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Gratis ist alles. No Respekt!

Von Lukas Vogel­sang - «Gratis bis zum Abgrund»: So betitelte die «NZZ» am 8. Feb­ru­ar 2008 in einem Medi­en­dossier einen Artikel. Ein wun­der­bar­er Titel, aber auch die darin ange­sproch­ene Polemik des Artikels ist sel­ten schön: «Medi­enun­ternehmen wer­fen ihre jour­nal­is­tis­chen Kern­pro­duk­te, die hohe Her­stel­lungskosten verur­sachen, gratis auf den Markt. Dies in der Hoff­nung auf Fol­gegeschäfte.» Der zweite Titel aus diesem Dossier unter­stützt die These: «Ver­schenken, um bess­er zu ver­di­enen.» Richtig aufhorchen muss man allerd­ings bei «Die Laufzeit dieses Mod­ells ist begren­zt». Auch Herr Dr. Döpfn­er vom Axel-Springer-Ver­lag, ein­er der mächtig­sten Medi­en­man­ag­er Deutsch­lands, meinte im «Son­ntags­blick» im Dezem­ber 2007: «Gratiszeitun­gen sind eine Über­gangser­schei­n­ung.» Doch so neu ist das nicht. Im Jahr 2005 schrieb Bodo Hom­bach im «CICERO» (dem wohl extrav­a­gan­testen, exk­lu­sivsten, bis­sig­sten und teuer­sten Ringi­er-Qual­itäts­magazin im deutschen Raum): «Die Schlacht begin­nt.» Das bestätigt auch Herr Gui­do Blumer, Ver­leger der Win­terthur­er Gratiszeitung am Son­ntag «Stat­tblatt», in einem Inter­view mit persönlich.com (Online-Por­tal der Schweiz­er Kom­mu­nika­tion­swirtschaft): «Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu kämpfen.» Was für eine kriegerische Medi­en­welt…

Ist das nicht erstaunlich? Im 2007 sind gle­ich mehrere Gratis­blät­ter auf den Markt gekom­men, renom­mierte Zeitun­gen wur­den eingestellt, der Werbe­markt war zu klein. Neue Zeitun­gen kom­men den­noch gle­ich in Scharen auf dem Markt — die Gratiszeitung am Son­ntag wird Nachah­mer find­en — und im gle­ichen Atemzug wird von den Ver­legern sug­geriert, dass der klas­sis­chen Zeitung ein Ende naht. Trotz­dem meinte Herr Dr. Döpfn­er auf die Frage, ob es der Branche denn gut gehe: «Mehr denn je.» Mal ehrlich: Was unter­schei­det eine Gratiszeitung von ein­er «herkömm­lichen», klas­sis­chen Zeitung? Ist es der fehlende Verkauf­spreis? Sind es die fehlen­den Recherc­heartikel? Ist es die über­aus junge Jour­nal­is­tenge­meinde, die man gün­stig oder gar nur als Free­lance-Mitar­bei­t­erIn­nen anstellt, um die Her­stel­lungskosten so tief wie möglich zu hal­ten?

Ich weiss nicht. Die Ver­lage ver­suchen mit allen Mit­teln, junge Men­schen als Zeitungsle­serIn­nen zu rekru­tieren. Dies war Aus­lös­er und Recht­fer­ti­gung für das Her­aus­geben von Gratiszeitun­gen. Unter­dessen fährt täglich ein Last­wa­gen mit Gratis­blät­tern vor diesen Jugendlichen vor, lädt den Müll ab, erschlägt den einen oder anderen mit einem Zeitungs­bund oder mit Tratsch und Klatsch. Die Ver­leger fahren anschliessend im Mer­cedes davon, mit geschwell­ter Brust vor dem Bewusst­sein, wieder etwas für die Bil­dung in diesem Lande getan zu haben. Das macht stolz! Hey, Mann, Respekt!

Solche Erziehungs­mass­nah­men und das grosse Scheit­ern im Anschluss (siehe die eben zitierten Titel­texte und jene, die fol­gen wer­den) geben unser­er Jugend volles Ver­trauen in und ein gesun­des Ver­ständ­nis für die Kul­tur und Gesellschaft. Täglich ist das The­ma in den Medi­en präsent und das Gerangel um Selb­st­be­haup­tung in den Chefe­ta­gen der Ver­lage scheint ein her­vor­ra­gen­des Lehrstück zu sein: Kämpferisch­er Ton auf dem Pausen­platz oder die Füsse auf dem Nach­barssitz im Tram — unsere Jugend lernt schnell. Hey, Mann, Respekt! Der zeit­genös­sis­che Ver­leger macht’s vor die gesamte Bevölkerung macht’s nach: Gratiszeitun­gen wer­den nach dem Durch­blät­tern ein­fach irgend­wo liegen gelassen, die Banken UBS und CS wer­fen die Mil­liar­den gle­ich zum Fen­ster raus. Respekt! Wenn man die Pres­se­vielfalt und die Bil­dung zusam­men­brächte, wür­den die Ver­leger wohl drin­gend die Mil­liar­den­sub­ven­tio­nen brauchen, welche bei den Banken abgeschrieben wor­den sind. Da wäre wohl bess­er in diesen Markt investiert wor­den. Die Medi­en­branche ist ein Investi­tions­busi­ness gewor­den, das Geld regiert und eine Gratiszeitung erhöht den Kred­it bei der Bank. Einige Ver­leger wer­den durch die Finanzkrise wohl auch ins Schwitzen kom­men.

Deswe­gen: «Der Staat soll nur dort ein­greifen, wo der Markt ver­sagt.» (Peter Schär vom 15. Dezem­ber 2007 auf blattkritik.ch). Schär resümiert weit­er: «Die Frage sei erlaubt: Ist es nicht Zeit für eine starke staatliche Zeitung mit Lokalteilen in jed­er grösseren Stadt (ana­log Radio DRS)? Wieso soll sich staatliche Pub­lizis­tik auf elek­tro­n­is­che Medi­en beschränken? Statt die Mil­lio­nen der Presse­förderung mit dem Giesskan­nen­prinzip an Pro­duk­te zu vergeu­den, die sowieso nicht in der Lage sind, eine pub­lizis­tis­che Alter­na­tive zu bieten, kön­nte man das Geld auch in eine vielschichtige nationale Zeitung investieren. Und dafür den Rest des Medi­enkuchens ganz dem freien Markt über­lassen.» Hey, Mann, Respekt! Welch Abgrund. Das wäre wohl defin­i­tiv das Ende der Geschichte, Rus­s­land und Chi­na lassen grüssen. No Respekt!

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch
ensuite, März 2008

 

Artikel online veröffentlicht: 21. Oktober 2017