Von Lukas Vogelsang - Kultur und Kunst, kaum mit einheitlichen Definitionen versehen, sind Gunst, Gnade und Verderb einer Stadt. Eine neue Strasseninspektorin fragt bei Amtsantritt nicht die Baufirmen und die Strassenzulassungsbehörden: «Was braucht ihr, damit ihr optimal funktionieren und verdienen könnt?» Ihr Job wäre, die Bedürfnisse der Bevölkerung, die Notwendigkeiten der städtischen Verkehrsentwicklung zu erfassen, um dann Lösungen mit den unternehmerischen Baufirmen und weiteren Behörden zu koordinieren und zu veranlassen. Sie ist das Bindeglied zwischen der Bevölkerung, den Unternehmen und der Politik. Klingt logisch, oder? Doch so wird das in der Kultur und der Kunst nie praktiziert.
Zum zigsten Mal erleben wir in Bern eine neue Kultursekretärin, die noch vor dem Amtsantritt verkündet: «Ich finde, wer kuratieren will, ist in der Verwaltung am falschen Ort. Das müssen Künstler und Institutionen tun. Ich will mehr Leute zusammenbringen, Ideen aufnehmen und weiterleiten und gute Rahmenbedingungen schaffen.» («Der Bund») Das mit dem Kuratieren ist nicht falsch, doch danach hat niemand gefragt. Ein öffentliches Amt sollte nie selber produzieren oder eben kuratieren. Ebenso ist es müssig, wenn sie sich mit Leuchtturmprojekten ein kulturpolitisches Denkmal setzen. Die Frage müsste vielmehr lauten: Wo ist die Bevölkerung? Wo ist das Publikum? Für wen arbeitet eine öffentliche Abteilung in Sachen Kultur und Kunst?
«Kultur» ist ein Oberbegriff, die «Kunst» ein Teil davon, und es beinhaltet alles, was von Menschen gemacht ist. Peter Betts, der erste Kultursekretär von Bern (26 Jahre lang), sagte es einmal treffend: «Wenn wir über die Gestaltung des Berner Bahnhofplatzes sprechen, wie sich Menschen auf diesem Platz begegnen und bewegen sollen, so muss die Abteilung für Kulturelles zwingend in der Planung dabei sein.» Wir haben eine Universität in der Stadt und Fachhochschulen, doch werden diese verdächtig wenig hinzugezogen, wenn es um statistische oder entwicklungstechnische Fragen geht. Wissenschaftliche Forschung soll in die Kulturpolitik einfliessen? – Das scheint ein Traum zu bleiben: Die letzte Kulturstrategie der Stadt Bern ist ohne strukturierte Gespräche entstanden, sozusagen aus einer netten Plauderei heraus, geradezu ein Hohn in Bezug auf die Hoch- und Fachschulen in Bern. Dabei: Die Kultur für Studenten wäre ein grosses Thema – siehe auch die Nachtlebendiskussion, die an verstaubten städtischen Dogmen kaum vorbeizukommen scheint.
Erstaunlicherweise sind wir weit davon entfernt, gemeinsame und öffentliche Kulturdiskussionen zu führen. Ich begründe damit einen Grossteil des Besucherrückganges und das allgemeine Desinteresse an kulturellen Themen. Die städtischen Quartierszenen werden erst jetzt in die kulturelle Diskussion der Stadt Bern aufgenommen. Bisher war das kaum Thema. Die Integration der Bevölkerung in die heutige Kulturpolitik ist zu einseitig ausgelegt und schliesst mehrheitlich aus. Schätzungsweise 85 Prozent der Arbeit der heutigen Abteilung KulturStadtBern haben mit der Finanzierung von Kunstprojekten oder Kulturinstitutionen zu tun, der jährliche Tätigkeitsbericht klingt wie ein Gewerkschaftsbericht für Kulturschaffende. Skandalmeldungen sind das Einzige, was aus dieser Abteilung noch zu hören ist. Es werden keine Analysen oder Erfassungen von den Bedürfnissen und Problemen in der Bevölkerung gemacht und auch nicht angeboten. Studien werden nur erstellt, um politische Geldforderungen zu ermöglichen – entsprechend diffus sind diese Auswertungen.
Ein Missverständnis: Kulturbehörden wollen grundsätzlich keinen Dialog führen – das wird bei der Stadt, beim Kanton wie beim Bundesamt für Kultur so gepflegt. Diese Abteilungen arbeiten auf Geheiss der Wahlpropaganda der Politik und sind immun gegen die Funktion, der Öffentlichkeit zu dienen. Der Auftrag wäre eigentlich, die gesellschaftlichen Fragen zu definieren – durch den Dialog mit allen Beteiligten. Und ob KünstlerInnen, Kunst- und Kulturinstitutionen, sie alle sind die Branchenteilnehmer*innen, die unterhaltende oder kreative Lösungen für eine sich entwickelnde Gesellschaft bieten können, wollen und sollten. Doch wer definiert die Fragen? Lösungen suchen wofür? Für fehlende Innovationen, deren Innovation wir nicht als solche erkennen, weil wir nicht wissen, wonach wir suchen?
Der Auftragstext wurde in der HKB Zeitung Ausgabe 4/2018 (Dezember 2018 – Februar 2019) gedruckt.
Thema: Kultur – Politik – Förderung
Wer sich in der Kulturszene und in der Kulturpolitik bewegt, kennt den Wunsch nach vermehrten Diskussionen und Debatten. Parallel zum sukzessiven Abbau bei den traditionellen Kulturmedien wächst das Bedürfnis nach Kritik und Diskurs.
Auch die HKB-Zeitung will sich stärker in der Berner Kultur- und Kunstwelt einbringen und einmischen. Wir wollen mehr Meinungen abbilden. Wir wollen mehr Diskussionen führen (lassen). Wir möchten, dass Sie über uns reden.
In dieser Ausgabe starten wir mit einer gross angelegten Runde zur Kulturstadt Bern. Was bieten das Kunstschaffen und die Kulturförderung in Bern? Was nicht? Was ist einem wichtig und lieb an der Kulturstadt Bern? Dazu befragen wir auch sechs Studierende und Alumni der HKB. Ausserdem lassen wir in der neuen Rubrik Stellungnahme den ensuite-Chefredaktor Lukas Vogelsang zu Wort kommen. Mit einer Fotostrecke von Marco Frauchiger, Student im Master Contemporary Arts Practice, gehen wir den visuellen Spuren der Kulturstadt Bern nach.
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