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Fremde Menschen: Tiere in «Buck» und «We Bought a Zoo»

Von Andreas Meier — Wozu ein Zoo? Ist es eine Ein­rich­tung zum Schutz der Tiere, die in der Welt ausser­halb nicht über­leben kön­nten? Ist es ein Ort, an dem der Men­sch der Natur näherkom­men kann, um sich sein­er Beziehung zum nicht men­schlichen Teil der Welt klar­er zu wer­den, ein klein­er Fleck­en «Natur»? Ist es ein Mon­u­ment der Herrschaft des Men­schen über das Nicht-men­schliche, an dem ihm die Zäh­mung und Unter­w­er­fung der Natur zu sein­er Unter­hal­tung vorge­führt wird?

In «We Bought a Zoo» kämpfen Ben­jamin Mee (Matt Damon) und seine bei­den Kinder nach dem Tod sein­er Frau um ein nor­males Leben. Um den Erin­nerun­gen an seine Frau zu entkom­men, um sein Leben noch ein­mal neu anz­u­fan­gen, kauft Ben­jamin spon­tan ein gross­es Haus abseits der Stadt; genau was er gesucht hat­te. Unglück­licher­weise gehört das Wun­schheim aber zu einem ren­o­va­tions­bedürfti­gen Zoo, dessen Führung Ben­jamin nun ohne jegliche Erfahrung mit Tieren oder mit Zoos übern­immt. Doch die Frage, wozu ein Zoo da ist, scheint er sich nie wirk­lich zu stellen, genau­so wenig wie alle übri­gen Fig­uren des Films – oder dessen Mach­er. Der Zoo existiert ein­fach. Der Sta­tus Quo scheint wie so oft in Hol­ly­wood kein­er Erk­lärung zu bedür­fen.

Jed­er Hol­ly­wood-Fam­i­lien­film benötigt ein Trau­ma, das let­zten Endes bewältigt und aufgelöst wer­den kann. So unklar der Film den Zweck eines Zoos im All­ge­meinen lässt, so ein­deutig macht er den Zweck des Zoos im Hin­blick auf seine Dra­maturgie. Er ist der Katalysator, der es Ben­jamin erlaubt, sich mit seinem Leben zu ver­söh­nen und seine Trauer zu bewälti­gen.

Zunächst scheinen ihn seine Angestell­ten, allen voran Kel­ly (Scar­lett Johans­son), weit mehr zu inter­essieren als die Tiere, doch als das Lei­den eines schw­erkranken Tigers been­det wer­den soll erin­nert ihn das so sehr an das Ende sein­er Frau, dass er sich – so verge­blich wie selb­st­süchtig –gegen die Tötung des lei­den­den Tieres wehrt. Die Episode und Ben­jamins Mitleid wer­den somit zu ein­er Versinnbildlichung seines Unver­mö­gens, loszu­lassen wenn es die Zeit dafür ist.

Im Ver­lauf des Films wer­den Men­schen und Tiere immer wieder einan­der gegenübergestellt: So wird das Unver­mö­gen, den Schmerz eines kranken Tieres zu erken­nen, ver­glichen mit der Unfähigkeit, seine Mit­men­schen zu ver­ste­hen. Dieser dur­chaus pos­i­tive Trend wird lei­der fort­ge­führt bis hin zur sen­ti­men­tal­en und naiv­en Ver­men­schlichung der Tiere. Nach­dem Ben­jamin die Gnaden­tö­tung des Tigers akzep­tiert hat, murmelt er: «You would have done the same for me». Und als ihn zuvor das schlechte Gewis­sen plagt, beschwichtigt ihn sein Sohn Dylan (Collin Ford): «You did your best, dad. He knows that».

Doch schlussendlich dient dieser kon­fuse Sen­ti­men­tal­is­mus, der echte Empathie ver­drängt, nicht den Tieren, son­dern mün­det in eine Zele­brierung des Men­schlichen. Men­schen sind toll, sagt der Film, weil sie lieben kön­nen, und mit anderen Men­schen sowie Tieren mit­fühlen. Sie sind toll, weil sie dank ihrer Entschlossen­heit sog­ar dem Tod trotzen kön­nen. Sie sind toll, weil sie gefährdete Tiere in Zoos ret­ten. Tiere sind auch toll, sagt er, aber Men­schen sind bess­er. «I like the ani­mals. But I love the humans», sagt Ben­jamins Brud­er. Es ist ein vol­lkommenes Hap­pyend für alle Beteiligten. Am Ende ist Ben­jamins Trau­ma aufgelöst, und mehrere Liebe­spärchen sind ent­standen.

«If you had to choose between peo­ple and ani­mals, how would you choose?», fragt Kellys frisch ver­liebte Cou­sine. Nach kurz­er Pause die unver­mei­dliche Antwort: «Me too, peo­ple!». Die bit­tere Ironie dieser Frage ist, dass sich unsere Spezies wieder und wieder für exakt dieselbe Antwort entsch­ieden hat. Und das ist genau der Grund dafür, dass es über­haupt gefährdete Tiere gibt, deren Über­leben nur noch durch Zoos sichergestellt wer­den kann.
«We Bought a Zoo» ist ein Märchen des men­schlichen Tri­umphs. Ben­jamin braucht keine Erfahrung, noch nicht ein­mal Glück (der Film bemüht zu oft das Schick­sal) um den Zoo zu führen. Nur ein guter Men­sch muss er sein, das reicht, und schon belohnt ihn Gott, das Leben, etc. nicht nur mit einem erfol­gre­ichen Zoo, son­dern auch mit einem vol­lkom­men aufgear­beit­eten Trau­ma, ein­er plöt­zlich funk­tion­ieren­den und liebevollen Fam­i­lie, und ein­er neuen Fre­undin. Ben­jamins Impulsentscheid, aus ein­er Laune her­aus ohne Vor­wis­sen oder auch nur Inter­esse für Tiere einen Zoo zu kaufen, wird durch das für diese Art von Film vor­pro­gram­mierte Hap­pyend gead­elt, und nicht als die gefährliche und selb­st­süchtige Entschei­dung gezeigt, die sie ist.

In unser­er heuti­gen Zeit der ökol­o­gis­chen Katas­tro­phen, des Tier­ster­bens und der Tier­fab­riken kann es ein­fach nicht sein, dass zuck­er­süsse Feel­go­od-Filme um Tiere gedreht wer­den. «We Bought a Zoo» ver­schweigt: Eine Welt, in der ein gross­er Teil aller Spezies bald nur noch in kün­stlichen, eingezäun­ten Leben­sräu­men über­leben kann, ist keine gesunde Welt.

Ein weit­er­er Film, in dem Tiere eine promi­nente Rolle ein­nehmen, ist der Doku­men­tarfilm «Buck» (2011). Er behan­delt den berühmten Pfer­de­flüster­er Buck Bran­na­man, der sein seltenes Tal­ent mit Pfer­den in soge­nan­nten «horse clin­ics» weit­ergibt, die auf einen san­ften und auf Empathie beruhen­den Umgang mit Pfer­den set­zen. Bran­na­mans emo­tionale Nähe zu Pfer­den wird immer wieder betont: «I’m help­ing hors­es with peo­ple prob­lems», sagt er und impliziert damit, dass der Men­sch für ihn nur von sekundärem Inter­esse ist.

Bran­na­mans trau­ma­tisierende Kind­heit wird wieder­holt mit dem Lei­den von falsch behan­del­ten (oder mis­shan­del­ten) Pfer­den ver­glichen. Das gemein­same Trau­ma, so sug­geriert der Film, ermöglicht es Bran­na­man, Ein­blicke in das geheime Innen­leben der Tiere zu erlan­gen, die «gewöhn­lichen» Men­schen ver­wehrt bleiben. Die Möglichkeit des Ver­ste­hens rückt den Men­sch näher zum Pferd, oder eher, das Pferd näher zum Men­schen. Es scheint, so sagt der Film, ein beson­deres Band zwis­chen Men­sch und Pferd zu geben.

Doch natür­lich betont der Film eben­so, dass, obwohl eine gewisse Ähn­lichkeit beste­ht, welche dem Men­schen tief­eres Ver­ständ­nis ermöglicht, das Pferd in ander­er Hin­sicht äusserst fremd bleibt. Doch das Pferd ist nicht auf die selbe Art fremd wie beispiel­sweise das Schwein, dessen Fremd­heit es auf dem Teller lan­den lässt. Die Fremd­heit des Pfer­des wird mys­ti­fiziert und sen­ti­men­tal­isiert; es steckt mehr als «nur» ein Tier im Pferd. «Your horse is a mir­ror to your soul. Some­times you might not like what you see. Some­times you will», sagt Bran­na­man. Die pos­tulierte beson­dere Beziehung zwis­chen Men­sch und Pferd gewin­nt an Bedeu­tung: Das Tier zu ver­ste­hen wird plöt­zlich zu ein­er Art Selb­stfind­ung, die dem Men­schen seine Fehler oder Tugen­den offen­bart.

Mit dieser Imp­lika­tion gewin­nt auch Bran­na­man selb­st an Wichtigkeit und Autorität. Wie die Dichter der Roman­tik besitzt er eine gewisse Fein­füh­ligkeit, die ihm tief­ere Ein­blicke in die Welt erlauben. Wie die Hiero­phanten des alten Griechen­land besitzt er beson­deres Wis­sen, mit dem er geheime Zeichen für diejeni­gen entschlüs­seln kann, denen es an diesem Wis­sen man­gelt. Zugegeben­er­massen ist der Grund­ton des Films nicht elitär; schliesslich sind die «horse clin­ics» da, um Bran­na­mans Meth­ode anderen näher zu brin­gen und zu ver­bre­it­en. Doch lässt sich kaum bestre­it­en, dass die unhin­ter­fragte Mys­ti­fizierung der Pferde auch auf Bran­na­man abfärbt, und ihn in eine Art mythis­chen Pfer­de­Gott ver­wan­delt.

Der Gedanke, dass das Ver­hal­ten des Men­schen gegenüber dem Tier etwas über den Men­schen aus­sagt, ist sowohl richtig als auch bedeu­tend, doch im Kon­text des Films gibt es einige Prob­leme mit dieser Aus­sage. So gilt dies im Film nur für Pferde, die, wie es scheint, als eine von weni­gen Spezies ein Anrecht auf ethis­che Behand­lung haben. Weshalb spiegelt ein Schwein nicht die Seele des Men­schen wider, oder eine Kuh? Bran­na­man scheint kein Prob­lem damit zu haben, Käl­ber auf seinem Pferd hin und her zu treiben und einem Stress auszuset­zen, den er für ein Pferd unzu­mut­bar fände. Der Film ver­sucht nicht ein­mal, den Wider­spruch zu erk­lären; wohl, weil viele gar keinen Wider­spruch darin erken­nen. Die Gren­ze zwis­chen Pferd und Kalb ist bes­timmt durch nichts weit­er als Mythen, und damit willkür­lich.

Und let­zten Endes, auch wenn es nicht ganz so offen­sichtlich ist, feiert «Buck» das­selbe Märchen wie «We Bought a Zoo». Tiere sind Rät­sel für den Men­schen, doch wir müssen nicht verzweifeln, denn Bran­na­man hat gezeigt, dass die Men­schheit auch dieses beschä­mende Hin­der­nis über­winden kann. Der Men­sch tri­um­phiert erneut, und wie in «We Bought a Zoo» scheint dieser Tri­umph auch ein Sieg für die Tiere zu sein. Doch völ­lige Igno­ranz gegenüber Tieren ist genau­so schädlich wie der fehlgeleit­ete Glaube, dass der Men­sch das Tier vol­lkom­men entschlüs­seln und ver­ste­hen könne. Bei­de Filme präsen­tieren ein kon­fus­es und inkon­sis­tentes Bild von Tieren. Pferde kön­nen wohl kaum See­len spiegeln, doch dafür geben uns Filme wie «Buck» und «We Bought a Zoo» sehr akku­rat die ver­wirrte Hal­tung des Men­schen gegenüber dem Tier wieder.

«We Bought a Zoo» läuft seit dem 3. Mai im Kino. Regie: Cameron Crowe. Drehbuch: Aline Brosh McKen­na, Cameron Crowe. Darsteller: Matt Damon, Scar­lett Johans­son, Thomas Haden Church. USA, 2011.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2012

Artikel online veröffentlicht: 18. April 2019