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Führung, die:

Von Ralf Wet­zel — Lexikon der erk­lärungs­bedürfti­gen All­t­agsphänomene 4*: Organ­i­sa­tio­nen seien wie Fam­i­lien – so hört man es gele­gentlich – und Führung wie eine spez­i­fis­che Sorte der Vater­schaft. So archaisch das tönt und so skep­tisch dies berechtigter­weise macht – es treibt Par­al­le­len her­vor, die man manch­mal bess­er nicht wis­sen will. Ab hier also weit­er­lesen auf eigene Gefahr.

Patri­archen über­all Das klas­sis­che Pa-tri­ar­chat ist, wie man inzwis­chen hört, aus ein­er merk­würdi­gen Unsicher­heit her­aus ent­standen. Bis vor kurzem kon­nte nie­mand genau wis­sen, woher die Kinder kom­men, genauer: wer exakt der Vater ist. Mendels Geset­ze sind ger­ade mal hun­dert Jahre alt, und die Idee der DNS-Dop­pel­he­lix ist noch jünger. Bis dahin hat­te man nur Ver­mu­tun­gen. Jed­er Mann kon­nte, wenn er wollte, alles abstre­it­en, und nie­mand kon­nte ihm das Gegen­teil nach­weisen. Entsprechend mussten bes­timmte Priv­i­legien entwick­elt wer­den, unter denen Män­ner sich auf das Risiko ein­er offiziellen Vater­schaft ein­lassen: Sie wur­den zum Ober­haupt der Fam­i­lie erwählt, sie beka­men die Möglichkeit geschützter Fortpflanzung, ja sie durften sog­ar die Sex­u­al­ität und den Kör­p­er der Frau kon­trol­lieren. Para-paradiesis­che Zustände gewis­ser­massen – für die Män­ner zumin­d­est. Das hat­te nun einen nicht unwichti­gen Neben­ef­fekt. Die Män­ner wur­den dabei auch ein wenig zivil­isiert. Es wurde ihnen abgenötigt, das Ver­hal­ten der Urhorde um das Pro­gramm der Höflichkeit, der Für­sor­glichkeit und der Galanterie zu ergänzen, auch wenn man ihnen das bis heute nicht recht – oder nur in so unwahrschein­lichen Spezial­mo­menten wie der roman­tis­chen Liebe – abn­immt.

Die Ursache organ­isierten Erfol­gs lag nun lange Zeit in einem ähn­lichen Dunkel, die Genetik der Organ­i­sa­tion und ihre Dop­pel­he­lix war bis vor kurzem unbekan­nt. Allein dies reichte aus, um der organ­isierten Führung die Gele­gen­heit zu ver­schaf­fen, sich nach ähn­lichem Muster zu ver­hal­ten. Sie beanspruchte Priv­i­legien wie die Entschei­dungs­ge­walt über die Organ­i­sa­tion, den Zugriff auf Medi­en der Fortpflanzung, sprich auf Pro­duk­te und Stra-tegien sowie die Kon­trolle über den Kör­p­er der Organ­i­sa­tion, also das Per­son­al. Man ges­tand ihr das zu, unnötiger­weise. Gab es doch eigentlich keinen Grund, weswe­gen man die Steuerung der Organ­i­sa­tion an diesen Zirkel hätte binden müssen. Um Pflege ein­er Diffe-renz wäre es ver­mut­lich gegan­gen, um Ver­mit­tlung von Per­sön­lichem mit Sach­lichem.
Gle­ich­wohl führte das bei der Führung zu einem zuweilen über­steigerten Imposanzge­habe, ein­er selb­st deklar­i­erten Wichtigkeit. Nun hätte man wenig­stens auf das Ein­treten von zivil­isatorischen Effek­ten set­zen kön­nen, aber verge­blich. Führung­shan­deln blieb im Kern testos­tero­nisiertes Hor­den­han­deln unter der Selb­st­beleuch­tung der Helden­haftigkeit.

Eine küh­le Romanze Dabei ist der Ter­mi­nus des Helden an ein Ver­hal­tenskonzept gebun­den wie an kein zweites: jenes der Romanze. Darin kor­re­spondiert es zwin­gend mit jen­em der hinge­bungs- und erwartungsvollen Gelieb-ten. Bei­dem kon­nte organ­isierte Führung nie so richtig gerecht wer­den, und dies auf­grund einiger Blind­heit für kon­sti­tu­tive Bedin­gun­gen gelin­gen­der Helden­haftigkeit. Der strahlende Held, dem die Aufmerk­samkeit und Hinge­bung der Geliebten sich­er ist, weiss näm­lich nichts über seine Helden­haftigkeit. Er ist naiv, alles, was er tut (näm­lich die Geliebte ret­ten um den Preis des eige­nen Lebens), täte nach sein­er Vorstel­lung auch jed­er andere. Jed­er Drachen-kämpfer weiss um die Gefahr, in die er sich beg­ibt, aber das ist für ihn nor­mal und kein­er Rede wert. Entsprechend gebührt ihm aus sei-ner Sicht auch kein Dank, und er ver­schwindet unerkan­nt in der Menge. Diese Beschei­den­heit erzeugt den Edel­mut. Den kann er nicht selb­st deklar­i­eren, der muss ihm zugeschrieben wer­den. Und wenn er dies den­noch selb­st tut, wird die Helden­haftigkeit klein­er und klein­er. Das unter­schei­det auch den kleinen von dem grossen Helden. Der kleine ver­sucht gezielt Beifall zu erzeu­gen, Ein­druck zu schin­den und sich mit sein­er Tat zu iden­ti­fizieren. In jedem Falle set­zt Helden­haftigkeit das Ern­ten von Aufmerk­samkeit, von Bewun­derung und App-laus voraus, aber dies darf nicht gezielt geschehen.

Erstaunlicher­weise haben die kleinen Helden der organ­isierten Führung diesen Beifall immer erhal­ten, wenn schon nicht aus den Rei­hen der eige­nen Adlati, so doch in grösse-rem Stil von ein­er Öffentlichkeit. Die kleinen Helden find­et man zuhauf, die grossen muss man – aus bekan­nten Grün­den – suchen. Das wirft nun ein schales Licht auf die Geliebten. Die Beifall­spenderin­nen haben möglicher­weise über­trieben. Geliebte, die tat­säch­lich geliebt wer­den wollen, sind im Spenden von Beifall spär­lich. So steigern sie das opfer­bere­ite Han­deln und die ero­tis­che Leis­tungs­fähigkeit des Helden. Klatschwütige dage­gen ziehen die kleinen Helden regel­recht an, sie laufen sys­tem­a­tisch Gefahr, nicht an Helden, son­dern an Schar­la­tane zu ger­at­en. Aber vielle­icht geht es gar nicht um Liebe?

Par­adise Lost Liebe set­zt ein Wir-Gefühl voraus, ein «Wir-zwei-gegen-den-Rest-der-Welt». Soweit hat es organ­isierte Führung nie gebracht, indem sie den Schein­wer­fer immer auf sich richtete und von Par­tizipa­tion nur faselte. Und dahin hat es auch eine sub­lime Öffentlichkeit nie gebracht, indem sie auch in den unpassend­sten Momenten noch applaudierte. Das wird nun in dem Moment regel­recht pein­lich, indem die Genetik der Organ­i­sa­tion zutage tritt. Man kann mit­tler­weile wis­sen, dass es die Organ­i­sa­tion ist, die die Resul­tate der Führung erzeugt, nicht die Führung selb­st. Man kön­nte auch sagen, es ist die Organ­i­sa­tion, die die Führung erzeugt und die Führung führt. Das unter­gräbt sofort alle Helden­haftigkeit. Führung hat ihr Sonett nicht im Rausch der Sinne, son­dern unter dem Räuch­er­stäbchen der Selb­stüber­schätzung gedichtet. Viel mehr aber: Es zeigt eine ver­schla­gene Organ­i­sa­tion, die lange Zeit die Führung selb­st als per­sona-lisiertes Holo­gramm, als Stel­lvertreter insze­niert hat, um ihre eigentliche Affäre zu verdeck­en. Sie pro­jizierte wahlweise Mr. Dar­cy oder Pam Ander­son auf ihre Aussen­haut. Alle Welt sah angeregt zu, während sie in aller Heim­lichkeit den Drachen der Unsicher­heit für die Gesellschaft ver­trieb und – in gross­er Helden­haftigkeit – darüber kein Wort ver­lor. Das geht nun aber auch nicht mehr so ein­fach, da man das Holo­gramm und den ver­meintlichen Betrug sieht und man nicht mehr weiss, wie man mit Führung – eben­so wie mit Vätern – eigentlich noch umge­hen kann, wozu sie noch brauch­bar sind auss­er zur Ausübung ein­er triv­ialen Sozial­tech­nik. Der Aufdeck­ungs­druck der Mo-derne hat eine sehr spezielle Dreiecks­beziehung in ein gleis­sendes Licht gestellt und alle Beteiligten mit Rat­losigkeit darüber verse­hen, wie es weit­erge­hen kön­nte. Man weiss heute zwar, dass das Vergnü­gen flüchtig, die Stel­lung lächer­lich und die Fol­gekosten mon­strös sind. Aber mehr auch nicht.

* Bewirtschaftet vom Kom­pe­tenzzen­trum für Unternehmensführung der Bern­er Fach­hochschule
** Kon­takt: ralf.wetzel@bfh.ch

ensuite, Jan­u­ar 2010