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Gegen das Verstummen einer Kultur

Von Till Hill­brecht - Man stellt den Unter­schied zum touris­tis­chen Teil San Sebas­tians sofort fest. Als ich vom belebten Teil des Gros-Quartiers in eine schmale gepflasterte Gasse ein­biege, schie­len mir Augen ent­ge­gen, die mich sofort als Zaun­gast ent­lar­ven. Tis­che und Bänke klein­er Bistros säu­men das Trot­toir, Ein­heimis­che sitzen und ste­hen ent­lang der Strasse, einige schlür­fen Sidra. Ich füh­le mich wohl hier, die Gegend passt zu mir. Die Kneipen und Läd­chen erin­nern mich an die heimis­che Lor­raine, wo man in Bern heute noch dann und wann ein authen­tis­ches Quartier(be-)leben find­et. Aber ich bin in Donos­tia, bask­isch für San Sebas­t­ian und ste­he vor der Bar, in der ich verabre­det bin. Es ist zu früh für die Ein­wohn­er, das Lokal ist so gut wie leer, nur Musik füllt den Raum und die übri­gen Pin­tx­os vom Mit­tagessen, die auf dem Tre­sen ste­hen. Daran angelehnt ste­ht Iña­ki, meine Verabre­dung. Er winkt mir lächel­nd zu. Iña­ki ist ein junger bask­isch­er Jour­nal­ist und mit der ersten kurzen Begeg­nung ein Fre­und von mir gewor­den. Er ken­nt die Missstände, die hier im Herzen des Basken­lan­des herrschen, aus erster Hand. Er muss sie erlei­den, mit ihnen umge­hen, sie bekämpfen und er will in diesem Kampf gewin­nen. Damit entspricht Ina­ki dem Ide­al des mil­i­tan­ten ETA-Anhängers, dem Bild, welch­es als Syn­onym für die bask­ische Unab­hängigkeits­be­we­gung in den Rest der Welt über­mit­telt wird. Nun, mil­i­tant wäre das let­zte Wort, welch­es ich für den Beschrieb dieser unauf­fäl­li­gen und scheu wirk­enden Per­son benutzen würde. Und Mit­glied der ETA ist Iñaki schon gar nicht. Das einzige Mit­tel, welch­es er im Kampf um seine eigene Kul­tur ein­set­zt ist die Fed­er. Sein Arbeits­ge­ber pub­liziert eine aus­nahm­s­los in Euskera ver­fasste Zeitung.

Euskera, die Lan­dessprache der Basken, ist die einzige Europas, die nicht indoeu­ropäis­chen Ursprungs ist und wird von Lin­guis­ten als eine der ältesten Sprachen Europas geschätzt. Drei von vier Prov­inzen sind bilin­gual, offiziell wird in Spanisch und Euskera beschildert. Doch Euskera wird heute nur noch von rund ein­er hal­ben Mil­lion Men­schen gesprochen. Zwar ist das Bestreben gross, die Kastil­ian­isierungspoli­tik der Ära Fran­cos rück­gängig zu machen, doch sein fast 40 Jahre andauern­des Sprachver­bot hat das Kul­turerbe ein­er ganzen Gen­er­a­tion aus­gelöscht, der Sprachraum schwindet mehr und mehr. Damit die Land­sleute ihre Sprache nicht ver­lieren, ihre wun­der­same Kul­tur behal­ten kön­nen und auch für ihre Unab­hängigkeitdafür set­zt sich Iña­ki ein. Diese Arbeit ist hart und nicht unge­fährlich. Men­schen, die sich in irgen­dein­er Form für das Basken­land engagieren ste­hen im Visi­er Spaniens, Zen­sur wal­tet willkür­lich und nagt an allen Euskera-Medi­en. Viele sind ihr schon zum Opfer gefall­en. Aus Jour­nal­is­ten wer­den schnell ein­mal Ver­schwör­er, aus Kul­tu­run­ter­stützen­den Volks­ma­n­ip­u­lanten und aus Demon­stran­ten Ter­ror­is­ten.

«I’m a rebel», witzelt Iña­ki und belächelt diesen Umstand. Seine fried­volle Art macht die Schilderung sein­er Erleb­nisse im Kon­flikt mit Spanien nur noch ungläu­biger. Iñakis Blick schweift durch die Bar, bleibt an einem Plakat heften, sein Gesicht­saus­druck wird ruhig. Für einen Moment herrscht Stille und ich weiss nicht, ob ihm gle­ich Trä­nen kom­men. Doch es kommt wiederum ein Lächeln und er schaut zu mir. Das Plakat zeigt einen bask­ischen Häftling, der in diesen Tagen das Gefäng­nis auf Kau­tion ver­lassen darf und nun auf seinen Prozess wartet. Er ist ein Fre­und Iñakis. Was er getan hat? Er hat Fam­i­lien geholfen, die ihre Ver­wandten hin­ter Git­tern besuchen wollen. Die Spanis­che Regierung sieht vor, Basken in Gefäng­nisse auf der anderen Seite des Lan­des zu brin­gen. Für eine Mut­ter bedeutet dies bis zu 800 km Reise um eine halbe Stunde mit ihrem Sohn sprechen zu dür­fen. Was aber ist nun der Grund für die Ver­haf­tung dieses Mannes? Ich schreibe es noch mal: Er unter­stützt Fam­i­lien, die Ange­hörige hin­ter Git­tern haben…

Jaizk­i­bel, 455 m.ü.M. Wir ste­hen auf der Spitze des dicht und grün bewach­se­nen Aus­läufers der Pyrenäen. Die Land­schaft ist weit­ge­hend unberührt, nur kleine Tram­pelp­fade führen umher und sähe ich in der Ferne nicht den dunkel­blauen Strich des Meeres, kön­nte ich mir diesen wun­der­schö­nen Fleck genau­so gut in die Schweiz denken. Dornige Büsche wehen im Wind, Eidech­sen huschen davon. Iña­ki erk­lärt mir das Panora­ma, als ich weit hin­ter uns Gewehrsal­ven vernehme. «Das spanis­che Mil­itär», sagt mir Iñaki beiläu­fig. Die Armee hat inmit­ten dieses Natur­parks einen Übungsplatz erstellt. Ein wenig irri­tiert wende ich meinen Blick zum nördlichen Fuss des Jaizk­i­bel und rechne mir aus, dass dieser Küsten­ab­schnitt bere­its zu Frankre­ich gehören müsste. Iña­ki bestätigt: «Legaler­weise schon.»

Iñakis The­o­rie zufolge ist die zum Teil schw­er erre­ich­bare hügelige Land­schaft der Grund, weshalb Inva­soren über lange Zeit fern blieben. Dies würde auch erk­lären, weshalb die bask­ische Sprache ohne wesentliche Verän­derun­gen bis heute erhal­ten blieb und sich inner­halb der bask­ischen Gren­zen ein eigenes, über­aus inten­sives Kul­turleben und ‑streben abspielt. Kul­tur und Tra­di­tion geniesst namentlich in San Sebas­t­ian einen sehr hohen Stel­len­wert. Die Erk­lärung ist sim­pel: Wäre etwa die Schweiz seit langem in einen Unab­hängigkeit­skon­flikt verzettelt und das Volk müsste um seine Sou­veränität zit­tern, entstünde ein ähn­lich­er Effekt. Tra­di­tio­nen wür­den aus ihrem Dorn­röschen­schlaf aufwachen, volk­stüm­lich­es Treiben erhielte einen immensen Pop­u­lar­itätss­chub. Der Iden­tität­slose ver­schafft sich so ein Gesicht, Kul­tur bleibt präsent, sie wirkt als Bindeglied ein­er Nation. Und genau dies geschieht im Basken­land: Das Volk will sich iden­ti­fizieren mit seinem Land, mit sein­er Beson­der­heit und daraus gedei­hen wertvolle Früchte. Im Unter­schied zu anderen Völk­ern engagieren sich näm­lich vor allem junge Men­schen für ein Fortbeste­hen der Kul­tur — ältere Gen­er­a­tio­nen haben im Dik­tat Fran­cos Sprache und Tra­di­tion fast gän­zlich ver­loren. Diese Lücke hat als trau­rige Folge eine Art Anal­pha­betismus mit sich gebracht, deren Auswirkun­gen sich erst in diesen Jahren zeigten: Älteren Men­schen, die während Fran­cos Dik­tatur nicht in Euskera son­dern in Spanisch unter­richtet wur­den, haben oft­mals ein Wortschatzde­fiz­it und das Manko der Schreibken­nt­nisse ist zu gross, um der All­t­agskom­mu­nika­tion gerecht zu wer­den. Ein Teufel­skreis: Anhand der geografis­chen Sprachge­bi­eten zeigt sich, dass die bask­ische Kul­tur vor allem dort ver­bre­it­et ist, wo haupt­säch­lich Euskera gesprochen wird. Um das Kul­turleben in jenen Regio­nen anzukurbeln, in denen vor­wiegend Spanisch gesprochen wird, muss zuerst wieder Euskera unter­richtet wer­den. Und das weiss die spanis­che Regierung mit Erfolg zu ver­hin­dern. Die Sprache bleibt der Brück­en­schlag zwis­chen Men­schen und Kul­turen und wo Sprache nicht ist, ist auch keine Kul­tur.

Betritt man aber die bask­ischen Hochbur­gen — San Sebastian/Donostia etwa — lässt sich durch eine Vielzahl ver­schieden­er Eigen­tüm­lichkeit­en den Gegen­satz zu benach­barten Spanis­chen Prov­inzen fest­stellen. Zum Beispiel eine ganze Rei­he typ­is­ch­er Sportarten, allen voran das «Pelota-Spiel». Eine atem­ber­aubende Ver­sion des Squash, deren Anzahl fanatis­ch­er Anhänger genau­so so hoch ist wie der Wett-Umsatz, der damit erzielt wird. Und jedes Jahr säu­men Aber­tausende von Men­schen das hügelige Gelände um den Hafen, um die Regat­ta der «Train­eras», heimis­chen Rud­er­booten, mitzu­ver­fol­gen: Einem Rud­er­sportwet­tbe­werb, der seinen Ursprung darin find­et, dass sich die Fis­ch­er in ihren «Train­eras» in Schnel­ligkeit konkur­ren­ziertenum den frischesten Fisch zu verkaufen.

Es ist Sam­stag, wir tre­f­fen uns zu zum Zipotz-Strassen­fest in Gros. Sidra, eine Art Apfel­wein und bask­ische Spezial­ität, wird aus mannshohen Holzfässern gegossen, dazu gibt’s Fisch, Käse und Früchte. «Tschotsch», ruft Iña­ki laut­stark und von über­all her «Tschotscht» es zurück, es ist die Auf­forderung für ein weit­eres Glas Sidra. Iñaki klärt mich über die «Bert­so­lari» auf, ein inter­es­santes Stück bask­isch­er Kul­tur: Das Pub­likum wählt ein bes­timmtes The­ma aus und eine hand­voll «Bert­so­lari» sin­gen impro­visierte Texte zum aus­gewählten Begriff. Fast würde ich mich zur Aus­sage ver­leit­en lassen, dass ich hier die Vor­re­it­er des Freestyle-Rap gefun­den habe. Ich sehe Men­schen in ver­schiede­nen Tra­cht­en umher­wirbeln, Sänger zupfen die Sait­en ihrer Gitar­ren und erzählen bask­ische Geschicht­en, das Pub­likum stimmt in die Texte ein. Später spie­len junge Bands, vor allem aus dem hier weitver­bre­it­eten sozialkri­tis­chen Met­al-Genre und sin­gen von nichts anderem, was auch die Kün­stler der Volk­stüm­lichen Musik zuvor nicht schon man­i­festierten. Auf Euskera ver­ste­ht sich, soll heis­sen, ich ver­ste­he nichts. Iña­ki erk­lärt: Vieles sind Klagelieder, aber man hat Freude. Eine gesunde Melan­cholie macht dem pos­i­tiv­en Geist der Ver­anstal­tung platz. Die Ver­gan­gen­heit nicht vergessen, aber mit Zuver­sicht in die Zukun­ft blick­en.

San Jose, Hafen­nähe. Ich sitze mit Iña­ki am Meere­sufer in einem kleinen Fis­cher­dorf, die Sonne ver­schwindet hin­ter dem Jaizk­i­bel, nur das Wass­er dient eini­gen Strahlen noch als Spiegel. Eine Train­era-Equipe trainiert darauf, dann und wann rufen ihnen Anwohn­er unter­stützende Worte zu. Ich sehe von hier aus das Gemein­de­haus, bask­ische Parolen zieren seine Wände. Dass die Sit­u­a­tion alles andere als bere­inigt ist, merkt man auch im hin­ter­sten Eck­en San Sebas­tians. In den Dör­fern und auch in der Stadt hän­gen poli­tis­che Plakate von den Däch­ern und mil­i­tan­ter noch sind Parolen, die an die Hauswände geschmiert sind. «Gora ETA!» heisst es da zum Beispiel: Hoch lebe die ETA! Mit grossen Bildern wird den Häftlin­gen gedacht, man zele­bri­ert sie als kleine bask­ische Gue­varas. Iña­ki weiss, dass niemals Gewalt das Mit­tel sein wird, welch­es den Weg in die Unab­hängigkeit ebnet. Er unter­stützt den mil­i­tan­ten Kampf nicht — kann ihn aber auch nicht been­den. Es ist wie in allen anderen Kon­flik­ten das­selbe: Eine Brut wird toll­wütig, weil sie von Gewalt ander­er infiziert wird. Die Unab­hängigkeits­be­we­gung ist mit enormer Kraft präsent, die Angst vor dem Ver­lorenge­hen treibt sie an. Men­schen wie Iña­ki wollen die Unab­hängigkeit nicht um jeden Preis. Aber sie wollen, dass das Bask­ische Volk selb­st entschei­den darf, ob ihrer Kul­tur und ihrer Sprache eine Zukun­ft geschenkt wer­den soll oder nicht.

Iña­ki blickt aufs Meer zurück. Nach­den­klich, aber lächel­nd.

Der Artikel erschien im Orig­i­nal unter dem Titel: «Sprachlosigkeit ein­er Kul­tur — Wenn das Basken­land seine Kul­tur nicht mehr ver­ste­ht»

Bild: zVg.
ensuite, Sep­tem­ber 2005