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Frei, adelig & erotisch: Anne Lister

Von Dr. Reg­u­la Staempfli - Am FAZ-Stand kam ich ins Plaud­ern mit einem äusserst gutausse­hen­den älteren Her­rn, der sich als wahrer König ent­pup­pte. So hiess der emer­i­tierte Pro­fes­sor auch, der nach mein­er Namen­snen­nung, die ich ihm eine Stunde lang voren­thielt, meinte: “Mit dem Namen wer­den Sie als grosse Denkerin nie Kar­riere machen.” Wie recht er doch hat. Selb­st meine Kinder bedauern mich für meinen Nach­na­men, der mir via Patri­ar­chat “aufgestem­pelt” wurde.  Zeit für ein Pseu­do­nym ausser­halb der Schweiz, denn in der Alpen­re­pub­lik ist dieser Name selb­stver­ständlich eine Marke. Herr Prof. Dr. und die Frau Dok­tor kamen indessen nicht ins Gespräch über Namen, son­dern über die Unwis­senheit der Intellek­tuellen an der Buchmesse. Dort wurde anlässlich des friv­olen, freien, selb­st­bes­timmten, humor­vollen, spritzi­gen (im wahrsten Sinne des Wortes) Sexlebens von Anne Lis­ter durch­wegs Erstaunen darüber geäussert, dass les­bis­che Liebe vor 200 Jahren viel selb­stver­ständlich­er war als homo­sex­uelle und von viel mehr Frauen genossen wurde als dies die Nach­welt je erfahren durfte. Prof. Dr. König wies mit Recht darauf hin, dass in ganz Europa die les­bis­che Liebe ver­bre­it­et und geset­zlich nicht ver­fol­gt wurde, nicht nur im Män­ner-Eng­land, das sich durch Zucht und Ver­fol­gung der Homo­sex­uellen eine eigene Lit­er­atur­gat­tung und Hor­rorgeschichte (bis heute) zurecht­geschnei­dert hat.

“Wo kein Penis, da kein Akt” lächelte die äusserst iro­nis­che, feine und sich wun­der­bar präzis und intel­li­gent aus­drück­ende Autorin der ero­tis­chen Biogra­phie, Angela Stei­dele. Anne Lis­ter war ein klas­sis­ch­er Frauen­held, ein Schw­erenöter, Heiratss­chwindler, Wüstling, Schuft, Lüstling in weib­lich­er Form. Sie ver­dop­pelte ihr Leben im Schreiben, sie nahm die Män­nerrolle so ernst, dass sie sich als Frau genau­so so benahm wie ihre Klasse der Adeli­gen. Sie ist Porno pur, amüsant, ver­störend, hochero­tisch und eine Fig­ur, die wir so nie in den Jahren zwis­chen 1791–1840 erwarten wür­den. Sie ist das, was ich bei Jane Austin nie gefun­den habe: Echtheit und Sit­ten­porträt in einem. Anne Lis­ter ist gle­ichzeit­ig ein Gege­nen­twurf zur heuti­gen Frauen­rolle: Es gibt bei ihr kein Schamge­fühl, keinen Selb­sthass, son­dern nur Lust. Sie begehrt wie ihr gefällt und es käme ihr keine Sekunde in den Sinn, die Prob­leme ihrer Zeit für ihr Geschlecht auf sich zu beziehen oder sich dafür sog­ar schuldig zu fühlen. Anne Lis­ters ero­tis­che Biogra­phie ist echt, so echt, dass sie tat­säch­lich den Blick auf sehr Vieles, was die Geschichte über Frauen­rollen erfind­et, verän­dern kön­nte.

Anne Lis­ter: Eine ero­tis­che Biogra­phie, Angela Stei­dele, Ver­lag Matthes&Seitz Berlin
Foto Buchmesse

Artikel online veröffentlicht: 15. Oktober 2017