert: Elsa Fitzgerald ist eine Schöne in einem smaragdgrünen Satin-Kleid, das ihre hervorstehenden Hüftknochen betont, so dass der Stoff da eine Kurve schlagen muss – das ist sehr gut. Sie wirkt sympathisch, wie sie ihre Mitmusiker mit bewundernden Blicken bedenkt, wenn sie ihnen zuhört und sichtbar angetan ist von diesen wohlklingenden Tönen. Und es hat tatsächlich sehr schön geklungen an dieser Plattentaufe. Obwohl normalerweise als Duo unterwegs, war es eine gute Idee, diese Geschichten und die Musik so gross werden zu lassen. Es wurden für diese Veröffentlichung eine ganze Horde Kunstschaffender eingeladen, mitzutun. Etliche haben ihre Stimme beigesteuert, oder waren als Musiker mit von Partie. An der Plattentaufe ist wiederum etwas ganz Neues entstanden – zahlreiche Musiker spielten ihre Parts live, während die Stimmen ab Band kamen. Nicht unproblematisch: oft war die Musik dermassen grossartig, dass man die Geschichten dabei fast etwas vergass und sich mehr den Stimmungen dieser einzelnen Stücke hingab. Ein Riskio, dessen sie sich bewusst waren und das sie für diesen einen Abend in Kauf nehmen wollten. Es hat sich sehr gelohnt. Ariane von Graffenried als Elsa Fitzgerald haucht mit ihrer unverwechselbaren und souveränen Stimme den Geschichten Leben und Dramatik ein. Diese Stimme kommt mit einem grossen Unterbau an Instrumenten wunderbar zurecht. Sie reagiert intuitiv auf die Musik: wird mal melodiöser oder verharrt in einer zu den Klangflächen passenden Monotonie. Mir gefallen nicht alle Erzählungen gleich gut. Es gibt da ein paar, die mich wirklich vom Hocker hauen; die der trennungstraumatisierten Frau mit Panzer beispielsweise. Manchmal wird es mir aber zu assoziativ. Zum Beispiel dann, wenn es um Vampire und Architektur geht – da verliere ich bald den Faden und ich komme nicht so recht darauf, auf was sie eigentlich hinauswollen. Dann gab es am Konzert Momente, wo Elsa Fitzgerald ihr Lieblingsthema, die Sehnsucht, zusammen mit der Musik dermassen auf den Punkt brachte, dass es einem den Atem raubte. In diesen Momenten erreicht sie genau das, was sie möchte: mit ihrer Kunst etwas in den Zuhörenden anrühren, das in deren Innerem schlummert, seien das Bilder, Gedanken oder Gefühle.
Robert Aeberhard als Ribi Rimini agiert als Komponist zwar eher aus dem Hintergrund, aber er ist für dieses Projekt absolut unverzichtbar. Vor allem beeindruckt sein Gespür für Musik, er schafft bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Umhüllungen für die Texte. Auch bei ihm ist es so, dass mir nicht alle seine Kompositionen und elektronischen Tüftelein gleich gut gefallen. Wie er aber die Stimme von Elsa Fitzgerald untermalt, sie mit Klängen umschmeichelt, die sie zum Klingen bringen – das ist grossartig. Und die Auswahl der Musiker, die auf seine Kappe geht, die ist der pure Wahnsinn. Man darf sehr darauf gespannt sein, wie Ribi Rimini diese Dramatik an den kommenden Konzerten im Alleingang hervorzaubern wird — eine grosse Herausforderung, wie er selbst sagt.
Ariane von Graffenried und Robert Aeberhard arbeiten schon lange und sehr intensiv an dieser Verschränkung von Text und Musik. Ariane von Graffenried ist eher per Zufall zu einer Slam-Poetin geworden. Sie schrieb damals Kolumnen fürs Megafon und wurde daraufhin zu einem Poetry Slam eingeladen. Sie fand Spass an dieser demokratischen Form der Lesung und ist ihr bis heute treu geblieben. Robert Aeberhard spielt und spielte in unzähligen Bands den elektrischen Bass, und schon vor der Zusammenarbeit mit Ariane von Graffenried tüftelte er an Soundcollagen, die er mit Hilfe von field-recordings, elektrischem Bass und einem Loop-Gerät kreierte. Wohin diese langjährige Zusammenarbeit nun geführt hat, ist bemerkenswert. Text und Musik stehen sich gleichberechtigt gegenüber. Es sind keine vertonten Texte, was die zwei da machen, und auch nicht ein Lesen auf einen musikalischen Teppich. Es gelingt ihnen, diese zwei Formen zu etwas Eigenem zu verschmelzen. Das Schwierige scheint mir dabei, dass eine solche Verschränkung nicht schwerverdaulich wird. Das ist «Aristokratie und Wahnsinn» aber keineswegs. Es braucht ohne Frage viel Aufmerksamkeit, um dieser CD gerecht zu werden. Dafür eröffnet einem dieses Hörspiel die Möglichkeit, auf Entdeckungsreise zu gehen. Ariane von Graffenried ist nicht daran gelegen, ihre Weltsicht via simpler Bedienungsanleitungen kund zu tun, sie traut den Zuhörenden durchaus zu, selbst zu denken und ein bisschen über die Aussagen der Stücke nachzugrübeln. Das Schöne ist aber, dass man das nicht muss, «Aristokratie und Wahnsinn» funktioniert auch als pure Unterhaltung. Sie betonen zwar beide, dass es ihnen primär um die Kunst geht und nicht so sehr um die Unterhaltung. (Mir ist nie ganz klar, worin da der Widerspruch liegt?) Ich finde «Aristokratie und Wahnsinn» gerade auch darum gelungen, weil die CD eine grosse Bandbreite an möglichen Rezeptionen ermöglicht. Es gibt Stücke, die sind nichts anderes als einfachst gestrickte Pop-Songs – musikalisch und inhaltlich –, die sind demzufolge im Nu verstanden. Und es gibt Stücke, die auf beiden Ebenen dermassen dicht sind, dass nur mehrmaliges Hören ein Verstehen ermöglicht. Fitzgerald und Rimini sind in ihrem Schaffen unverwechselbar – freuen wir uns auf mehr unterhaltende Kunst von den Beiden.
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2011