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fundamentalismus unterschiebt man

Von Peter J. Betts - Fun­da­men­tal­is­mus unter­schiebt man heute hier vor­wiegend gewis­sen (die weib­liche Form ist in diesem Fall ver­mut­lich eher unange­bracht) Islamis­ten, sich­er unter anderem auch zu Recht. Mir scheint aber, Fun­da­men­tal­is­mus als Krankheit, oft als Stand­fes­tigkeit fehlin­ter­pretiert, sei sehr weit ver­bre­it­et: in Staat­en, Parteien, poli­tis­chen, religiösen und ide­ol­o­gis­chen Cre­dos (etwa «Poli­tis­che Kor­rek­theit» oder «Kreation­is­mus»); bei Men­schen­grup­pen unter­schiedlich­er Herkun­ft oder Sprache oder ver­schiede­nen Geschlechts; der Kon­fronta­tion von unter­schiedlichen Dialek­ten, Alters­grup­pen, Minoritäten, Majoritäten; bei ver­schiede­nen Aus­prä­gun­gen sog­ar «fast» gle­ich­er, trotz­dem (deshalb?) unvere­in­bar­er Glaubens­for­men; zwis­chen Men­schen­grup­pen ver­schieden­er Haut­far­ben jew­eils den Ander­s­far­bigen gegenüber, aber beson­ders auch gegen jene, die Ele­mente bei­der oder mehrer Far­ben in sich vere­inen. Über das Poten­tial unser­er Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gie schreibt Jür­gen Neffe in seinem Werk «Dar­win, das Aben­teuer des Lebens» (C. Ber­tels­mann) im Zusam­men­hang mit den Cocos-Inseln angesichts eines weltweit funk­tion­ieren­den öffentlichen Fern­sprechap­pa­rates auf der unbe­wohn­ten «Direc­tion Island»: «Als einzige Spezies kön­nen wir uns über den gesamten Plan­eten unmit­tel­bar miteinan­der ver­ständi­gen. Welch eine Chance für eine intel­li­gente Art, gemein­sam Ziele zu ver­wirk­lichen, wenn sie das Zeital­ter von Krieg, Gewalt und Unter­drück­ung hin­ter sich lassen kön­nte.» «Verständigen’»sagt er, nicht ein­fach einan­der tele­fonieren. Und knüpft damit das ganze kul­turelle Evo­lu­tionspo­ten­tial an eine Bedin­gung, die wohl weit weg von Fun­da­men­tal­is­mus wäre. Ein paar Seit­en weit­er hin­ten schreibt er im Zusam­men­hang mit Mau­ri­tius: «(Ihr) Zusam­men­halt entste­ht durch Tol­er­anz. Eine mul­ti­kul­turelle Gesellschaft ohne eigene Kul­tur, ein Nebeneinan­der im Miteinan­der, wie es ein­mal auf der ganzen Welt Wirk­lichkeit wer­den kön­nte. Die Geburten­rate ist so weit zurück­ge­gan­gen, dass sich ein Ende des Wach­s­tums abse­hen lässt. Und das in einem Entwick­lungs­land, das zu Afri­ka gehört…» Zwar wird eine «foto­gene Garten-Eden-Exotik» vorge­gaukelt. Und reich ist klar von arm getren­nt, Elend von Über­fluss; Neffe schreibt: «In ein­er der erfol­gre­ich­sten Imagekam­pag­nen des glob­alen Touris­mus hat sich das Land zum Paradies mit Exk­lu­si­vanspruch erk­lärt. Man bleibt unter sich…» Tol­er­anz, offen­bar getra­gen durch gegen­seit­ige Gle­ichgültigkeit, die Fun­da­men­tal­is­mus nicht auss­chliesst, aber das Entwick­eln ein­er gemein­samen Kul­tur ver­hin­dert. Und etwas später, nach­dem er die hier so üblichen wie gefährlichen Prak­tiken der Gen-Biolo­gie, beziehungsweise Gen­tech­nolo­gie und deren Fol­gen im Anschau­ung­sun­ter­richt erfahren hat, heisst es: «Wenn ich je vom Tote­nack­er der Evo­lu­tion gesprochen habe, hier beschre­ite ich einen. Mit­ten auf der Insel, die sich so gut als Paradies verkauft.» Fol­gen von getarn­tem Fun­da­men­tal­is­mus? Pub­lic Rela­tion tritt an die Stelle von Kom­mu­nika­tion. Jeden­falls ste­ht nicht «Ver­ständi­gung» im Vorder­grund. Selb­stver­ständlich ist es sin­nvoll, wenn sich unter anderem «Schwarze Deutsche in Medi­en und Öffentlichkeit» gegen «Belei­di­gun­gen, die für die Ent­men­schlichung, Mis­shand­lung, Her­ab­würdi­gung und Diskri­m­inierung schwarz­er Men­schen» wehren oder pos­tulieren: «Die mit Ras­sis­mus ver­bun­dene Ent­men­schlichung gilt es zu been­den, nicht zu repro­duzieren.» Diese bei­den Zitate ent­nehme ich der Peti­tion «Stoppt den weis­sen Wum­ba­ba!» Was hat das mit Fun­da­men­tal­is­mus zu tun? Lassen Sie mich ver­suchen zu erk­lären: Als Kind habe ich mich immer über das Lied gewun­dert, das ich so gehört und ver­standen und mit Inbrun­st weit­er gesun­gen habe: «Von Ferne sei her­zlich gegrü-üsset, du stilles Gelän­der am See…». Ich wusste wohl, dass ein Gelän­der am Seeufer Sinn machen kön­nte, nicht aber, was ein «Gelände» war, und das Rütli hat­te für mich nichts bedeutet. Ich nehme an, auch Sie haben sich schon bei Liedern ver-hört und waren vom anderen, von Ihnen erschaf­fe­nen Sinnzusam­men­hang überzeugt, während der Orig­inal­text für Sie wenig Sinn gemacht hätte. Axel Hacke ist vie­len Ver-Hör­ern nachge­gan­gen. Zum Beispiel dem – eige­nar­ti­gen Text «Weisst du wie viel Stern­lein ste-e-hen an dem grossen Him­mel­szelt? Gott der He-err hat sie gezä-älet…». Warum sollte der Herr die Sterne zählen, nach­dem er sie geschaf­fen hat? Er ist ja all­wis­send. Ander­seits wäre eine Erken­nt­nis vielle­icht sin­nvoll: «Gott der Herr hat sieben Zähne…». Ein auf­schlussre­ich­er Gegen­satz zu sein­er Schöp­fung von unzählbaren Ster­nen am grossen Him­mel­szelt. Aus wenig viel machen oder so, etwa aus Lehm den Adam und dann aus der Rippe die Eva und was son­st noch im Wochen­pro­gramm aufge­lis­tet war. Mit Sicher­heit keine Blas­phemie, son­st wäre man ja nicht mit Demut und Wis­sens­bere­itschaft zur Son­ntagss­chule gegan­gen. Ver-Hören als Quelle der Schöp­fungskraft. Dieses Phänomen hat Hacke in seinem Buch ver­fol­gt. Ein beson­ders poet­is­ch­er Ver-Hör­er diente dann als Titel seines Buch­es im Kun­st­mann-Ver­lag. Aus «Der Mond ist aufge­gan­gen» von Matthias Claudius wur­den die bei­den let­zten Verse der ersten Stro­phe zu «Und aus den Wiesen steiget der weisse Neger Wum­ba­ba» (anstatt «…der weisse Nebel wun­der­bar.»). Nicht ein­fach lustig oder schlicht falsch, son­dern vielschichtig, vieldeutig. Mit ein­er Selb­stver­ständlichkeit hat die Ver-Hörerin oder der Ver-Hör­er den Begriff «Neger» nicht mit «schwarz» ver­bun­den, son­dern mit Geheim­nis jen­seits aller Rassen oder Haut­far­ben. Ein kreativ­er, poet­is­ch­er Titel: «Der weisse Neger Wum­ba­ba». Denkt man. Aber jemand, für die oder den – aus mehr als nur ver­ständlichen Grün­den – der Begriff Neger zum Reiz­wort gewor­den ist, sieht auch hier nur, was zu sehen ihm oder ihr die Brille zu sehen erlaubt: Aus­druck für Ras­sis­mus, und aus der Optik des Ver­lags zusät­zlich: Aus­beu­tung ein­er eh schon getrete­nen Men­schen­gruppe. Und so heisst denn die Peti­tion «Stoppt den weis­sen Wum­ba­ba» nicht der Kürze wegen so, son­dern weil die Unterze­ich­n­er (Warum nur Män­ner? Diskri­m­inieren sie nur aus Eifer die Frauen oder ist es ein verzeih­lich­er, unwesentlich­er Lap­sus? Ist so eine kleine Diskri­m­inierung hier tolerier­bar?) allein schon das Wort «Neger» nicht schreiben kön­nen und sich dabei zugle­ich den Vorteil ein­han­deln, dass die Kürzung den Zusam­men­hang des Ange­focht­e­nen ver­wis­cht und somit mehr Unter­schriften bewirkt? Nicht zulet­zt, weil sich der Bezug zu Nebel, der Gedichtzeile, der Moti­va­tion der Ver-Sprecherin oder des Ver-Sprech­ers nicht nachvol­lziehbar wird. Dem­a­gogie? Sind nicht nur in der Liebe alle Mit­tel erlaubt, son­dern auch im fun­da­men­tal­is­tis­chen Aktivis­mus? Neffe schreibt: «Mau­ri­tius gibt es zweimal. Bei­de liegen auf der­sel­ben Insel im Indis­chen Ozean, östlich von Mada­gaskar. Das eine ist das Ergeb­nis ein­er Wer­bekam­pagne und ver­spricht nicht weniger als ‹Le par­adis›. Im anderen zählen sie ger­ade noch die let­zten urwüch­si­gen Bäume…» Und: «In den Zeitun­gen tauchen Worte der Glob­alökonomie auf. Onli­ne­ser­vices und Call­cen­ter sollen das Land für das Out­sourc­ing von Dien­stleis­tun­gen von Hochlohn­län­dern attrak­tiv machen… Die Pflanzen wer­den so verän­dert, dass Bauern ihr Saatgut kaufen müssen, statt es sel­ber von der Ernte abzuzweigen. Damit ger­at­en sie nach Ein­führung von Kun­st­dünger und Pes­tiziden noch stärk­er in die Abhängigkeit von grossen inter­na­tionalen Konz­er­nen. Und das, obwohl sich heute mit klas­sis­ch­er Zucht durch mod­erne Meth­o­d­en wie dem ‹Mark­er Assist­ed Breed­ing› – da wer­den DNA-Dat­en zur Selek­tion genutzt – in der Regel sehr viel effek­tiv­er und vor allem unge­fährlich­er neue Sorten her­stellen lassen.» Fun­da­men­tal­is­mus hat viele Gesichter. Das gefährliche Prob­lem dabei ist, welche Brille sie jew­eils tra­gen und mit welch­er Auss­chliesslichkeit, wie durch­läs­sig sie sind. Oder: Wie gut sich diese Auss­chliesslichkeit ver­mark­ten lässt.

ensuite, April 2009