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Gute Musik währt ewig

Von Luca Scigliano — Ein Gespräch mit dem ital­ienis­chen Jaz­zpi­anis­ten Dani­lo Rea: Es ist Ende Jan­u­ar. 15 Grad unter null. Das Schloss Elmau liegt an einem abgeschiede­nen, malerischen Ort in Süd­deutsch­land, wo Gebor­gen­heit herrscht und die Ruhe regiert. Hier taucht man in sich hinein, lässt den Stress und die All­t­agssor­gen hin­ter sich.

Im grossen Saal des Schloss­es ste­ht ein glänzen­der schwarz­er Konz­ert­flügel. Die Tra­di­tion des Haus­es ver­langt es, dass jed­er Musik­er, der während ein­er Woche im Elmau resi­diert, ein Konz­ert gibt. An diesem einen Konz­ertabend im Jan­u­ar ste­hen Lieder des wohl bekan­ntesten Can­tau­tore der ital­ienis­chen Musikgeschichte auf dem Pro­gramm: Fab­rizio De André. In der Abgeschieden­heit des Schloss­es trifft Jazzmusik auf Lie­der­ma­cherkun­st; der Saal füllt sich mit Blues, Swing und Free Jazz, die Klänge schwin­gen durch den Saal, wer­den von den Wän­den zurück­geschla­gen, bevor sie hin­aus schweben, weit­er und immer weit­er, über die bayrisch-öster­re­ichis­chen Alpen in Rich­tung Süden, ihrem Ursprung ent­ge­gen.

Der Pianist, der sich an das Lebenswerk De Andrés wagt, heisst Dani­lo Rea. Im Gespräch mit ensuite-kul­tur­magazin sagt er, das Schloss Elmau sei der per­fek­te Ort gewe­sen, ein Piano-Soloal­bum aufzunehmen, das dem Erbe De Andrés gerecht werde: «Es ist das erste Mal, dass ich einem ital­ienis­chen Musik­er ein ganzes Werk widme. Aber mit dieser Kulisse im Hin­ter­grund war die Pro­duk­tion dieses Werks keine Arbeit – nein, vielmehr fühlte ich mich geehrt.»

Auf die Idee, das Pro­jekt «A Trib­ute to Fab­rizio De André» zu ini­ti­ieren, kam Dani­lo Rea vor fünf Jahren, als er von De Andrés Witwe, Dori Ghezzi, kon­tak­tiert wurde. Sie hat­te Reas Klavier­in­ter­pre­ta­tio­nen der Lieder «La can­zone di Marinel­la» und «La can­zone dell’amore per­du­to», bei­des sehr bekan­nte Stücke aus De Andrés Reper­toire, gehört. «Herr Rea, weshalb machen Sie nicht ein ganzes Pro­gramm mit Liedern meines Mannes?», fragte sie. Damals jedoch fühlte sich Rea nicht berufen, diesem Wun­sch zu entsprechen. Ein paar Jahre später erhielt er den Auf­trag, im Anwe­sen De Andrés auf Sar­dinien ein Konz­ert zu geben. «Es war ein einzi­gar­tiges Erleb­nis: Ich bin mit der Musik von Fab­rizio De André aufgewach­sen und habe – wie viele andere mein­er Gen­er­a­tion – seine Texte aufge­so­gen. Gemein­sam mit Lucio Bat­tisti war er DAS Idol. Er sprach von sozialen Missstän­den. Genau das war es, was wir damals in den Siebzigern hören woll­ten.»

Dani­lo Rea, was denken Sie: Wird es in Zukun­ft in Ital­ien wieder Platz geben für einen Can­tau­tore wie Fab­rizio De André?

Ich hoffe es. Trotz­dem sehe ich eher ein­er schwarzen Zukun­ft ent­ge­gen. Was die Lie­der­ma­ch­er bet­rifft, gibt es heutzu­tage keine richti­gen mehr.

Wieso?

Das Prob­lem liegt darin, dass die jun­gen Leute nicht mehr jene Inspi­ra­tion bekom­men, wie wir sie damals in den Siebzigern erleben durften. Deshalb ist es schwierig, dass dem­nächst ein Musik­er wie De André ins Ram­p­en­licht treten wird.

Was hat Sie als ursprünglich­er Klas­sikpi­anist dazu gebracht, sich mit Jazz- und Pop­musik zu befassen?

An den Jazz habe ich mich herange­tastet, weil ich die Notwendigkeit spürte, die Impro­vi­sa­tion­skun­st zu erler­nen. Die Jazzmusik ermöglicht es dir, die Impro­vi­sa­tion auszuleben. Die Pop­musik ihrer­seits basiert auf Werten wie Poe­sie und Melodie, auch das sehr inter­es­sante Aspek­te der Musik. Nun, ich habe all diese Ele­mente zusam­menge­fügt und ein neues Ganzes geschaf­fen. So habe ich zum Beispiel ein Lied der Bea­t­les genom­men und darüber einen Impro­vi­sa­tion­step­pich gelegt. Ein Jazzer macht das in der Regel nicht, zumal er es vorzieht, seine eigene Musik zu kom­ponieren, oder über ein Stück aus dem Stan­dard­reper­toire eines amerikanis­chen Vor­fahren zu impro­visieren. Der typ­is­che Jazzer macht also einen Halt, wenn er vor einem Pop­stück ste­ht. Ver­mut­lich deshalb, weil die Pop­musik nicht den Stel­len­wert eines klas­sis­chen Jaz­zstücks geniesst.

Inwiefern ist der Instinkt für die Impro­vi­sa­tion rel­e­vant?

Instinkt ist fun­da­men­tal! In der Musik sind sowohl Instinkt als auch Energie gefragt. Wenn ich spiele, vor allem wenn ich impro­visiere, schicke ich den Instinkt voraus und mit ihm set­zen sich qua­si automa­tisch Energien frei. Der Instinkt ist eine Art Katalysator. Das Geheim­nis ein­er guten Impro­vi­sa­tion liegt darin, stets die bei­den Vari­ablen – also Instinkt und Energie – im Gle­ichgewicht zu hal­ten, damit der Span­nungs­bo­gen nie zusam­men­fällt. Kurzum: Man muss eine Geschichte erzählen, ohne auszuschweifen oder lang­weilig zu wer­den. Auch zu viel Vir­tu­osität kön­nte daneben gehen. Eine gute Impro­vi­sa­tion set­zt Reife und viel Übung voraus.

Am Kon­ser­va­to­ri­um San­ta Cecil­ia in Rom arbeit­en Sie oft mit jun­gen Musik­ern zusam­men. Wann erlangt ein Musik­er – Ihrer Mein­dung nach – die Reife?

Voraus­ge­set­zt, dass jed­er Musik­er seinem Tal­ent entsprechend spielt, ist zu hof­fen, dass sich diese Reife so rasch wie möglich zeigt (lacht). In Tat und Wahrheit aber startet jed­er Musik­er als Vir­tu­ose und wir alle schwär­men von Musik­ern, die mit Voll­gas all das freilassen, was sie gel­ernt haben. Dabei bleiben die Emo­tio­nen oft auf der Strecke. Der Reife­grad hängt also nicht nur vom Tal­ent eines jeden Musik­ers ab, son­dern auch von seinen Emo­tio­nen und dem, wonach er im Leben sucht.

Sie haben die Emo­tio­nen ange­sprochen: Wie kann eine ein­fache Kom­bi­na­tion aus Noten eine Emo­tion her­vor­rufen?

Musik ist eine sehr abstrak­te Kun­st­form, die nicht auf Worten, son­dern auf Noten, sprich Fre­quen­zen, basiert. Offen­bar kön­nen diese Fre­quen­zen, wer­den sie auf eine gewisse Art und Weise über­lagert, Emo­tio­nen weck­en. Natür­lich sind damit auch Erin­nerun­gen mit Din­gen verknüpft, die bere­its in unserem Gedächt­nis gespe­ichert sind. Es gibt klas­sis­che Stücke, die – sobald sie gespielt wer­den – in jedem Pub­likum Emo­tio­nen weck­en. Das ist der wahre Sinn der Musik.

Mit all den Regeln in der Musik: Fühlen Sie in Ihren Impro­vi­sa­tio­nen über­haupt so etwas wie Frei­heit?

Aber natür­lich. Nach­dem ich mein Studi­um am Kon­ser­va­to­ri­um abgeschlossen hat­te, stand ich vor zwei Möglichkeit­en. Ich hat­te die Wahl, als klas­sis­ch­er Konz­ert­pi­anist meine Brötchen zu ver­di­enen – und wenn ich an das Urteil mein­er Lehrerin zurück­denke, hätte ich diesen Weg – wenn auch ganz diskret – schaf­fen kön­nen. Ich fühlte mich jedoch zu etwas ganz anderem berufen, weil die Inter­pre­ta­tion ein­er Sonate von Beethoven – so schön sie auch ist – rel­a­tiv wenig Spiel­raum gibt. Als Musik­er hängst du sehr von der Par­ti­tur ab. Im Jazz ist das ganz anders. Da geniesst du Frei­heit­en son­der­gle­ichen, es geht sog­ar so weit, dass du erst auf dem Weg zur Bühne die Ton­leit­er definierst, auf der du spie­len willst.

Wenn Sie mit jun­gen Leuten sprechen – welchen Rat geben Sie ihnen?

Eine span­nende Frage! Seit etwa zwei Jahren unter­richte ich am Kon­ser­va­to­ri­um San­ta Cecil­ia in Rom – ich füh­le mich jun­gen Leuten sehr ver­bun­den. Ich finde, sie soll­ten möglichst viel ler­nen, um dann das Erlernte durch einen Fil­ter der eige­nen Emo­tio­nen sick­ern zu lassen. Sie sollen wenn immer möglich eine grosse expres­sive Frei­heit anstreben. Musik hat näm­lich keine Gren­zen.

Wo kann man diese Frei­heit find­en?

Diese ist vor allem in der Musik unser­er Vor­fahren zu find­en: Wenn immer ich Musik­er aus ver­gan­genen Jahren höre – ich denke dabei an Ella Fitzger­ald, Bil­lie Hol­i­day oder Louis Arm­strong – füh­le ich eine gewaltige Emo­tion in mir. Diese ver­suche ich meinen Stu­den­ten zu ver­mit­teln. Was ich damit sagen will: Wir dür­fen unsere musikalis­chen Wurzeln nicht unter­be­w­erten.

Dieser Rat gilt ver­mut­lich nicht nur für Ihre Stu­den­ten.

Natür­lich nicht. In den Siebzigern zum Beispiel hat die Rock­musik dank Expo­nen­ten wie Jimi Hen­drix gewaltige Schritte gemacht. Solche Schritte kön­nen auch Jugendliche machen, indem sie sich an den Tat­en von damals inspiri­eren. Die Tat­en von damals muss man wertschätzen. Musik ist Poe­sie und Poe­sie stirbt nie… «Se una cosa è bel­la rimane per l’eternità».

CD: Dani­lo Rea: Piano Works X
«A Trib­ute To Fab­rizio De André» (ACT Music)

Über­set­zung aus dem
Ital­ienisch Luca D’Alessandro

 


Über Dani­lo Rea
Dani­lo Rea wurde 1957 in Vicen­za (Ital­ien) geboren. Seine Musik hat klas­sis­che Wurzeln. Nach­dem er mit US-Stars wie Chet Bak­er, Lee Konitz, Steve Gross­man, Bil­ly Cob­ham und Joe Lovano gespielt hat­te, war er auch im Rah­men der ital­ienis­chen Pop­musik ein gefragter Mann. Clau­dio Baglioni, Gian­ni Moran­di, Pino Daniele oder Mina haben ihn für ihre Pro­jek­te ins Boot geholt. Dani­lo Rea hat sich entsch­ieden, ein Jaz­zpi­anist und Lie­der­ma­ch­er zugle­ich zu sein, um möglichst viele Frei­heit­en geniessen zu kön­nen.

Foto: zVg.
ensuite, Dezem­ber 2010

Artikel online veröffentlicht: 10. Dezember 2018