Heute besonders günstig: Frauenfleisch. Ein verführerisches Kiloangebot

Von Dr. Reg­u­la Stämpfli - Unsere Essay­istin über «Die Geschichte der Anatomie», «Die kranke Frau», «Ich kauf mir ein Kind», «Die KI war’s!», «Bin ich ein Klon-Kind?», «Sapi­ens» und «The 1619 Project». Alles Büch­er, die herrschende Sprechak­t­poli­tiken und Sklaverei der Ver­gan­gen­heit beschreiben – ohne dass die AutorIn­nen deren zeit­genös­sis­che Brisanz real­isieren. Tja: Gute Büch­er sind immer gröss­er als ihre SchöpferIn­nen.

Im «Anatomis­chen The­ater der Uni­ver­sität Cam­bridge», ein­er Abbil­dung aus dem Jahr 1815, sieht man ein über dem Sezier­tisch hän­gen­des Skelett, bei­des in der Mitte eines Ron­dells. Tote und Lebende qua­si har­monisch vere­int. Es war den dama­li­gen akademis­chen Fleis­ch­ern gle­ichzeit­ig ein Memen­to mori – «Erin­nere dich daran, dass du sterblich bist» – wie auch ein anschaulich­es Lehrob­jekt. Das erste gedruck­te Buch der Anatomie, «Fas­ci­cu­lus med­i­c­i­nae», wurde 1491 in Venedig veröf­fentlicht und beste­ht aus zehn ganz­seit­i­gen Holzschnit­ten: graus­lich-schön gemacht. Eine öffentliche Sek­tion bspw. illus­tri­ert die medi­zinis­che Fleis­cherei jen­er Zeit beson­ders drastisch: über­all Totenköpfe, Skelette inmit­ten gelehrter Her­ren; ein­er, der am offe­nen Leib operiert, zieht Därme bis zum Boden, die unter dem Tisch dann von einem Hund ver­speist wer­den. Ein anderes Bild: Bar-tolomeo Eustachi zeich­nete 1714 Gehirn und Wirbel­säule sehr poet­isch und dabei so erken­nt­nis­re­ich, dass auch heutige Neu­rolo­gen fasziniert davon sind, was er schon alles über das men­schliche Ner­ven­sys­tem wusste. Col­in Salters «Die Geschichte der Anatomie in 150 Büch­ern – von der Antike bis heute» aus dem Haupt-Ver­lag ist ein genialer Bilder­band. Schade, dass der Text sehr knapp gehal­ten ist: Eigentlich kön­nte man aus dem Band noch einen zusät­zlichen ver­fassen. Dann käme auch die Frauengeschichte zum Zug. Fasziniert, aber auch trau­rig macht die Man­i­fes­ta­tion anatomis­ch­er Präzi­sion: Men­sch und Tier sind aus der Sicht medi­zinis­ch­er Fleis­ch­er wirk­lich nur Objek­te und damit äusserst mod­ern.

Was lehrt: Der men­schliche Kör­p­er ohne Leib und Seele ist so ver­wund­bar, dass er von jed­er Ide­olo­gie aufs Bru­tal­ste aus­genutzt, gefoltert, ver­wen­det und wegge­wor­fen wer­den kann. Die Mod­erne bringt nicht nur uni­verselle Ver­sprechen und ein «Gott ist tot», son­dern gle­ichzeit­ig die schlimm­sten Alb­träume für indus­trielle und unmen­schliche Körper–Verwertungsgeschichten. Wer Men­schen wie Met­zger schnei­det, wird sie als Met­zger­skinder an den Uni­ver­sitäten zu lin­guis­tisch poet­is­chem Fleisch umdeuten kön­nen – so meine Lehre der let­zten Jahrhun­derte zu Poli­tik, Men­sch und Kör­p­er. Deshalb ist es heutzu­tage so ein­fach, lebende Men­schen wie tote zu behan­deln. Niere, Leber, Herz, Lunge, Bauch­spe­ichel­drüse, Darm, Knochen­mark, ja alles men­schliche Gewebe kann trans­plantiert, ver­w­ertet und verkauft wer­den. «Organspende» nen­nt man das Geschäft mit men­schlichen Ersatzteilen auf dem Weg vom Toten zum Leben­den oder: von einem Men­schen zum anderen. Tote kön­nen als «Organspender» bis zu acht Men­schen das Leben ret­ten, hielt der Europarat 2014 fest. Gewebe­spenden, wie die Nabelschnüre mein­er drei Kinder, ret­teten weit über 100 Men­schen­leben. Davon wusste ich nichts, als ich nach glück­lichen Geburten vom jew­eili­gen Arzt schnell gefragt wurde, ob ich denn nicht meine hochqual­i­ta­tiv­en Stam­mzellen der Wis­senschaft «spenden» wolle. Wie viel Hun­dert­tausende Euro die betr­e­f­fend­en Verteila­gen­turen damit ver­di­ent haben? Eine «Spende» zum Wohle der Men­schheit lässt die Phar­main­dus­trie Mil­lio­nen ver­di­enen – davon bericht­en tun die wenig­sten, und wenn sie es tun, wer­den sie als alt­modisch oder als homöopathis­che Spin­ner beschimpft. Was, zugegeben, lei­der auch viel zu viele sind.

Total­itäre Sys­teme, so lehrt uns Han­nah Arendt, operieren mit Begrif­f­en, Wortschöp­fun­gen, Neudeu­tun­gen – sie füllen herkömm­liche Sprache mit dem Gegen­teil dessen, was intendiert war. «Eizel­len­spende» ist auch so ein Lügenkon­strukt. Anders als die Samen­spende, die in höch­stens fünf Minuten Mas­tur­bieren erledigt ist, erfordert die «Eizel­len­spende» eine hor­monelle Vor­be­hand­lung von eini­gen Monat­en und einen schmerzhaften oper­a­tiv­en Ein­griff mit dem Risiko ein­er daraus fol­gen­den Unfrucht­barkeit. Keine Frau spendet ihre Eier, sie verkauft sie oder friert sie ein. Im Hin­blick auf Repro­duk­tion war Sprache DIE Herrschafts‑, Unter­drück­ungs- und Ver­schleierungs­mas­chine par excel­lence. Beson­ders die zeit­genös­sis­che, postkolo­niale Sprech­weise ist sehr geschickt darin: Kaum Ver­ben benutzend, operieren Sub­stan­tivierun­gen ent­lang ein­er Gut-böse-Achse mit beson­derem Vok­ab­u­lar für Kri­tik­erin­nen. Mit Begrif­f­en lassen sich cle­vere post­mod­erne, zeit­genös­sis­che Men­schen­fleis­chsys­teme erricht­en. «Fortpflanzung, Befruch­tung, Repro­duk­tion, Retorte – es sind abstrak­te, klin­isch saubere Begriffe (…). Bere­its Jahre vor dem Miet­mut­ter­schafts­diskurs ist die Mut­ter­schaft ver­bal im Namen der Gen­derg­erechtigkeit beerdigt und zu ein­er reinen Mut­ter­rolle degradiert wor­den (…). Die Beschrei­bung eines Men­schen soll nicht mehr biol­o­gis­chen Fak­ten, son­dern den Ansprüchen der Antidiskri­m­inierung genü­gen.» So schreibt die recht­skon­ser­v­a­tive Autorin Bir­git Kelle in ihrem lesenswerten Buch «Ich kauf mir ein Kind». «Die Sprache war’s!», müssten wir alle schreien, nicht «Die KI war’s!», wie dies Katha­ri­na Zweig in ihrem Buch mit ebendiesem Titel zur sog. kün­stlichen Intel­li­genz meint. Zweig schreibt zwar sehr klug, wie Net­zw­erke operieren und Fehlentschei­de tre­f­fen, wie sie bspw. einen Ter­ror­is­ten iden­ti­fizieren, der kein­er ist, son­dern «nur» Jour­nal­ist sei; dass aber hin­ter dig­i­tal­en Net­zw­erken struk­turell per­fide ide­ol­o­gis­che Sprach­meta­phern steck­en, erwäh­nt sie nicht. Ihr Buch ist trotz­dem empfehlenswert, weil sie die Dig­i­tal­isierung rel­a­tiv ein­fach erk­lärt. Zum Ver­ständ­nis von Code, Kör­p­er und Poli­tik trägt sie indessen zu wenig bei – wie fast alle, die entwed­er über Dig­i­tal­isierung oder über Poli­tik schreiben und die Chance ver­passen, bei­des kri­tisch zusam­men­zu­denken.

Algo­rith­mis­che Net­zw­erke machen nicht ein­fach Fehler, son­dern sie wan­deln Lebe­we­sen in tote Buch­staben und Zahlkom­bi­na­tio­nen um. Dies hat Gem­i­ni, das KI-Bild­pro­gramm, vor weni­gen Wochen sehr lustig gezeigt. Was ist passiert? Google weiss mit­tler­weile von der poli­tis­chen Wirkung von Codes. Vor lauter Angst, poli­tisch inko­r­rekt zu sein und den Bias der weis­sen Pornomän­ner, deren algo­rith­mis­che Grund­la­gen unsere Com­put­er­sys­teme bis heute beherrschen, zu wieder­holen, pro­duzierte die KI-Bild­mas­chine ahis­torischen Schrott. Auf die Eingabe «deutsche Sol­dat­en im Jahr 1943» zeigte sie Bilder von extrem gut ausse­hen­den schwarzen Män­nern und asi­atis­chen Frauen unter Fan­tasie-Stahlhel­men und in Naz­i­u­ni­for­men: So also sieht Geschichte «accord­ing to Woke-AI» aus. Der Spott war schmerzhaft, der Meis­ter him­self, Sergey Brin entschuldigte sich wortre­ich im «Guardian»: «We def­i­nitet­ly messed up.» Wir haben ver­sagt. Das Beispiel ist nicht nur lächer­lich, son­dern beweist auch, wie wir Geschichte, Gegen­wart und Zukun­ft wirk­lich völ­lig neu pro­gram­mieren kön­nen. Deshalb gibt es die völ­lig durchgek­nall­ten «Queers for Hamas» oder eine Judith But­ler, Heilige an west­lichen Uni­ver­sitäten, die behauptet: «Der 7. Okto­ber 2023 war bewaffneter Wider­stand.» Zahlen schreiben Geschichte und machen aus Mördern Opfer, aus Ras­sis­ten Befreiungskämpfer, aus Toten Lebende und aus Leben­den Tote. «Digis­prech» verkehrt nicht nur Begriffe in ihr Gegen­teil, son­dern fab­riziert die Geschichte der Men­schheit neu.
Wom­it ich bei der Anatomie und bei «Die kranke Frau» – der deutsche Titel eines weit­eren Buch­es zum The­ma, dies­mal von Eli­nor Cleghorn – angekom­men wäre. Ich habe das Buch zum Geburt­stag geschenkt gekriegt, ob dahin­ter wohl eine Botschaft steck­te? Die postkolo­niale Wis­senschaft­sjour­nal­istin schreibt eine Geschichte der Frauenkrankheit­en in Episo­den. «Unwell Women. A Jour­ney Through Med­i­cine and Myth in a Man-Made World» ist eine Samm­lung dazu, wie sich Frauen und ihr Kör­p­er der jew­eili­gen gesellschaftlichen Hier­ar­chie andi­enen mussten. Sie schreibt es natür­lich nicht so, dies sind meine Worte, son­dern sie schwafelt streck­en­weise von «Priv­i­legierten und Nicht­priv­i­legierten», wie es halt so Mode ist im dümm­lichen postkolo­nialen Erzäh­lungsstil. Ihr Kapi­tel über Hys­terie im 19. Jahrhun­dert ist den­noch sehr lesenswert, weil es zeigt, wie psy­chol­o­gis­che Uni­ver­sal­diag­nosen für Frauen auch heute noch wirken. Und zwar so, dass Frauen daran ster­ben oder lebenslang behin­dert wer­den. Eine Fre­undin von mir, knappe 24 Jahre alt, ver­lor im Feb­ru­ar einen Eier­stock, und zwar nur, weil sie eine Frau war. Sie litt unter furcht­baren Bauch- und Unter­leib­ss­chmerzen, die Ärztin in München diag­nos­tizierte nor­male Men­stru­a­tions­beschw­er­den, psy­chol­o­gis­chen Druck und schick­te sie mehrmals nach Hause. Bis M. auf die Not­fall­sta­tion kam, weil die Schmerzen nicht mehr auszuhal­ten waren, dort eine lebens­ge­fährliche Infek­tion fest­gestellt wurde und in ein­er Not­op­er­a­tion der mit­tler­weile entzün­dete Eier­stock ent­fer­nt wer­den musste. M. wäre um ein Haar durch klas­sis­chen Sex­is­mus in der Medi­zin mit 24 Jahren in die Menopause und die Kinder­losigkeit gejagt wor­den. Cleghorn zeigt Jahrhun­derte solch­er Frauendiskri­m­inierung. Beispiel­sweise die furcht­bare Erkrankung Endometriose: bet­rifft Mil­lio­nen von Frauen weltweit. Hier siedelt sich Gebär­mut­ter­schleimhaut ausser­halb des Uterus an – im Bauch, in den Orga­nen, in den Muskeln – und verur­sacht höl­lis­che Schmerzen. Für diese gynäkol­o­gis­che Pan­demie reicht es dem deutschen Staat nur grad zu fünf Mil­lio­nen Euro für die Forschung, während für Trans­sex­u­al­ität und Repro­duk­tion­s­medi­zin mit­tler­weile Mil­liar­den investiert wer­den. Sprach­lich wer­den die von Endometriose betrof­fe­nen Frauen darüber hin­aus öffentlich unsicht­bar gemacht: Die «Bun­dess­tiftung für Gle­ich­stel­lung» in Deutsch­land schreibt am 29. Sep­tem­ber 2023, dem inter­na­tionalen Tag der Endometriose: «Die grösste Betrof­fe­nen­gruppe bilden cis Frauen und Mäd­chen. Aber auch gen­derqueere, inter und trans Per­so­n­en kön­nen an Endometriose erkranken – eben­so Män­ner.» Sor­ry, Idi­otin­nen: Es geht um eine klas­sis­che Frauenkrankheit, die jahrzehn­te­lang nicht erforscht, behan­delt und aus der Welt geschaf­fen wurde, weil die Krankheit «nur» Frauen betraf. Und den Gle­ich­stel­lung­stellen kom­men zuerst Trans­frauen in den Sinn?
So wie Dig­i­tal­ität die reale Welt wegrech­net, wer­den die Geschlecht­sor­gane der Frauen von der Biolo­gie abgekop­pelt. Plöt­zlich gibt es keine Frauen mehr, die als Frauen diskri­m­iniert, mis­shan­delt und ermordet wer­den, son­dern nur noch «Per­so­n­en mit Uterus», die von ein­er anderen Frau verge­waltigt wur­den. So geschehen kür­zlich bei einem Fall an einem deutschen Gericht, wo der Verge­waltiger als «Frau» darauf behar­rte, vom Opfer auch kor­rekt so ange­sprochen zu wer­den. Frauen wer­den unter dem Hin­weis auf «Fortschritt» (im 19. Jh. war es die Natur) sprach­lich seziert, diskri­m­iniert, sex­is­tisch enteignet, frauen­has­serisch deklassiert. Dies nicht von Nazis, son­dern gerne von öffentlich-rechtlichen Insti­tu­tio­nen und Medi­en. «Vul­va Own­ers» muss der britis­che NHS poli­tisch kor­rekt schreiben, wenn es um Frauen­sta­tio­nen und Gebärsta­tio­nen geht. «Per­sons with Uteri», schreien durchgek­nallte Fem­i­nistin­nen, die nie­man­den auss­chliessen wollen, schon gar nicht die «Frauen mit Penis». 2021 titelte «The Lancet», eines der wichti­gen Medi­z­in­magazine: «Peo­ple with Vagi­nas» – aus­gerech­net um über jahrhun­derte­lang ver­schleppte Frauenkrankheit­en zu bericht­en, u. a. über Endometriose. Vor zehn Jahren witzelte ich noch über «Men­schen mit Men­stru­a­tion­sh­in­ter­grund», um den Men­schen­sta­tus der Frau zu beto­nen; heute bleibt mir das Lachen bis zum Erbrechen im Hals steck­en. Frauen sind bei Mil­len­ni­als und Zoomers durch­wegs «Flintas», «Men­stru­ierende», «Per­so­n­en mit Uterus», «gebärende Per­so­n­en» oder andere ide­ol­o­gis­che Neol­o­gis­men. Frauen wer­den im Englis­chen neu als «non-male» beze­ich­net, also als «Nicht-Mann», der ab und an als «Penisträger» auch an seine Geschlecht­sor­gane erin­nert wird. Die «Frau mit Penis» wurde schon erwäh­nt, ist total beliebt, keine Pointe. Unterirdisch ist der neue Vorschlag der britis­chen Gesund­heit­spoli­tik­er und Transak­tivis­ten: Frauen sollen doch als Per­so­n­en mit einem «bonus hole», einem Zusat­zloch, beschrieben wer­den. Das «Zusat­zloch» zeigt, wer Meis­ter und wer Sklavin ist. Es gibt keinen Men­schen mit «zu wenig Loch». Erstaunlicher­weise ist dies dieselbe Com­mu­ni­ty, die dann bei Embryos auf ein­er Geschlechter­wahl zwis­chen Mäd­chen und Buben behar­rt. Gebiert die sog. Miet­mut­ter einen Jun­gen statt eines Mäd­chens, kann die «fehler­hafte» Ware zurück­gegeben wer­den. Brauchen Sie noch mehrere Beispiele? Es sind solche Begriffe, die wie Codes operieren und die lebende Welt durch ide­ol­o­gis­che Kun­st erset­zen.

Diesel­ben Medi­en und Bewe­gun­gen, die nichts daran find­en, Men­schen in einem gekauften Frauen­leib her­anzuzücht­en oder Frauenkör­p­er als Dien­stleis­tung zu markieren, schreiben dann aufrührerische Büch­er – darunter sehr gute – darüber, wie schlimm die Sklaverei in der Ver­gan­gen­heit war. Sie merken dabei nicht, dass sie gle­ichzeit­ig das Vok­ab­u­lar für zeit­genös­sis­che Sklaven­hal­ter ver­fein­ern. Die ILO schätzte 2015, dass auch heute noch über 24 Mil­lio­nen Men­schen durch Zwangsar­beit regel­recht ver­sklavt wer­den. Und weil die Linke seit 30 Jahren daran nichts ändern kann, ver­sucht sie jet­zt, diese Erbärm­lichkeit in neue Begriffe zu klei­den. «Sexar­beit» ist dabei der zynis­chste aller Begriffe, erst kür­zlich wieder auf SRF als völ­lig nor­male Arbeit propagiert und pro­te­giert. Huschke Mau meint dazu in ihrem Buch «Ent­men­schlicht»: «Das ‹Huren­stig­ma› abschaf­fen zu wollen, indem man Pros­ti­tu­tion legal­isiert, ist so, als würde man sagen: ‹Wir legal­isieren häus­liche Gewalt, dann haben die von ihren Ehemän­nern geschla­ge­nen Frauen nichts mehr, wofür sie sich schä­men müssen.›»
Die Sexar­bei­t­erin­nen-Pro­pa­gan­dis­tin­nen unter­schei­den gerne in bösen Men­schen­han­del und gute Sexar­beit: Dabei gibt es kaum Unter­schiede, nur wer­betech­nis­che Luxu­seinzelfälle. Pros­ti­tu­tion und Leih­mut­ter­schaft sind mod­erne Sklaverei neu etiket­tiert. Wie diese in der Ver­gan­gen­heit aus­sah, erzählt «The 1619 Project» der Pulitzer-Preisträgerin Nikole Han­nah-Jones. Die 250 Jahre dauernde Bar­barei in den USA – Zitat aus dem Buch, nicht von mir – begann 1619 mit zwanzig bis dreis­sig Sklaven aus Afri­ka. Das Buch erzählt die Grün­dungs­geschichte der USA als Sklavengeschichte, was der ambiva­len­ten Geschichte Amerikas nicht immer gerecht wird, aber unbe­d­ingt notwendig ist. Der Men­schen­han­del lief ent­lang von Busi­ness und Ras­sis­mus – von weiss zu schwarz, von schwarz zu schwarz, von ara­bisch zu schwarz. Die Sklaven­händler trafen sich im glob­alen Busi­ness: Men­schen wur­den eben­so gehan­delt wie Gewürze, Rohstoffe und Tex­tilien. Dies ist heute ähn­lich: «Man bestellt es in Ameri­ka, der Ukraine oder auch in Georgien. Her­stel­lungs­ma­te­r­i­al, Ausstat­tung und Farbe wer­den nach Kat­a­log aus­ge­sucht. Man bezahlt es und holt es nach der Fer­tig­stel­lung ab.» Die Ware ist nicht ein Auto, son­dern ein Men­schenkind. So sieht der zeit­genös­sis­che Sklavin­nen­han­del aus, präzise beschrieben im Buch «Ich kauf mir ein Kind». Die Kinder der Sklavin­nen lei­den unter post­trau­ma­tis­chen Störun­gen – meist ihr Leben lang. Davon erzählt Olivia Mau­rel, Leih­mut­ter­schaft­skind und grandiose Kämpferin für ein weltweites Miet­mut­ter­schaftsver­bot.

Karin J. Leber­sorg­er erzählt von Beratung, Begleitung und Psy­chother­a­pie nach Kinder­wun­schbe­hand­lun­gen in «Bin ich ein Klon-Kind?» – auch so ein wertvolles Werk, das von den öffentlichen Medi­en nicht besprochen wird, obwohl im Rund­funkauf­trag, in der Weisung für den Ser­vice pub­lic, ste­ht, dass über die für die Demokratie rel­e­van­ten The­men informiert wer­den soll.

Sklaverei ist eine Kon­stante der Men­schheits­geschichte mit unter­schiedlichen Haut­far­ben, aber meist gut erkennbar am weib­lichen Geschlecht. Deshalb sehe ich «1619» nicht nur als «Revi­sion der US-amerikanis­chen Geschichte», son­dern als Teil ein­er neuen Men­schheits­geschichtss­chrei­bung, die sich nicht nur um Haut­far­ben, Geschlecht und Herkun­ft, son­dern um Herrschaft, Sprache, Ide­olo­gie, um Mehrheit­en und Min­der­heit­en, um his­torische Jahres­dat­en, um eine Verbindung von Tätern und Opfern küm­mert. Es braucht ein «Ele­mente und Ursprünge von Sklaven­herrschaften», damit wir auch die gegen­wär­tige Demokratie weit­er­brin­gen und nicht via Codes und Men­schen­fleisch-Han­del in total­itäre Sys­teme umwan­deln, die jeden Hor­ror der Ver­gan­gen­heit per­fide übertr­e­f­fen ver­mö­gen. So argu­men­tiert übri­gens auch Yuval Noah Harari in seinem sehr lusti­gen, sehr gut gemacht­en, zwar viel zu wenig fem­i­nis­tis­chen, aber trotz­dem erwäh­nenswerten Comicbuch «Sapi­ens. Das Spiel der Wel­ten». Denn eines ist klar: Wer Biolo­gie, Wirk­lichkeit und Wahrheit unter Leben­den durch Sprechak­te verän­dert, stellt sich in die Rei­he aller Sklaven­händler, die dank Sprache behaupteten, lebende Men­schen seien nicht unsere Schwest­ern und Brüder, son­dern nur Num­mern, Codes oder Tiere. Let­ztere wer­den gegessen, Men­schen in der Geschichte auch, neu wer­den sie ein­fach in Fleis­chstück­en verkauft oder ver­mi­etet.

 

· Col­in Salter: Geschichte der Anatomie in 150 Büch­ern – von der Antike bis heute. Haupt 2024.
· Bir­git Kelle: Ich kauf mir ein Kind. Das unwürdi­ge Geschäft mit der Leih­mut­ter­schaft. FinanzBuch-Ver­lag 2024.
· Katha­ri­na Zweig: Die KI war’s! Von absurd bis tödlich: Die Tück­en der kün­stlichen Intel­li­genz. Heyne 2023.
· Eli­nor Cleghorn: Die kranke Frau. Kiepen­heuer & Witsch 2022.
· Nikole Han­nah-Jones: The 1619 Project. N.Y. Times Com­pa­ny 2021.
· Karin J. Leber­sorg­er: Bin ich ein Klon-Kind? Beratung, Begleitung und Psy­chother­a­pie nach Kinder­wun­schbe­hand­lung. Brandes&Apsel-Verlag 2023.
· Yuval Noah Harari: Sapi­ens. Das Spiel der Wel­ten. C.H. Beck 2024.

Artikel online veröffentlicht: 11. Mai 2024 – aktualisiert am 11. Juni 2024