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Gente di mAare

Von Luca Zac­chei — Am Mor­gen früh watete ein älter­er Herr durch das seichte, glitzernde Wass­er. Der Herr bück­te sich jedes Mal, wenn er auf dem Meeres­grund Venus­muscheln ent­deck­te und diese aus dem Wass­er fis­chte. Wenn die Muscheln genug gross waren, legte er sie in einen Plas­tikeimer. Der Eimer war zu einem Drit­tel mit Salzwass­er gefüllt, damit die Schalen­tiere lang frisch blieben. Die Aus­beute sah an diesem Tag gut aus. Noch ein paar hun­dert Meter und dann war genug vorhan­den, um leckere Spaghet­ti­ni fürs Mit­tagessen zuzu­bere­it­en. Der braunge­bran­nte Bagni­no, der ital­ienis­che Bade­meis­ter, stellte die ersten Liegestüh­le des Lido Arcobaleno auf und öffnete die bun­ten Son­nen­schirme, welche leicht im Wind flat­terten. Mit dem Wind wehte auch Kaf­fee­duft aus der Strand­bar herüber. Auf der Theke der Bar lagen frische, mit Vanil­le­crème gefüllte Bom­boloni und Cor­net­ti. Die männlichen Pen­sion­ierten lasen die rosarote «Gazzetta del­lo Sport» und tranken ihre Caf­fé Ristret­ti. Dieses idyl­lis­che Strand­bild ver­schwand ziem­lich genau um neun Uhr mor­gens, wenn sich die Horde der Badegäste mit dem Jaulen der Auto­mo­toren ankündigte. Der Kampf begann bere­its am Strand-Park­platz: Die begehrtesten Plätze waren diejeni­gen im Schat­ten der Pal­men. Diese mussten unbe­d­ingt ergat­tert wer­den, damit abends im glühen­den Auto Ver­bren­nun­gen zweit­en Grades ver­mieden wer­den kon­nten. Der Wet­tkampf ging naht­los weit­er: Die besten Strand­plätze am öffentlichen Strand wur­den not­falls mit dem Son­nen­schirm-Weitwurf reserviert. Nach dem sowohl oblig­a­torischen wie lästi­gen Ein­stre­ichen der Bil­boa-Son­nen­crème plün­derten die Kinder die Porte­mon­naies ihrer Eltern und gin­gen zur Strand­bar um entwed­er zu «tögge­len» oder Videogames zu spie­len. Mein Lieblingsspiel war Dou­ble Drag­on: Zwei Brüder mussten sich durch­prügeln, damit am Schluss ein ent­führtes Mäd­chen befre­it wer­den kon­nte. Ich erin­nere mich noch gut daran, wie ich mir die erste Hand­ver­stauchung beim inten­siv­en Hantieren der Hebel zuge­zo­gen habe. Wenn die gold­e­nen 200 Lire-Münzen aus­gin­gen, ver­lagerten wir das Spie­len an den Strand. Das Fuss­ball­spie­len hat­te so seine Tück­en. Es wurde zumeist ein Plas­tik­ball einge­set­zt, der Super-Tele hiess. Der war so leicht, dass bere­its ein klein­er Wind­stoss die Flug­bahn entschei­dend bee­in­flussen kon­nte. Eine zusät­zliche Schwierigkeit stellte der Sand dar, der bei jedem Schuss aufgewirbelt wurde oder während der Mit­tagszeit zu heiss war. Um unsere Füsse vor der Hitze zu schützen, gruben wir diese bei Spielun­ter­brechun­gen unter den Sand, dort wo’s noch angenehm kühl war. Da die Tor-Pfos­ten zumeist fehlten und die Tore mit­tels vier Strand-San­dalen markiert wur­den, disku­tierten wir bei knap­pen Entschei­dun­gen lange und beson­ders hitzig, ob der Schuss doch noch reinge­gan­gen war. Wir Ital­iener sind halt so! Siamo gente di mare!

Am Mor­gen früh spazierte ein älter­er Herr mit seinem Dack­el der Aare ent­lang. Das grün­liche Fluss­wass­er plätscherte san­ft dahin und roch nach frisch­er Erde. Der Herr bück­te sich, nach­dem sein Vier­bein­er sein Geschäft erledigt hat­te, und legte die Kot-Erzeug­nisse in ein Plas­tik­säck­li. Als dieses zu einem Drit­tel voll war, wurde es her­metisch ver­schlossen. Noch ein paar hun­dert Meter und der grüne Robidog-Sam­mel­be­häl­ter würde das Säck­li endgültig ver­schlin­gen. Ein biss­chen weit­er vorne, im Marzili-Schwimm­bad, steck­ten die rauchen­den Badegäste die ersten roten Aschen­bech­er in den Rasen. Eine leichte Brise brachte vom Restau­rant den Duft von Gipfe­li und Nusss­ch­neck­en mit. Die männlichen, braunge­bran­nten Pen­sion­ierten lasen die Sport­seit­en des Son­ntags-Blick und schlürften ihre Kaf­fee-Crèmes. Die idyl­lis­che Ruhe ver­schwand ziem­lich genau um neun Uhr, wenn sich die Horde von Bug­gies und Kinder­wa­gen dem Ein­gang näherte und das Schreien der Säuglinge Unheil verkün­dete. Die besten Liege­plätze, diejeni­gen im Schat­ten der Bäume und gle­ichzeit­ig nicht zu weit weg vom Kinder­plan­schbeck­en, wur­den von den Eltern hero­isch erkämpft. Die tödliche Pfer­deren­nen-Sequenz im Mon­u­men­tal-Film «Ben Hur» stand dieser Szene in nichts nach: Kinder­wa­gen wur­den im Eil­tem­po gestossen und Konkur­renten unsan­ft weggeschoben. Nach dem sowohl oblig­a­torischen wie lästi­gen Ein­stre­ichen der Nivea-Son­nen­crème plün­derten die Kinder die Porte­mon­naies ihrer Eltern und gin­gen Tis­chten­nis spie­len. Mein Lieblingsspiel war «Amerikän­er­le», das Ping Pong-Spiel für Kinder­scharen: Wir mussten um den Tisch herum­ren­nen und abwarten, bis jemand einen Fehler machte und aus der Runde auss­chied. Ziem­lich fies war es, wenn man sich untere­inan­der absprach, um den Geg­n­er rauszuw­er­fen: Man brauchte nur den Ball hoch zu spie­len, damit der darauf­fol­gende Schmetter­ball des Kom­plizen erfol­gre­ich geschla­gen wer­den kon­nte. Während der Mit­tagszeit war der Boden so heiss, dass man bar­fuss das Schritt­tem­po merk­lich erhöhen musste. Es kon­nte dur­chaus passieren, dass man sich an der steini­gen Tis­chkante ver­let­zte. Trotz­dem spielte man weit­er, denn man wollte schliesslich gewin­nen! Und bei knap­pen Entschei­dun­gen, also wenn der Ball den Tisch am Rand lediglich streifte, disku­tierten wir lange und beson­ders hitzig, ob der Schlag doch noch auf dem Tisch gelandet war. Wir Bern­er sind halt so! Mir si Lüt vor Aare!

Foto: zVg.
ensuite, August 2013