Von Lukas Vogelsang - Das Internet — allem voran das neue «Newsnetz» des unübersehbaren Tamedia-Konzerns ist ein prächtiger Tummelplatz für halbstarke Politiker oder solche, die davon keine Ahnung haben. Das betrifft nicht nur die JournalistInnen, welche in letzter Zeit immer mehr Meinungen manipulieren statt Bericht zu erstatten, sondern das betrifft auch die Internet-KommentatorInnen. Das sind jene anonymen Zeilenschreiber, die das «Newsnetz» am Rande bevölkern und zu jedem Bericht einen Nachsatz schreiben müssen. Weil es dabei keinen Personaliencheck gibt und die Einwürfe von der Redaktion nur mit einem Auge geprüft werden, kann sich hier jeder und jede vermeintliche BesserwisserIn publizieren. Natürlich darf die Redaktion auch selber unter irgendeinem Namen Einwürfe publizieren — nur um die gemeinte Diskussion einzuheizen. Das nimmt oft geradezu groteske Züge an und wird zu einem schlechten B‑Movie-Ersatz.
«Ich habe nun wirklich genug von der Rufmord-Kampagne des ‹Tagesanzeigers› und der ‹Sonntagszeitung› und einiger anderer Medien gegen unsere Bundesräte. Jeder neue Bericht ekelt mich an», war da in einem Kommentar zu lesen, als die Medienwelt wieder einen Anlauf unternommen hatte, einen Bundesrat mit billigen Schlagzeilen und polemisch-journalistischer Kampfstrategie aus dem Amt zu hissen. Genau der Aufschrei des Kommentators ist das grosse Futter für diese Bewegung. Ein polemischer Artikel mit der Möglichkeit zur Stellungsnahme ohne grosse Personifizierungshürde bringt Stimmung in die Online-Leserschaft und damit erhalten die Medien die verlorengegangene LeserInnen-Identifizierung zurück — aber eben nur vermeintlich.
Das «Newsnetz» ist in den drei Städten Zürich, Basel und Bern aktiv. Das heisst, die Plattformen sind für diese Städte massgeschneidert im Inhalt, die Artikel aber sind oftmals die gleichen. Wenn ein Artikel also 140 Kommentare aufweist (wobei eben viele Kommentare von den gleichen Schreibern unter anderem Namen verfasst werden), ist das bei einer theoretisch möglichen Leserschaft von Schätzungsweise 1’500’000 Personen ein mickriges Ergebnis. Das Einzige was diese pseudo-demokratische Bürgerpresseplattform bewegen oder darstellen könnte, ist das Niveau und das Wissen über die schweizerische Politik, gesellschaftliche Anteilnahme oder das Interesse überhaupt.
Dabei wäre die Idee mit der Bürgerpresse nicht so dumm und findet lustigerweise schon lange statt: Wenn eine Zeitung eine «Bürgerin» oder einen «Bürger» auswählt, die oder der was zu schreiben hat, so ist das journalistisch legitim. Wenn aber eine «Bürgerin» oder ein «Bürger» sich selber aktiv der Schreiberzunft anschliessen will, so wird diese Stimme als nicht würdig erklärt — ausser die Person wäre verfreundet mit den Medien oder Freund von der Chefredaktion. Das macht überhaupt keinen Sinn und vor allem täte es einigen JournalistInnen sehr gut, wenn sie Wissende einbeziehen würden, wenn sie keine Ahnung von einer Sache haben. Was wir aber im «Newsnetz» erleben, ist keine Revolution — höchstens jene, der Pressedeformation.
Eine Journalistin oder ein Journalist, der heute noch öffentlich eine Frage stellt, ist berufsmässig gestorben. Die neue Medienschule bringt nur noch bei, wie man einen PR-Text umschreibt oder wie man sich als Journalist besser verkaufen kann. Die Macht über Informationen haben die Medien gewonnen und auch gleich verspielt. Information ist heute nichts mehr wert, Meinungen werden nur noch pauschal akzeptiert, die Bildung der Bevölkerung ist egal und die Kommentarfunktion im «Newsnetz» soll die Welt retten. Ich glaube, wir sind mit der Finanzkrise noch ganz gut bedient.
Die JournalistInnen kritisiere ich in diesem Spiel, weil sie den Journalismus, die Presse als 4. politische Meinungsinstanz in der Schweiz, missbrauchen und eine falsche Demokratie suggerieren. Sie spielen die EinheizerInnen, das jeweilige Thema fährt die Lokomotive für den Verlag Richtung Gewinn und darum geht’s. Oder vielleicht sind es die Verlage, die dazu drücken — aber die JournalistInnen demonstrieren nicht auf der Strasse, weil die Verlage nur noch die Gewinne sehen wollen. Dabei wären gerade sie jene «BürgerInnen», welchen wir glauben und welche wir unterstützen würden.
Die Medienwelt ist so belanglos und auswechselbar geworden, dass kein Internetkommentar sie noch retten könnte. Aber wir sollten uns selber retten, indem wir wieder inhaltliche Leserbriefe schreiben und den Verlagen und Chefredaktoren die Meinungen sagen. Darum ginge es eigentlich.
Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Oktober 2008