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Gekommen, um zu bleiben

Von Simone Weber — Als Pro­voka­tion und all­ge­meine Respek­t­losigkeit wurde er ver­schrien. Doch dem Minirock war das egal. Er wollte getra­gen wer­den und die rebel­lis­chen 60er-Jahre boten ihm dazu die ide­ale Bühne. Nach­dem er 1962 in der britis­chen «Vogue» abge­bildet wurde, ging es keine drei Jahre, bis das skan­dalöse Klei­dungsstück auf der ganzen Welt getra­gen wurde. Dieses Fet­zchen Stoff passte wun­der­bar zum neuen Selb­st­be­wusst­sein der sich von Zwän­gen befre­it füh­len­den Frauen der wilden 60er-Jahre. Der Rock endete min­destens 10 Zen­time­ter über dem nack­ten Knie und passte damit zur sex­uellen Rev­o­lu­tion wie das Tüpfchen aufs i.

Er wurde in allen Gesellschaftss­chicht­en getra­gen, von jung bis alt, in der High Soci­ety, von Tee­nies, Film­stars und Haus­frauen – sog­ar das britis­che Königshaus akzep­tierte eine Kürze von bis zu sieben Zen­time­tern über dem Knie.

Im Buck­ing­ham Palast wurde der englis­chen Erfind­erin des Minirocks, Mary Quant, sog­ar der «Order of British Empire» für ihre rev­o­lu­tionäre Kreation ver­liehen. Schon Mitte der Fün­fziger eröffnete sie in Lon­don einen Laden mit eigens kreierten Klei­dern. Die Mode jen­er Zeit emp­fand sie als «beschränkt und hässlich» und ungeeignet, um einem Bus hin­ter­herzuren­nen.

Warum bracht­en es Marys Röcke in kürzester Zeit zu solch gross­er Beliebtheit? Es war seine starke Sym­bol­kraft. Als gewisse Kreise beim Anblick eines Minirocks noch beschämt nach Luft schnappten, wurde er zu einem State­ment. Er sagte in etwa: «He, ich bin kein obszön­er Lumpen, ich bin die luftige Frei­heit, die eure Beine umgibt.» Und damit stand er für die sex­uelle und gesellschaftliche Frei­heit in den Köpfen der jun­gen Gen­er­a­tion. Noch heute macht er aus sein­er Trägerin eine unab­hängige und selb­st­be­wusste Frau.

Die ganze Welt war also vom Minirock verza­ubert. Nur der Vatikan nicht. Er sprach ein Ver­bot gegen das knappe Röckchen aus. Was hät­ten Sie auch erwartet! Die sex­uelle Energie des knap­pen Stöf­fchens war in diesem Zusam­men­hang wohl eine Bedro­hung, das Werk des Teufels qua­si. Aber wen küm­mert der Vatikan? Brigitte Bar­dot jeden­falls nicht. Mit ihrem kurzen Minirock ver­drehte sie den Män­nern den Kopf. Und sie war nicht die einzige… Die Film­stars dieser Zeit trans­portierten den neuen Look direkt in das reale Leben.

Als die Frauen ihre Beine nun nicht mehr hin­ter meter­lan­gen Stoff­bah­nen ver­steck­ten, fie­len die Her­ren beim Anblick der straf­fen nack­ten Schenkel plöt­zlich rei­hen­weise in Ohn­macht. Sich sein­er plöt­zlichen Macht freudig bewusst, ging das weib­liche Geschlecht auf direk­tem Weg zum Mini-Mini über. Oder Mikro-Mini? Die Saumhöhe rutschte jeden­falls noch weit­er nach oben, das Höschen wurde so – ob es wollte oder nicht — zum öffentlichen Bestandteil der Mode. So schnell war es vor­bei mit Per­len­kette und Bleis­tiftrock.

Schon bald gab’s Mini- und Mikro-Röcke in allen Mate­ri­alien und Far­ben, edel, läs­sig, aber auch bil­lig. Und getra­gen wur­den sie zu jed­er Tageszeit und bei jed­er Gele­gen­heit. Im The­ater, zum Shop­pen, zu Hause und im Büro, gerne auch mit Overknees. Dank der grandiosen Idee, Strumpfho­sen anstelle von Nylon­strümpfen zu tra­gen, kon­nte Frau ihre Beine auch an kalten Win­terta­gen ins richtige Licht rück­en.

Noch heute schafft es der Minirock wie kein anderes Klei­dungsstück, die Aufmerk­samkeit sein­er Umwelt zu erhaschen. Und je wärmer die Tage, desto kürz­er die Säume. Der Minirock ste­ht nach wie vor für Frei­heit und Jugendlichkeit und besticht durch seinen ero­tis­chen Reiz. Nicht unter jeden Umstän­den jedoch! Auf keinen Fall sollte er mit einem knap­pen, weit aus­geschnit­te­nen oder trans­par­enten Oberteil kom­biniert wer­den. Dieser Look gehört in die Langstrasse und dort soll er auch bleiben! Ausser­dem ist der Minirock nichts für unrasierte Beine und im Büro hat er schon lange nichts mehr ver­loren.

Etwas nervig ist übri­gens das Velo­fahren mit so einem kurzen Teil. Auf- und Absteigen sind fast unmöglich, etwas weniger enge Min­is aber auch total ungeeignet, weil solche Klei­d­chen den Launen des Windes hoff­nungs­los aus­ge­set­zt sind. Lassen wir das Fahrrad also bess­er zu Hause. Auto ist auch nicht viel bess­er. Hier gibt’s zwar keine Wind­prob­leme, aber Ein- und Aussteigen ist auch nicht ganz ein­fach. Frau Hilton ste­ht zwar beson­ders drauf, ständig mit einem Mini aus irgen­deinem beson­ders tief liegen­den Auto rauszukreb­sen – ohne Höschen ver­ste­ht sich –, aber eine Frau mit einem Funken Intel­li­genz im Hirn verzichtet auf solche pein­lichen Aktio­nen.

Ein Minirock will mit Würde getra­gen wer­den. So schwierig kann das nicht sein, schliesslich ist er so vielfältig kom­binier­bar und lässt sich in jedes Out­fit inte­gri­eren. Das weiss auch die Mod­ein­dus­trie. In kaum ein­er Kollek­tion fehlt er, egal zu welch­er Jahreszeit. Ger­ade erst hat er seinen 50. Geburt­stag gefeiert. Und der Minirock wird noch lange weit­er­feiern kön­nen, er ist gekom­men, um zu bleiben.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2010