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Heimatklänge

Von Son­ja Wenger - Was ist das eigentlich, der «Schweiz­er Sound?», fragt sich Chris­t­ian Zehn­der in Ste­fan Schwi­eters Musik-Doku­men­tar lm «Heimatk­länge», und gibt darauf auch gle­ich ein paar Ideen für eine Antwort. Der neue Film des Regis­seurs von «Accor­dion Tribe» begleit­et zwei Schweiz­er Musik­er und eine Musik­erin bei ihrer Arbeit und lässt sie frei philoso­phieren und sin­gen. Alle drei haben einen völ­lig unter­schiedlichen Hin­ter­grund und einen eige­nen, unab­hängi­gen und vor allem unkon­ven­tionellen Ansatz, mit der alpen­ländis­chen Musik umzuge­hen. Doch alle drei «wühlen und suchen» auf ihre Art in der Folk­lore, in den Lebens­geschicht­en der Schweiz­er Kul­tur und benutzen die mächtige und urchige Land­schaft nicht nur zur Inspi­ra­tion, son­dern gle­ich als Res­o­nanz­bo­den, die Bergmas­sive gle­ich als ganzen Klangkör­p­er.

Ein mutiger Ansatz, sollte man meinen, über das Jodeln, über den Klang der Stimme, über etwas genau­so Schw­er­greif­bares wie Klis­chee-belastetes wie die Schweiz­er Volksmusik einen Doku­men­tarlm drehen zu wollen. Umso erfreulich­er ist es, mit «Heimatk­länge» ein zauber­haftes, lebens­be­ja­hen­des, gar kör­per­lich befreien­des Meis­ter­w­erk erleben zu dür­fen, bei dem nur schon das Sam­meln der Press­es­tim­men ein wahres Vergnü­gen darstellt: Den Musik­ern zuzuhören ist «eine Wonne», die Klänge sind von «hyp­no­tisieren­der Schön­heit», er ist ein «Wun­der an Rhyth­mus» und von «beein­druck­ender Viel­seit­igkeit».

In der Tat ist der Mix gekon­nt. Denn nicht etwa der «Hud­digäggel­er», nicht mod­ern­er Schwi­iz­er­pop oder ‑rap, und eigentlich auch nicht das meis­tens funk­tion­ierende Konzept der Swiss­ness ste­hen im Zen­trum des Films, son­dern das «ursprünglich­ste aller Instru­mente», die men­schliche Stimme. «Heimatk­länge» han­delt vom «Juchzen und anderen Gesän­gen», vom Zäuer­li, dem Natur­jodler, der nir­gend­wo anders als in der engen Weite der Schweiz­er Berge hätte ent­standen sein kön­nen, und davon, was man damit alles machen kann.

Da ist zum einen der Appen­zeller Nol­di Alder, der bere­its als Kind mit sein­er musizieren­den Fam­i­lie um die Welt gereist ist, bis er anderes aus­pro­bieren wollte. Für ihn ist der tra­di­tionelle Jodel die «Sprache zwis­chen Men­sch, Men­sch und Natur», oder anders: «Man muss den Bergen, dieser Land­schaft doch etwas ent­ge­genset­zen. Deswe­gen gibt es hier wohl so viele skur­rile Leute, denn das ist ja son­st nicht auszuhal­ten!»

Und auch eine tre­f­fende Beschrei­bung für Eri­ka Stucky, die erfrischend aus jedem gewohn­ten Rah­men fällt: Die rast­lose Pend­lerin zwis­chen realen und musikalis­chen Wel­ten verbindet in ihrer Musik einen Sehn­sucht nach Frei­heit mit ihrer Lebens­freude, ihrem Humor und einem unbändi­gen Spiel­trieb. Im Sin­gen find­et auch sie ein Mit­tel, sich mitzuteilen und sich all das «archais­che Zeug, das da brodelt, das voller Schmerz und Glück ist» anzueignen und die Men­schen damit tief im Herzen zu berühren.

Und auch der Sänger und Stimm­päd­a­goge Chris­t­ian Zehn­der spielt und singt mit ganzem Kör­pere­in­satz. Nicht nur wenn er mit seinem Klang­pro­jekt «Stimmhorn» auf der Bühne alle Reg­is­ter des Kehlkopfes zieht, son­dern auch bei sein­er Arbeit als Ther­a­peut und Coach oder bei ein­er Reise in die Mon­golei zum Volk der Tuve­nen, der Heimat der Musik­gruppe Huun-Huur-Tu. Dieses Vier­erensem­ble benutzt näm­lich eine ähn­liche Gesang­stech­nik wie beim Jodeln, doch die Musik spiegelt ihrer­seits die mon­golis­che Land­schaft in ihrer Weite und Kargheit — so dass einem unwillkür­lich Alders Worte zu Beginn des Films wieder in den Sinn kom­men: In der alpen­ländis­chen Musik liegt «eine gewisse Besin­nung, eine wilde Reli­gion, hin­ter der wohl ein Urgedanke und ein Geist ste­ht, der uns beschützen soll».

Bild: zVg.
ensuite, Okto­ber 2007