Von Katja Zellweger — Schuhe. Durchsichtig, geschnürt, glänzend, glitzrig, lackiert, ledrig, genietet, beschlagen, rot, schwarz und vor allem hochhackig – laufen über alte, abgewetzte Perserteppiche.
Das älteste Gewerbe der Welt, die Prostitution, wird anlässlich einer Filmreihe des Kino Lichtspiel verschiedenfach beleuchtet. Ein breites Spektrum an Filmen aus aller Herren Ländern zum Thema «Sexarbeit» wird gezeigt; vom Dokumentar- über den Spielfilm bis hin zum Comic. In Zusammenarbeit mit Xenia, einer Beratungsstelle für Frauen, die im Sexgewerbe tätig sind, werden Filme bis Mitte April präsentiert.
Der erste Film, als bester Dokumentarfilm des Kieler Fetischfilmfestivals 2008 gekrönt, berichtet über das Wesen der Arbeit in einem Bordell. «5 Sexrooms und eine Küche» zeigt das anscheinend Unvereinbare auf. Einerseits die fünf Sexräume, mit unterschiedlichen Konzepten, andererseits die Küche, der neutrale, normale Ort für Geschwätz, die Zeitung, ein Buch, einen alten Hund und Essen. «Nuttenstiefel» und alte Teppiche – eine unterhosenfreie Küche.
Die Regisseurin Eva Heldmann arbeitet bewusst mit solchen Kontrasten, die sich in dieser Wohnung ständig finden. In Adidas-Schlarpen beantworten die drei Frauen um Lady Tara, Besitzerin des Bordells, Telefonate mit hauchig-feinem «Hallo, schönen guten Tag», worin über Wünsche des Kunden und die eigenen körperlichen Vorzüge gesprochen wird. Und hängen auf, rauchen die Zigarette zu Ende und lesen ihren Roman weiter. Die Jüngste in der Runde putzt und räumt auf in einer roten, durchsichtigen Ganzkörperstrumpfhose. Skurril und zuweilen befremdend schnell wechselt in diesem Bordell Alltags- und Arbeitswelt. Dieser Kontrast wird unterstrichen von aktiven Hintergrundgeräuschen und einem ruhigen Blick in die Räume sowie von der Filmmusik aus Mozarts «Zauberflöte».
Die Regisseurin zeigt ein Flair für Symbolik und Zweideutigkeit, obwohl ein eindeutiges Business Thema ist. Doch genau das macht die Spannung des Films aus! Farben und Geräusche, Nahaufnahmen und eine ruhige Kamera umrahmen den Einblick in einen Arbeitsalltag, wenn auch einige brennende Fragen nicht beantwortet werden. Sehen zu können, dass die Frauen auch ihre Grenzen kennen und Spass an ihrer Arbeit haben, ist schon eine erste Erkenntnis. Eva Heldmann versucht verzerrte Vorstellungen zu entwirren, indem sie Bilder und Eindrücke zeigt. Es lag wohl im Bestreben des Films, nicht zu interviewen oder zu biografieren, sondern einfach aufzuzeigen – nicht stilisieren wollen, was für die Frauen normal ist. Dies betont auch Lady Tara, an ihrer verlängerten Zigarette ziehend: «Warum kann man eine Prostituierte nicht lassen wie sie ist? Für Unglück oder Glück einer Hure ist nicht gleich der Staat verantwortlich. Viele Frauen sind in ihrer Ehe unglücklich, deswegen wird die Ehe auch nicht abgeschafft.»
Obwohl in der Schweiz Prostitution unter einigen Bedingungen legal und in absehbarer Zeit ein Steuer- und AHV-pflichtiger Beruf wird, bleibt das Thema weiterhin unangenehm und wird tabuisiert. Darum stehen bei der ersten Aufführung die Regisseurin sowie zwei Hauptdarstellerinnen für Fragen zur Verfügung, an der zweiten Vorstellung ist noch Eva Heldmann vor Ort.
Mit dieser Filmreihe durchleuchtet das Kino Lichtspiel Vorurteile, zeigt auf, was nicht gesehen werden will und öffnet den Vorhang zu einer verurteilten, missachteten und heimlichen Welt, von deren Existenz doch alle wissen. Obwohl «wissen» das falsche Wort zu sein scheint, denn wirklich wissen, was hinter den Herzli-Vorhängen und roten Leuchtschriftzügen passiert, will niemand. Trotzdem oder gerade deswegen entstehen immer wieder spannende Diskussionen zu diesem Thema – weil eben niemand wirklich weiss. Wollen wir’s ergründen? – Die Filmreihe im Kino Lichtspiel soll eine Plattform für die Ansichten der Frauen aus dem Sexgewerbe bieten und dem Zuschauer zu einer eigenen Stellungnahme aufgrund von Wissen verhelfen. Damit das Heimliche nicht mehr ganz so unheimlich anmutet.
Foto: zVg.
ensuite, März 2009