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Hamlet oder Hämlet?

Von Alexan­dra Port­mann — «Ein biss­chen Ruhe vor dem Sturm» von There­sia Walser ist eine Satire, die in intel­li­gen­ten und pointierten Dialo­gen das Meti­er The­ater erforscht. Ab dem 7. April ist die Schweiz­er Erstauf­führung von Walsers Stück in der Regie von Andy Tobler am Stadtthe­ater Bern zu sehen.

Drei Schaus­piel­er warten in einem Fernsehstu­dio auf den Beginn ein­er Talk­show, in der sie disku­tieren sollen, ob und wie Hitler darstell­bar ist. Zwei von ihnen haben Hitler in Fil­men gespielt, der Dritte hinge­gen «nur» Goeb-bels. Sie sind längst bere­it, doch der Mod­er­a­tor fehlt. Ein kaput­ter Tisch und das fehlende Glas Leitungswass­er sind Ursache für eine anges­pan­nte Aus­gangstim­mung. Mit der Frage: «Sitzen wir schon, oder kom­men wir erst here­in?» fällt der Startschuss zu einem Abend voller witziger Dialoge über die nie endende Debat­te, was The­ater über­haupt ist. Mit den drei Pro­tag­o­nis­ten tre­f­fen drei ver­schiedene Vorstel­lun­gen von The­ater aufeinan­der, die unter­schiedlich­er nicht sein kön­nten. Ein Kampf der Kul­turen bricht aus, wobei der junge Ver­fechter des pro­vokan­ten Regi­ethe­aters auf den berühmten 60-jähri­gen Schaus­piel­er der «alten Schule» trifft. Es gilt: «Nat­u­ral­is­muss­chwindler» gegen «Radikalbuben», und in der Mitte befind­et sich der zynis­che Kol­lege, der seine Giftpfeile genussvoll gegen bei­de abschiesst. Auf der reduzierten Bühne buhlen die drei Schaus­piel­er um die Gun­st des Pub­likums. Dabei entste­ht eine Sit­u­a­tion, in der die Frage, ob man nun «Ham­let» oder «Häm­let» sagt, nicht nur eine Frage der Aussprache, son­dern man­i­festierte Mei­n­ung ist.

Das Stück ent­stand als Auf­tragswerk für das Nation­althe­ater Mannheim und wurde am 6. Okto­ber 2006 in der Regie von Burkhart C. Kos­min­s­ki uraufge­führt. Seit 2006 wurde es an ver­schiede­nen deutschen Büh­nen gespielt. There­sia Walser gilt als eine der bekan­ntesten deutschen Dra­matik­erin­nen. 1998 wurde sie in der Kri­tikerum­frage der Zeitschrift «The­ater heute» zur «Nach­wuch­sautorin des Jahres» gekürt. Nur ein Jahr später durfte sie sich als «Autorin des Jahres» feiern lassen. Sie analysiert mit ein­er spez­i­fis­chen Sprache ver­schiedene Facetten des All­t­ags. Ihr jüng­stes Stück «Her­renbestat­ter» ist 2009 im Rowohlt Ver­lag erschienen und han­delt vom let­zten Arbeit­stag des Verkäufers Ellen­beck, der in der Her­ren­abteilung eines Kaufhaus­es arbeit­et. Die Autorin inter­essiert sich in ihren Stück­en für die Sit­u­a­tio­nen, in denen sich die Fig­uren befind­en. Wie begeg­nen sie ihren Mit­men­schen, und wie kom­men sie mit der Sit­u­a­tion zurecht? Intel­li­gent und humor­voll reflek­tiert sie unsere Gesellschaft.

«Ein biss­chen Ruhe vor dem Sturm» ist ein vielschichtiger Text voller Span­nungs­felder. Vir­tu­os verbindet Walser die einzel­nen The­men zu einem Dialogge­flecht, in dem die The­ater­si­t­u­a­tion selb­st und die Art der Kon­ver­sa­tion gle­ichzeit­ig analysiert wer­den. Entsprechend spielt die inhaltliche Ebene, die Darstell­barkeit Hitlers, zwar immer wieder eine Rolle, doch der Fokus des Stücks richtet sich auf die Prob­lematik der Darstel­lung an sich. Wie kann im The­ater über­haupt etwas dargestellt wer­den? Ob es sich dabei um Hitler oder Richard den Drit­ten han­delt, ist nicht mass­ge­blich rel­e­vant, wichtiger ist, wer recht hat­te: Brecht oder Stanis­laws­ki, Ver­frem­dung oder Ein­füh­lung? Mit tre­ff­sicherem Humor und einem messer­schar­fen Blick durch­leuchtet Walser die drei Schaus­piel­er­fig­uren und hält so dem eige­nen Meti­er den Spiegel vor.

Die Satire am The­ater selb­st sei das Inter­es­sante am Stück, so Andy Tobler, der zum zweit­en Mal am Stadtthe­ater Bern Regie führt. Für den Schaus­piel­er Sebas­t­ian Edt­bauer, der im Stück Ulrich Lerch spielt, sind Walsers Fig­uren nicht karikiert, son­dern bewe­gen sich sehr nahe an der Wirk­lichkeit. Solche Gespräche find­en tat­säch­lich in The­aterkan­ti­nen statt. Ger­ade weil die Fig­uren so durch­dacht und gut geschrieben sind, beste­ht für Edt­bauer die Her­aus­forderung darin, dem Text und der Fig­ur gerecht zu wer­den.

Auch wenn es sich mit «Ein biss­chen Ruhe vor dem Sturm» um eine aus­ge­feilte Kon­ver­sa­tion­skomödie han­delt, gibt es den­noch viel Spiel­raum für span­nende Bilder und absurde Sit­u­a­tio­nen. Die Stärke liegt für Andy Tobler darin, dass jed­er Teil der Insze­nierung, Text, Regie, Schaus­piel und Bühne gle­ich­w­er­tig ist. Ger­ade dieses Zusam­men­spiel der Ele­mente ergibt einen gelun­genen The­at­er­abend voller Über­raschun­gen.

www.stadttheaterbern.ch

Foto: zVg.
ensuite, April 2010