Von Sandro Wiedmer — Am 12. April 2012 hat das Initiativkomitee «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» seine Volksinitiative lanciert und eine alte Diskussion neu entfacht. Mit einer Reihe von Veranstaltungen werden die Initianten auch in Bern ihre Anliegen vertieft vorstellen und diskutieren lassen.
Die Idee ist beileibe nicht neu. Eine frühe Darstellung einer Gesellschaft, in welcher Geld allein nicht zum Glück führt, formulierte der englische Staatsmann Thomas Morus (1478 — 1535) in seinem Roman «Utopia» (1516), in welchem ein Seemann dem Autor die Zustände auf einer Insel dieses Namens schildert, wo Geldverkehr unbekannt ist, den Einzelnen jedoch alle Lebensgüter im Überfluss zur freien Verfügung stehen. Es besteht Arbeitspflicht, wer sich wo und wie zum Wohl der Gemeinschaft einsetzt ist freigestellt, das Bildungswesen ist organisiert, ebenso die optimale Versorgung der Kranken. – Dass durch die Geburt ein Recht auf Teilhabe an den Gütern besteht, welche durch die Natur und durch menschliches Wirken bereitgestellt werden, wurde in der Folge breit diskutiert, vornehmlich in Schriften zur Gesellschaftstheorie aus dem 18. und 19. Jahrundert, zum Beispiel vom englischen Aufklärer Thomas Paine (1737 — 1809), dessen Zeitgenossen Thomas Spence (1750 — 1814). Auch auf dem europäischen Kontinent fand die Idee ihre Anhänger, zum Beispiel Charles Fourier (1772 — 1837), dessen Schüler Victor Considérant (1808 — 1893) in Frankreich, den Belgier Joseph Carlier (1816 — 1896), oder den in Frankreich lebenden und wirkenden Engländer John Stuart Mill (1806 — 1873). Nachdem der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete englische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russel (1872 — 1970) in seinem Werk «Proposed Roads to Freedom – Socialism, Anarchism, and Syndicalism» (1918) ein existenzsicherndes Sozialeinkommen für alle postuliert hatte, verebbte jedoch die Debatte, bis sie in den 1960er Jahren in den USA wieder aufflammte.
Inzwischen hat es Experimente zur Umsetzung der Idee zum Beispiel in Kanada gegeben, der neoliberale Milton Friedman (1912 — 2006) hat in seinem Bestseller «Kapitalismus und Freiheit» (1962) eine negative Einkommenssteuer vorgeschlagen, eine Variante zum bedingungslosen Grundeinkommen, ebenso wie die zum Beispiel vom linksliberalen James Tobin (1918 — 2002) gestellte Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen, das höher als die üblichen Fürsorgeleistungen sein soll. Real wird seit 30 Jahren in Alaska jährlich eine Art Dividende aus dem Ölgeschäft an die Bevölkerung ausgezahlt.
In Europa begründeten Wissenschafter rund um den belgischen Ökonomen und Philosophen Pilippe van Parijs in den 1980er Jahren das «Basic Income European Network», das für das Anliegen wirbt. Und nun hat sich also ein Initiativkomitee für die Propagierung der Idee in der Schweiz gebildet. Zwei junge Schweizer, Christian Müller (*1981) und Daniel Straub (*1967) haben das utopische Thema in ihrem vom Limmat Verlag herausgegebenen Büchlein «Die Befreiung der Schweiz» konkretisiert, eine eigene Website wurde gestaltet, verschiedene Filme kursieren vor allem im Internet, das mediale Echo nach der feierlichen Lancierung im Schiffbau in Zürich ist beträchtlich, wie sich unschwer mittels der Sammlung entsprechender Links auf ihrer Homepage erkennen lässt. Zudem besteht das Komitee aus einer Reihe illustrer Persönlichkeiten, welche es obendrein schwer machen, das ganze als eine weitere abstruse Bemühung einiger linker Spinner abzutun. Ja, es fällt auf, dass sich hier einmal mehr die Darstellung eines politischen Spektrums mit den Polen «rinks» und «lechts» als unadäquat erweist, soll dabei nichts «velwechsert» werden: Da ist mit Oswald Sigg der Ex-Vize-Kanzler und Bundesratssprecher an vorderster Front mit dabei, mit Klaus Wellershoff ein UBS-Ex-Chefökonom, der ehemalige Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes Beat Kappeler war für die frühere «Weltwoche» tätig (1993 — 2002), deren jetztiger Chef-Redaktor Roger Köppel ist ebenso dabei, da sind Kulturschaffende, Unternehmer, Wissenschafter, Journalisten und Lebenskünstler vereinigt, das Land auf seine Utopie-Tauglichkeit zu prüfen. Kommt die Initiative zustande und die Abstimmung vor das Volk wird sich weisen, wieviel Mut Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an den Tag zu legen imstande sind: Das ist zumindest spannend, wie bis dahin die Debatten.
Info: www.grundrechte.ch
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2012