• zurück

Handel mit Diktaturen und Handel mit Fiktionen: Von Oriana Fallaci zu Frank Bösch

Von Dr. Reg­u­la Stämpfli - Kür­zlich beim Aben­dessen: «Aja­tol­lah Khome­i­ni war kein Dik­ta­tor, son­dern befre­ite Per­sien vom kolo­nialen Erbe und machte den mod­er­nen Iran.» Daher weht der Wind, dachte sich die ensuite-Essay­istin. Hier ihre lit­er­arische Antwort.

Die Geschichte der Men­schheit ken­nt einige Kon­stan­ten. So auch die der Ver­führung der Jugend durch Massen­mörder. Lenin, Stal­in, Hitler, Fran­co, Salazar, Pol Pot, Mao, Idi Amin, Haile Selassie, Aja­tol­lah Khome­i­ni, Sad­dam Hus­sein, Kim Il-sung, Jas­sir Arafat – um nur um die bekan­ntesten zu nen­nen – begeis­terten zunächst die intellek­tuelle Elite, dann die Massen und füll­ten anschliessend die Gefäng­nisse. Der His­torik­er Frank Bösch hat mit «Deals mit Dik­taturen» ein neues Werk vorgelegt, in dem viele der Erwäh­n­ten im Zusam­men­hang mit dem Aussen­han­del der BRD und der Berlin­er Repub­lik zur Sprache kom­men. Böschs gewaltiges Buch, das sich lei­der nicht so flüs­sig liest wie sein «1979», welch­es ich hier nochmals empfehle, kommt auf Samtp­foten daher. «Der Umgang mit undemokratis­chen Staat­en ist eine schwierige Her­aus­forderung.» «Her­aus­forderung» ist als Begriff wie ein Hauch im kriegerischen Sturm inter­na­tionaler Finanz- und Wirtschaft­spoli­tik. Meine eigene These in «Trump­ism. Ein Phänomen verän­dert die Welt» sieht im Ver­sagen Barack Oba­mas darin, den Finanzkap­i­tal­is­mus von Dik­taturen und automa­tisch repetierten Fik­tio­nen zu lösen, den Startschuss für den drit­ten Weltkrieg, der mit dem Ein­marsch der Russen in die Ukraine am 24. Feb­ru­ar 2022 begonnen hat. So viel zum Begriff «Her­aus­forderung» bei Bösch. Ich sehe den «Han­del mit Dik­taturen» nicht ein­fach als Chal­lenge, son­dern als völ­lig versem­melte Hausauf­gaben von Demokra­tien, mit Dik­taturen nur dann Han­del zu treiben, wenn der Han­del an Bedin­gun­gen geknüpft ist. Transak­tion­ss­teuer bspw. als Must, damit alle im inter­na­tionalen Finanz­markt teil­nehmen dür­fen, oder etwa umgekehrte Beweis­last bei Ver­let­zun­gen von sozialen und ökol­o­gis­chen Stan­dards. Importver­bot für Waren aus Län­dern, die Kinder­ar­beit haben. In den 1990er-Jahren schon ver­fasste die ILO – damals, als die Sozialdemokratie noch was Prak­tis­ches kon­nte – gute Leit­fä­den für den «Wan­del durch Han­del», der im 21. Jahrhun­dert zum «Han­del macht dik­ta­torischen Welt­wan­del» gewor­den ist.

Den­noch ist das Buch von Frank Bösch auf­schlussre­ich. Es erzählt die erstaunlich schlecht erforschte deutsche Aussen­han­del­spoli­tik und bringt Entset­zlich­es ans Tages­licht. Bonn unter­hielt gute Beziehun­gen mit Fran­cos Spanien, Salazars Por­tu­gal, hoffierte Griechen­lands Dik­tatur, die Dik­tatur Süd­ko­re­as eben­so, unter­stützte Mobu­tu in Zaire (Kon­go), Gaddafi in Libyen und war, wie wir wis­sen, bei der Ver­gabe der Fuss­ball-WM 2022 nach Katar mass­gebend. So weit, so schlecht.

Doch auch Frankre­ich war im Dik­ta­torenkuscheln weit vorne. Als der Geistliche Aja­tol­lah Khome­i­ni am 1. Feb­ru­ar 1979 mit ein­er Son­der­mas­chine der Air France (Alko­hol wurde strik­te ver­boten) in Teheran lan­dete, klatschte tout Paris. Über 150 Jour­nal­is­ten reis­ten im Flugzeug mit. Dies war der Dank dafür, dass alle inter­na­tionalen Jour­nis, gross gewor­den im schreck­lichen Viet­namkrieg, seit­dem aus­ges­tat­tet mit ein­er grossen Amerikaent­täuschung bis zum Amerika­hass, im schi­itis­chen Klerik­er die «orig­inäre, per­sis­che Lösung» der Entkolo­nial­isierung vom West­en sahen. Aja­tol­lah Khome­i­ni war für die Linken Europas und der USA DER Heils­bringer gegen den ver­has­sten «impe­ri­al­is­tis­chen Kap­i­tal­is­mus». Der 76-jährige Mann ver­sprach ihnen 19 Grund­sätze von Demokratie, Men­schen­recht­en, Säku­lar­is­mus, Volkssou­veränität. In seinem «Mein Kampf», dessen islamis­che Ver­sion «Der islamis­che Staat» heisst, stand aber schon 1970: «Das Gesetz ist nichts anderes als der Befehl Gottes.» Khome­i­ni dachte keine Sekunde daran, west­liche demokratis­che Men­schen­rechte in seinem Gottesstaat zuzu­lassen. Die Geistlichen waren von Anfang Exeku­toren. Zudem: Der uner­messliche Reich­tum Per­siens machte die Geistlichen völ­lig unab­hängig vom Volk. Die Mul­lahs brauchen kein Volk, das Erdöl und die damit ver­bun­dene Indus­trie, alle Finanzen, Land, Währung, ein­fach alles gehört ihnen. Selb­st die Nation­al­sozial­is­ten hat­ten weniger total­itäre Zugriff­s­macht über alle Bere­iche von Gesellschaft, Ökonomie, Staat, Kul­tur und Wis­senschaft. Die Mul­lahs kön­nen so viele Men­schen umbrin­gen wie damals die Adeli­gen im feu­dalen Europa, und sie tun es viel häu­figer als die dama­li­gen Adeli­gen. «Zieht euch schwarz an. Denn ihr geht zu ein­er Beerdi­gung. Ihr trauert um eure let­zten Grun­drechte, eure let­zte Frei­heit»: So begin­nt Golineh Atais «Iran – die Frei­heit ist weib­lich», ein Buch, das für den Grimme-Preis nominiert war. Das Schw­ert der islamis­chen Rev­o­lu­tion trifft immer zuerst die Frauen – wohl deshalb schweigt die Linke vornehm. Denn Frauen gehören zu den Prob­le­men zweit­er Klasse. «Wir haben keine Rev­o­lu­tion gemacht, nur um Rückschritte hin­nehmen zu müssen», skandierten die Frauen an der riesi­gen Frauen­demon­stra­tion im Juli 1980. «Mil­lio­nen Frauen aller Schicht­en hat­ten sich im Namen der Befreiung an der Rev­o­lu­tion beteiligt, aber niemals hat­ten sie damit gerech­net, dass ihre Män­ner nun plöt­zlich mehrere Frauen heirat­en, sich bedin­gungs­los schei­den lassen und sich der Ehe­frau wie eines Möbel­stück­es entledi­gen kon­nten. Niemals hat­ten sie geah­nt, dass die Geschlechter in der Gesellschaft for­t­an rig­oros getren­nt wür­den.»

Die Welt blieb stumm. So wie Frank Bösch auch nichts über die Proteste gegen die Geschlechter-Apartheid in den Dik­taturen berichtet – sie spielt in der Beurteilung von Men­schen­recht­en kaum eine Rolle, wie wir auch aktuell am Umgang mit den Tal­iban in Afghanistan sehen, die von Gen­fer Lob­by­is­ten aus gese­hen als ganz «nor­male Staatsmän­ner» endlich inter­na­tion­al anerkan­nt wer­den sollen. Der alte Sozial­ist António Guter­res, diese Schande von Gen­er­alsekretär der UNO, meinte erst kür­zlich, wie viele «Fortschritte Afghanistan» doch im «Wieder­auf­bau» des Lan­des geleis­tet habe. Ach ja: die Tal­iban. Unter­stützt von Iran – wie alle islamistis­chen Wel­trev­o­lu­tio­nen. Nicht nur gehört den Mul­lahs ihr eigenes Land, es bleiben genü­gend Mil­liar­den übrig, um den inter­na­tionalen Ter­ror­is­mus mit Ton­nen von Bomben zu ver­sor­gen. Auch darüber liest und hört man bei uns wenig. Viel zu wenig.
Dabei wäre es so ein­fach. Die Mul­lahs, die gesamte iranis­che Führung, gehören auf die Liste der inter­na­tion­al gesucht­en Ver­brech­er; Iran gehört mas­siv sank­tion­iert und isoliert. Das Ver­mö­gen der Mul­lahs muss sofort einge­froren wer­den.

Wer anderes behauptet, ist an Demokratie nicht inter­essiert. Wie die sog. «fem­i­nis­tis­che Aussen­min­is­terin» Baer­bock. In der Iran-Frage rei­ht sie sich ein bei den ersten ex-nation­al­sozial­is­tis­chen Funk­tionären des dama­li­gen Auswär­ti­gen Amtes: Demokratie spielte damals keine Rolle, Haupt­sache, das Land kam wirtschaftlich wieder auf die Beine. Apro­pos nicht inter­essiert. Die Sozi­olo­gen ver­weigern übri­gens den Begriff «Dik­tatur» mit dem Hin­weis, dieser sei wer­tend. Han­nah Arendt würde sich bei so viel dreis­ter anti­demokratis­ch­er Dummheit im Grab umdrehen.

Nach sein­er Ankun­ft 1979 fuhr der Aja­tol­lah zum Fried­hof Behescht‑e Zahra. Sym­bol­is­ch­er hätte die Wahl des islamistis­chen Tode­sen­gels wohl nicht sein kön­nen. 1979 füll­ten noch viele Schah-Geg­n­er die Gräber; dies sollte sich durch die Tausenden von neuen Leichen, ermordet vom Khome­i­ni-Gottesstaat, sehr bald ändern. Das Ziel der islamistis­chen Mul­lahs bleibt bis heute die Ver­wand­lung der ganzen Welt in einen Fried­hof. Deshalb finanzieren sie Hamas, His­bol­lah, Huthis, Boko Haram und wie sie alle heis­sen. Fun Fact übri­gens: In der Schweiz gilt nach wie vor das iranis­che Fam­i­lien­recht, sprich die Scharia. Dies auf­grund eines Staatsver­trags zwis­chen der Schweiz und Per­sien aus dem Jahr 1934. Der Bun­desrat spricht sich aktuell für eine Über­prü­fung aus, Ironie off.

Wir erfahren in Böschs «1979», dem Jahr als die Gegen­wart begann, wie die Ein­rich­tung des islamis­chen Gottesstaates in Per­sien als Blau­pause für alle fol­gen­den islamis­chen Wel­trev­o­lu­tio­nen gel­ten kann. Insofern war al-Qai­da eigentlich nur ein falsch­er Fokus nach 9/11: In Wahrheit ging es damals und geht es heute um die Eroberung der Welt durch den «bewaffneten Wider­stand» (Zitat Judith But­ler) der islamis­chen Wel­trev­o­lu­tion. Auch darüber wird kaum gere­det und wenn, nur von durchgek­nall­ten Recht­sex­tremen, die damit das The­ma erst recht aus der öffentlichen Debat­te drän­gen.

Das Mul­lah-Regime in Iran verbindet nach über 40 Jahren Agi­ta­tion mit­tler­weile alle islamistis­chen Strö­mungen, von denen beim his­torisch viel gelobten «tra­di­tionellen Islam» nichts mehr übrig bleibt: Al-Qai­da, Tal­iban, Islamis­ch­er Staat, Hamas, His­bol­lah, Boko Haram, Huthis, die ägyp­tis­che Mus­lim­brud­er­schaft u. a.  verbinden die fun­da­men­tale Zurück­weisung west­lich­er Werte mit kriegerisch­er Welt­poli­tik, codierten Fik­tio­nen und Alli­ierten in allen west­lichen Kul­turen, Medi­en und Uni­ver­sitäten inklu­sive. Es geht nicht um einen «Kampf der Kul­turen», son­dern um die Ver­fü­gungs­ge­walt über Rohstoffe, Energie, inter­na­tionale Finanzen und um geopoli­tis­che Mach­tord­nung. Die iranis­che Rev­o­lu­tion fand übri­gens, ohne Witz, nach eigen­er Zeitrech­nung nicht im Jahr 1979 statt, son­dern im Jahr 1399/1400. Passt doch, nicht wahr?

His­torisch würde ich die Rev­o­lu­tion in Iran im Jahr 1979 deshalb mit der der Kom­mu­nis­ten 1917 gle­ich­set­zen, inklu­sive der gle­ichen Her­aus­forderun­gen für die demokratis­che Welt. Deshalb wäre das Ver­sagen Barack Oba­mas genauer zu unter­suchen, so wie ich es in «Trump­ism. Ein Phänomen verän­dert die Welt» getan habe – für dessen Fort­set­zung ich schon längst einen Ver­lag suche.

1917 ging es um die inter­na­tionale kom­mu­nis­tis­che Wel­ter­oberung, die das gesamte 20. Jahrhun­dert mit ein­er Blut- und Mord­spur formte. 1979 begann die Verge­wal­ti­gungs- und Mor­dorgie der Islamis­ten gegen alles, was uns Frauen und DemokratIn­nen heilig ist.

***

«Dies ist vielle­icht die erste grosse Erhe­bung gegen die wel­tumspan­nen­den Sys­teme, die mod­ern­ste und irrsin­nig­ste Form der Revolte», meinte Michel Fou­cault bewun­dernd im Hin­blick auf Khome­i­ni. Judith But­ler faszinierten die «Schöp­fungskraft poli­tis­ch­er Spir­i­tu­al­ität» und, erst kür­zlich, der gigan­tis­che und wichtige «bewaffnete Wider­stand» der Hamas, deren Strate­gie der Brand­schatzung, Verge­wal­ti­gung und Folter für sie per­sön­lich zwar «quälend» sei, aber den­noch disku­tiert wer­den müsse. Real­ly? Sie fol­gt darin Wladimir Iljitsch Lenin: «Der Charak­ter eines Krieges wird dadurch bes­timmt, welche Poli­tik der Krieg fort­set­zt, welche Klasse den Krieg führt und welche Ziele sie dabei ver­fol­gt.» In der DDR gehörte «Frieden» zum meist­ge­braucht­en Begriff. Total­itär­er Wirk­lichkeits- und Wahrheitsver­lust waren schon immer das Kennze­ichen link­er und rechter Rev­o­lu­tio­nen: Es geht um die Kreation von neuen Men­schen, neuen sozialen Beziehun­gen, neuen Macht­struk­turen: das Dog­ma über die Wirk­lichkeit. Judith But­ler ist dabei beson­ders per­fide. Sie nutzt ein demokratis­ches Ver­let­zungs-Vok­ab­u­lar, um Verge­wal­ti­gung, Folter und Mord strate­gisch sin­nvoll zu machen. Dies ist auch die Strate­gie zweier link­er Frauen in der deutschen Ampel-Regierung: Lisa Paus und Nan­cy Faeser. Mit dem Vok­ab­u­lar des sog. «Selb­st­bes­tim­mungs­ge­set­zes» und des «Demokratieförderge­set­zes» sollen Sprechak­te demokratis­che Grun­drechte auss­er Kraft set­zen. Auch davon hört man wenig und wenn, wiederum nur in ver­dammten recht­sex­tremen Kreisen, die damit die wichtige Kri­tik an der Über­nahme von Ide­olo­gie gegen die Demokratie unschädlich machen. Entset­zlich.

Dies ist die logis­che Folge der «Deals mit Dik­taturen» sowie der Über­nahme von deren Fik­tio­nen, Nar­ra­tiv­en, Erzäh­lun­gen. Wer Han­del mit Dik­taturen betreibt, deren Fik­tio­nen mit der Freizügigkeit von Kap­i­tal, Waren, Dien­stleis­tun­gen und Per­so­n­en automa­tisch verbindet, trägt die Demokratie let­ztlich zur Schlacht­bank. Die im Netz mil­liar­den­fach repetierten Sprechak­te, Ide­olo­gien, Nar­ra­tive, Fik­tio­nen haben unsere west­lichen Infor­ma­tion­ssys­teme so zugemüllt, dass Tum­blr und 4Chan als links- und recht­sradikale Nis­chen-Has­s­maschi­nen schon längst im Main­stream angekom­men sind. Auch dazu hat Angela Nagle in «Kill All Normies» viel Kluges erzählt. Deshalb haben sog. DemokratIn­nen bspw. den Banksprech «Equi­ty» in die Grun­drechte einge­führt. «Equi­ty» ist der angel­säch­sis­che Begriff für einen Eigenkap­i­ta­lanteil an ein­er Gesellschaft, ins­beson­dere für Aktien. Nun wird «Equal­i­ty» im neuen wok­en (Opus) DEI (Diver­si­ty, Equi­ty, Inclu­sion) mit «Equi­ty» beze­ich­net und behauptet Gle­ich­stel­lung – völ­liger Bull­shit. Merkt denn nie­mand, wie DEI die neue Göt­ter­re­li­gion der codierten finanzkap­i­tal­is­tis­chen Anti­demokra­tien ist? Deshalb spie­len Inhalte keine Rolle mehr, nur noch Algo­rith­men und die ihnen zuge­höri­gen Sprechak­te. Deshalb gibt es bei der Linken keine indi­vidu­ellen Rechte, son­dern nur noch kat­e­gorische Rechte, Grup­pen­sprech wie «Haut­far­ben», «Gen­er­a­tion», «gele­senes Geschlecht». Es gibt auch keinen his­torischen Fortschritt mehr – lesen Sie Yuval Noah Harari –, son­dern nur noch gle­ich­för­mige, gle­ichgestellte Evo­lu­tion, egal ob es Dik­taturen oder Demokra­tien sind. Hier spricht die «Mind­ful-Bewe­gung», die sich sel­ber einre­det, alles sei gle­ich, es komme nur auf die Wahrnehmung drauf an. Die Dalit in Indi­en wür­den ihm wider­sprechen, wäre ihnen denn der Schulbe­such erlaubt.

Der Ölmag­nat Mukesh Ambani (66) baute sich in Mum­bai ein Hochhaus von 173 Metern Höhe und mit 27 Stock­w­erken für sechs (!) Fam­i­lien­mit­glieder, inklu­sive 600 (!) Angestell­ter. Laut «20 Minuten» beträgt der Wert des Haus­es namens Antil­ia über 2 Mil­liar­den Dol­lar. Die nicht weisse Fam­i­lie feiert nun die kom­mende Hochzeit eines Sohnes mit ein­er drei Tage dauern­den Super­par­ty: Boule­vard und ser­iöse Medi­en berichteten. Ein Maharad­scha war ein Dreck dage­gen. Die Details der Fête (in «Gala» nachzule­sen) erin­nerten an die Prunk­sucht des Schahs von Per­sien im Jahr 1971. Der liess damals Mil­lio­nen sprin­gen für die sog. 2500-Jahr-Feier «sein­er» Monar­chie. Die aus Europa einge­flo­ge­nen 50 000 Singvögel ver­dursteten nach drei Tagen, die über 25 000 importierten Flaschen Wein waren dafür kon­sum­iert, eben­so die Tonne schwarzen Kaviars. Der Unter­schied zu damals indessen ist: Der Grössen­wahn des Schahs trug zu dessen Sturz bei. Im 21. Jahrhun­dert, dem neuen Dik­taturen-Zeital­ter codiert­er Feu­dal­is­men, passiert das Gegen­teil.

2024 feiern Medi­en weltweit die gigan­tis­che Pre-Wed­ding-Par­ty. Sie ist sehr divers, übri­gens; Rihan­na wird extra einge­flo­gen: Die glob­alen Luxu­seliten von Mark Zucker­berg über Roy­als, Mil­liardäre und Super­stars, die gerne das Leid der armen Kinder in Gaza betrauern, sind alle anwe­send. Die «Wed­ding-Indus­try» in Indi­en ist der viert­grösste Wirtschaft­szweig im Lande. In einem Staat, in dem die Unberührbaren über ein Vier­tel der Bevölkerung aus­machen und in Umstän­den leben, die selb­st im europäis­chen Mit­te­lal­ter als unvorstell­bar gegolten hät­ten. Davon erzählen übri­gens zwei Büch­er, vom Feuil­leton ver­schmäht, doch mil­lio­nen­fach von Frauen gekauft: «Der Zopf» und «Das Mäd­chen mit dem Drachen» von Laeti­tia Colom­bani. In der indis­chen Ver­fas­sung sind die Unberührbaren, die «Nicht-Kaste» im unmen­schlich archais­chen Kas­ten­sys­tem Indi­ens, the­o­retisch gle­ichgestellt. In Wirk­lichkeit bilden sie den Boden, den die Super­re­ichen aller Welt mit Helikoptern und Drohnen über­fliegen. Schon von Man­isha gehört? Selb­st der Deutsch­land­funk berichtete 2020 über die Unberührbare, deren Schick­sal Hun­dert­tausende teilen, hier und jet­zt, in Indi­en. Die 19-Jährige wurde von ein­er Gruppe von Kas­ten-Män­nern gefoltert, verge­waltigt, regel­recht zum Spass und zwecks Pornografie, die weltweit alle Frauen eh bildlich zer­stört, hin­gerichtet. Man­ishas Zunge war zer­schnit­ten, ihr Rück­grat war gebrochen, der Nack­en war ver­dreht, sie kon­nte wed­er Hände noch Beine bewe­gen und kaum mehr atmen. Zwei Wochen kämpfte sie um ihr Über­leben, bis sie der erlit­te­nen Folter erlag. Sie flüsterte die Namen der Täter, die Polizei kam sofort nach ihrem Tod, ver­bran­nte die Frau und schloss die Fam­i­lie der Unberührbaren von der «Bestat­tung» aus und stellte die Nach­forschun­gen ein. Auf Wikipedia wird die gesamte Geschichte bis heute ver­fälscht, es wird gel­o­gen, bet­ro­gen, ver­heim­licht: alles unter den Augen ein­er Weltöf­fentlichkeit, die sich um diese 300 Mil­lio­nen gefolterten Men­schen küm­mern kön­nte. Zu den Dalit gab es indessen noch keine Ver­laut­barung des UNO-Gen­er­alsekretärs, der jeden zweit­en Tag das Gift seines Anti­semitismus über die öffentlichen Kanäle der inter­na­tionalen Organ­i­sa­tion ver­bre­it­et. Für die urba­nen, diversen und glob­alen Eliten, die sich zum Super­event vor der richti­gen Hochzeit zusam­men­fan­den, sind die Foltergeschicht­en der Tausenden von indis­chen Mäd­chen so weit weg wie die Hex­en­ver­bren­nung im Mit­te­lal­ter für uns. So viel zum codierten, sog. inklu­siv­en, inter­sek­tionalen Fem­i­nis­mus, der im bun­ten postkolo­nialen Gewand in Medi­en, Kul­tur und an den Uni­ver­sitäten nichts anderes als Misog­y­nie und sein Grauen ver­bre­it­et.

Nochmals zum Iran: Im Rück­blick gab es nur eine Intellek­tuelle, die den wahren Charak­ter der islamistis­chen Wel­trev­o­lu­tion durch den Iran erkan­nte: Ori­ana Fal­laci. Die grosse Jour­nal­istin und Autorin wurde 1930 als Tochter eines Antifaschis­ten in Flo­renz geboren und starb geächtet, gecan­celt, vere­in­samt 2006 eben­falls in Flo­renz. Sie führte ein kurzes Jahrhun­dertleben, war schon als Kind im Wider­stand gegen Mus­soli­ni engagiert, gehörte ihr Leben lang zu den freis­ten Per­so­n­en, die es gibt. Ihre zwei Romane «Brief an nie geborenes Kind» (1977) und «Ein Mann» (1980) sind poet­is­che Zeug­nisse ihres poli­tis­chen Schaf­fens und gehören zur Weltlit­er­atur. In «Ein Mann» erzählt Ori­ana Fal­laci die wahre Geschichte ihrer Liebe zum griechis­chen Wider­stand­skämpfer und Dichter Alekos Panagoulis. Panagoulis scheit­erte 1968 mit dem Atten­tat auf den dama­li­gen Jun­ta-Dik­ta­tor, wurde jahre­lang in griechis­chen Gefäng­nis­sen gefoltert, wurde gegen seinen Willen freige­lassen, lernte die Jour­nal­istin Fal­laci ken­nen und lieben. Auss­er «Belle du Seigneur» habe ich sel­ten eine der­art mein Leben umwälzende Liebesgeschichte gele­sen wie Fal­lacis. Die Mis­chung aus Poli­tik, Grausamkeit, Psy­cholo­gie, Erotik, Fanatismus gehört zu den inten­sivsten Weltlit­er­atur-Erleb­nis­sen. Ihre Poe­sie ergänzte die Jour­nal­istin mit knall­harten Inter­views. Ihre Gespräche mit Jas­sir Arafat, Muam­mar al-Gaddafi, Deng Xiaop­ing, Willy Brandt, Hen­ry Kissinger u. a. sind leg­endär. Let­zteren brachte sie dazu, den Viet­namkrieg als «use­less» und sich selb­st als «Cow­boy» zu beze­ich­nen. Am 16. Sep­tem­ber 1979 inter­viewte sie im Tschador Aja­tol­lah Khome­i­ni. Das Gespräch fand ein Ende, als sie mit­ten­drin den Tschador abnahm, diesen «blö­den Fet­zen aus dem Mit­te­lal­ter». Fal­laci ent­larvte den west­lichen nihilis­tis­chen Kap­i­tal­is­mus eben­so wie den islamistis­chen Todeskult. Ihre Stre­itschrift «Wut und Stolz» von 2001, in der sie mit dem Phleg­ma des West­ens betr­e­f­fend die islamis­che Wel­trev­o­lu­tion abrech­net, wurde von der Linken sex­is­tisch als «Has­sti­rade» ein­er alten Frau und als recht­sex­tremen Schrott dif­famiert. Die «Union der Mus­lime Ital­iens» rief nach diesem Buch offiziell zur Gewalt gegen Fal­laci auf. Sie starb, kurz bevor sie verurteilt wurde – ihr Erbe liegt nun lei­der in den Hän­den der ital­ienis­chen Recht­en und Recht­sex­tremen. Der Ori­ana-Fal­laci-Preis ist der grossen Antifaschistin so unwürdig, dass es schmerzt, ihn über­haupt zu erwäh­nen.

Es gäbe noch weit­ere Geschicht­en der Welt in Büch­ern, doch ich bin erschöpft. Die codierten Banal­itäten in den sozialen Medi­en, die ständig den «bewaffneten Wider­stand» wieder­holen, selb­st von Fre­undin­nen wie Mithu Sanyal geteilt, haben die Kraft, die Schreibende zu zer­stören. Eine Schreibende, die als Mäd­chen in der Unter­schicht geboren, sich wahrhaft ein Leben in Frei­heit, Sicher­heit und Wohl­stand in Europa erar­beit­en kon­nte. Eine Frei­heit, die sie allen Mäd­chen und Frauen weltweit wün­scht, dafür weit­erkämpft und nicht aufhören wird, die Ver­rä­terin­nen demokratis­ch­er Grun­drechte in ihrer Selb­stzer­störung und ihrem falschen Krieg aufzuhal­ten. Wie habe ich an ein­er anderen Stelle mal geschrieben? Jede Demokratie misst sich am Zus­tand der Mäd­chen und der Frauen.

 

Büch­er zum vor­liegen­den Essay:
· Frank Bösch: Zeit­en­wende 1979. Als die Welt von heute begann. C.H.-Beck-Verlag.
· Frank Bösch: Deals mit Dik­taturen. Eine andere Geschichte der Bun­desre­pub­lik. C.H.-Beck-Verlag.
· Eine Iran-Apolo­gie ist vom Zen­trum für poli­tis­che Bil­dung bei «Aus Poli­tik und Zeit­geschichte» 2020 erschienen (lei­der, das AuPZ ist anson­sten immer exzel­lent). Kosten­los über bpd.de run­terzu­laden.
· Golineh Atai: Iran – Die Frei­heit ist weib­lich. Rowohlt-Ver­lag.
· Angela Nagle: Kill All Normies. Online Cul­ture Wars from 4Chan and Tum­blr to Trump and the Alt-Right.
· Yuval Noah Harari: Sapi­ens – Das Spiel der Wel­ten. C.H.-Beck-Verlag.
· Laeti­tia Colom­bani: Der Zopf. S. Fis­ch­er Ver­lage.
· Laeti­tia Colom­bani: Das Mäd­chen mit dem Drachen. S. Fis­ch­er Ver­lage.
· Ori­ana Fal­laci: Ein Mann. Kiwi-Ver­lag.
· Ori­ana Fal­laci: Brief an nie geborenes Kind. Ebers­bach und Simon. Das Inter­view Fal­lacis mit Khome­i­ni 1979 ist im Netz in der «N.Y. Times» abge­druckt.

· Zum Ver­sagen der Linken in Zeit­en algo­rith­mis­ch­er Repro­duk­tion siehe Reg­u­la Stämpfli: Europa zwis­chen Banksprech und Sehn­sucht­sort. Darf man als europäis­che Intellek­tuelle Europa kri­tisieren? Gratis auf denknetz.ch

 

Artikel online veröffentlicht: 1. April 2024 – aktualisiert am 11. Juni 2024