Von Lukas Vogelsang — Es gibt nicht allzu viele MusikerInnen, die mit so viel Engagement und Kraft, mit Hoffnung und Wille ein Musikfestival aus dem Boden stampfen können, wie es die Violinistin Gwendolyn Masin schafft. GAIA ist ein Kammermusikfestival – eigentlich. Aber es ist eben viel mehr als das: Gaia hat sich zu einem musikalischen, kulturellen und gesellschaftlichen Befreiungsschlag etabliert, schafft es mit Herz und Seele, eine Plattform für Musik zum Klingen zu bringen, die international renommierte Stars aufhorchen lässt.
Hinter den Kulissen arbeitet ein kleines Team. Die Freundschaft zwischen Gwendolyn Masin und dem Architekten Christoph Ott und viele HelferInnen bewirken Grosses. In Deutschland wurde das Festival mit dem Göppinger Kulturpreis ausgezeichnet.
Ein Gespräch mit Gwendolyn Masin ist ein Eintauchen in eine Welt, die von unbändigen Energien getrieben, mit sehr viel Hoffnung und Einsicht, Wärme und dem Glauben und Wissen, dass mit Musik etwas von Menschen für Menschen entstehen kann. Jede Zelle scheint bei ihr «Gaia» widerzuspiegeln. «Gaia» kommt aus der griechischen Mythologie: So nannten sie die Erde in Göttergestalt. Die Namensgebung des Festivals bedient sich damit eines soliden und geerdeten Fundaments und zeigt, dass ein Festival mehr als nur ein Musikprogramm sein kann. In einer Pressemitteilung schreibt Gwendolyn Masin treffend: «Wir wollen Kammermusik aus dem Museum holen, uns mit aller Leidenschaft auf sie stürzen und zu neuem Leben erwecken.»
ensuite fragte Frau Masin, wie es zu diesem Festival gekommen ist:
«Gaia» entstand 2006 in Stuttgart aus einer Idee heraus, um ein Festival zu kreieren, wo ich als Musikerin eine Plattform bauen kann, wo Platz ist, um Programme so zu gestalten und zu spielen, wie ich es für richtig empfinde. Ich kenne es von mir selber als Musikerin, aber auch von KollegInnen, wenn man auf einem gewissen Niveau spielt, hetzt man von einem Konzert zum nächsten. Und bei vielen Festivals wird man so zu einem Massenimportprodukt. Man lädt also KünstlerInnen ein, die einander eh schon kennen und die spielen dann ein schönes Konzert, und alle haben Freude, und das nennt sich dann Festival.
Meine Idee war aber, dass die MusikerInnen so ein Festival mitgestalten können. Und zwar aktiv, nicht nur, dass sich jemand bei der Schlussorganisation von einem Festival noch die Zeit nimmt, ein paar Leute anruft und meint, ja, jetzt kommt mal her und spielt da noch was … Sowas kann ja jeder organisieren, wenn das Geld zur Verfügung steht.
In Stuttgart haben wir das von Anfang an so durchgezogen – wir konnte da in zwei Kirchen spielen, einer grösseren und einer kleineren. Und fragen Sie nicht, wieso, es war ein unglaublicher Erfolg. Von Anfang an waren die Konzerte extrem gut besucht, und ein Jahr darauf mussten wir sogar Leute abweisen, weil kein Platz mehr da war. Das konnte so stattfinden, weil alle MusikerInnen, man darf das heute schon fast nicht mehr sagen, sehr idealistisch waren. Ich sag das so, weil man oftmals vergisst, dass Talent im Grunde wertlos ist, wenn keine Motivation, keine Arbeit, kein Fleiss und keine Denkweise dahinter stecken. Und es gibt eben viele KollegInnen, die unheimlich gerne auf so ein Risiko, was es im Grunde ist, eingehen. Risiko deshalb, weil die MusikerInnen für eine Woche kommen, zum Teil kennen sie sich gegenseitig, zum Teil nicht, zum Teil kennen sie die Stücke, zum Teil nicht – für «Gaia» werden einige Stücke speziell für das Festival geschrieben –, es gibt dabei Uraufführungen, Schweizer Erstaufführungen, was weiss ich …
Auf jeden Fall wurde ich eingeladen, für die Schweiz ein «Gaia»-Festival zu erschaffen. Und wir haben hier ja an den schönsten Orten bereits klassische Festivals. Aber der schönste Ort überhaupt, und ich meine weltweit, ist der Kanton Bern. Da hat es einfach alles. Es ist wie Neuseeland, es hat Gebirge, Alpen, es hat Flüsse, es hat Hoch und Runter, gutes Wetter, es hat Schnee, einfach alles. Und Thun ist für «Gaia» der perfekte Ort. Im letzten Jahr haben wir das zum ersten Mal gemacht, mit den gleichen Ideen wie zuvor. Und wir hoffen natürlich, dass, wenn man ein «Gaia»-Festival macht, man nicht nur ein kulturelles Phänomen veranstaltet – wie in den guten alten Zeiten, als man sich noch Zeit genommen hat, Musik zu machen –, sondern auch ein soziales Phänomen veranstalten zu können. So sind alle Proben öffentlich, es gibt Meisterklassen, die sind gratis, wir suchen den Austausch mit dem Publikum aktiv. Damit die MusikerInnen, die an ein «Gaia»-Festival kommen, danach wirklich sagen können, dass sie mit dem Publikum einen persönlichen Kontakt aufbauen konnten. Und das wiederum hört man eben. In dieser Form spielt man anders, und das hört sich anders an.
Gespielt werden Werke von Claude Debussy, Johannes Brahms oder an den Themenabenden «Gaia Vintage» (Hommage und Erstaufführung in der Schweiz zum 200. Geburtstag von Robert Schumann), «Cello Concertante» mit Werken von Max Bruch und Robert Schumann, Jorge Bosso und Pjotr Iljisch Tschaikowsky, «The Madness of May» mit Werken von Heinrich Ignaz Franz Biber, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert, Johann Halvorsen, Eugène Ysaÿe und das «Gala-Konzert» mit Werken von Léo Weiner, Antonio Vivaldi, Johann Sebastian Bach, Kurt Atterberg, Johannes Brahms.
Zehn international renommierte Solisten kommen nach Thun: Violine: Gwendolyn Masin (Dublin, Bern), Emi Ohi Resnick (New York, Amsterdam), Lena Neudauer (München); Viola: Ilya Hoffmann (Moskau); Cello: Frans Helmerson (Bonn, Stockholm), Gavriel Lipkind (Frankfurt, Tel Aviv), Timora Rosler (Utrecht, Tel Aviv); Klavier: Robert Kulek (Riga, Amsterdam), Roman Zaslavsky (Karlsruhe, St. Petersburg); Fagott: Martin Kuuskmann (Talinn, Washington) und zusätzlich das Grazioso Kammerorchester des ungarischen Nationalen Philharmonie Orchesters.
Das «Gaia»-Festival fand vom 6. bis 9. Mai 2010 in der Kirche Blumenstein, dem Rittersaal im Schloss Thun, im Schloss Oberhofen und der Kirche Amsoldingen statt.
Nähere Informationen entnehmen der Webseite www.gaia-festival.ch.
Bild: Temperamentvoll, Gwendolyn Masin / Foto: zVg.
ensuite, Mai 2010