Von Benedikt Sartorius - Kaum eine andere Gruppe mied ich bis vor kurzer Zeit derart stark wie Kraftwerk. Faulheit und Angst vor der scheinbar technoiden Strenge ihrer Roboterästhetik versperrten eine Auseinandersetzung mit der Legende, dem Mythos Kraftwerk. Wie dem auch sei, die zwei gesetzten Herren Ralf Hütter und Florian Schneider besuchen Bern für zwei Konzerte und so anerbot sich mir Gelegenheit, diese Bildungslücke endlich auszumerzen.
Ähnlich, wenn auch ärger, erging es vor knapp dreissig Jahren einigen KraftwerkKonzertbesuchern in den USA: „Hey Autobahn! I like your music. You‘re different. Where are you from?“ Der rührende Enthusiasmus ist dabei weniger bemerkenswert als die Tatsache, dass diese Begeisterung eine Band aus Deutschland auslösen konnte. Denn Pop aus unserem nördlichen Nachbarland konnte bis Mitte der 60er Jahre mit Beat gleichgesetzt werden. Beatles Klone wie die Rattles („It‘s the German Beatles!”) überschwemmten den Markt, eine eigene Identität war schwerlich auszumachen.
So schickte sich 1968 im Rheinland eine Avantgarde an, diesen Missstand aufzuheben. Zwei ehemalige Studenten von Karlheinz Stockhausen bildeten den Kern von Can. Die enorm einflussreichen Can grenzten sich mit psychedelischen Soundschwaden, wildem anpeilen von Radiostationen und fiebrigen, maschinellen Rhythmen vom elitären Element ihres Übervaters ab und kochten ein ähnlich teuflisches Gebräu wie es unter anderen Vorzeichen Miles Davis zur selben Zeit tat.
Can traten als Kollektiv, als Einheit auf. „Jetzt spielen die Maschinen wie Maschinen wirklich spielen“, erinnert sich Holger Czukay, Bassist und Radiomann der Band, an das furiose Schlagzeugspiel von Jaki Liebezeit. Die Auflösung des Individuums hin zu einem tranceartigen Zustand stand bei „Krautrockern“ wie Can im Vordergrund, die „Mensch Maschine, halb Wesen und halb Ding“ formulierten Andere. Womit der konstruierte Kreis geschlossen wäre und das Feld nun Kraftwerk aus Düsseldorf überlassen wird. Falls meine arg gekürzte Ausgabe von Kraftwerks zweitem Album nicht allzu viel verschweigt, war zu Beginn von der späteren Maschinenherrschaft noch nicht viel zu spüren. Eher spannten sie den Bogen zwischen Klangexperimenten („Atem“) und harmonischer Lieblichkeit („Kling Klang“). „Richtige“ Instrumente (Flöte…) wurden noch eingesetzt, bis diese zwei Alben später fast komplett den damals horrend teuren Synthesizers weichen mussten. Denn „die Musik der technisierten Welt,“ so Ralf Hütter, „lässt sich nur auf einem Instrumentarium der technisierten Welt darstellen.“
1974: Kraftwerk „fahr‘n fahr‘n fahr‘n auf der Autobahn“ und trieben ihre „industrielle Volksmusik“, die bei „Kraftwerk 2“ noch fragmentarisch wirkte, entscheidend weiter. 22 Minuten dauert dieses Road Movie, kindliche Begeisterung ob der vorüberziehenden Landschaft und spektakuläre Überholmanöver mit inbegriffen. Eine vergnügliche Reise, die Kraftwerks Ruf als Elektro-Pop Pioniere begründet und vor allem in den USA bestens einschlug.
Allmählich verschwanden die mittlerweile vier Kraftwerkmechaniker hinter einer schwer fassbaren Fassade. Ob etwa die gottähnliche „Stimme der Energie“ auf „Radio Aktivität“ ernst oder bloss ironisierte Verklärung des technischen Fortschritts war, schien schwer auszumachen. Marionetten erschienen zu Pressekonferenzen und aus den Menschen Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flühr wurden die „Mensch Maschinen“. Hütter:„Wir spielen unsere Maschinen und manchmal spielen die uns. Es sind der Austausch und die Freundschaft mit den Maschinen, die uns eine neue Musik kreieren lassen.“
Und neue Musik spuckten die Maschinen 1977 aus: Strenge, scharfe Beats waren das prägende Merkmal von „Trans Europa Express“. Elegant und dekadent reisten Kraftwerk nun mit dem Schnellzug durch ein endloses Europa, betrachteten sich als Stars im Spiegelsaal ehe sie als tanzende Schaufensterpuppen dem Käfig entrinnen konnten. Dieses kühle, doch fulminante Album präsentierte Kraftwerk auf dem Cover als aalglatte, gut situierte Bürger und erhärtete in der gerade entstehenden deutschen Punkszene Kraftwerks Bild als schnöde Spiesser, als „boring old farts“.
Alte Fürze? 1982 taucht die karge, furchteinflössende Synth-Melodie von „Trans Europa Express“ in neuem Zusammenhang auf. „Rock Rock Planet Rock“ skandiert eine Roboterstimme, der Beat kickt, funkt und „wird dir helfen, zu Höchstform aufzulaufen.“ Denn der HipHopPionier Afrika Bambaataa war nur einer der stilbildenden New Yorker Männer, der auf der Suche nach dem perfekten Beat über Kraftwerk stolperte und ihnen, zusammen mit den MCs der Soul Sonic Force, in „Planet Rock“ huldigte. „Ich glaube nicht,“ so Bambaataa, „dass Kraftwerk wussten, wie wichtig sie für die Schwarzen 1977 waren, als „Trans Europa Express“ rauskam. Ich dachte sofort, das ist eine der irrsinnigsten Platten, die ich je gehört habe.“ „Planet Rock“ gilt jedenfalls als Ur-Electro Stück, dieser fiebrigen Mischung aus programmierten HipHop-Beats, Rap und analog flirrenden Synthies, die an immer noch gern gespielte, primitive Videogames gemahnen.
Als Zitat, als graue Eminenz der elektronischen (Pop)Musik und des für mich unüberblickbaren Technodschungels schlingerten Kraftwerk nach dem Hit Album „Die Mensch Maschine“ (1978) und der funkigen, harten „Computerwelt“ (1981) durch die 80er und 90er Jahre. Die Lebenszeichen wurden rarer („Tour de France“ 1983, „Electric Café“ 1986), Bartos und Flühr verliessen die zwei Hauptköpfe nach dem Remix-Album „The Mix“ (1991) und es sollte gar zwölf Jahre dauern, bis Hütter und Schneider eine Aufbereitung der „Tour de France“ veröffentlichten.
Als ich einige deutsche Kollegen auf Kraftwerk ansprach, wer diese sind und wie sie wirk(t)en, blieb es bei den schönen Attributen „wichtig“ und „modern“. Die These sei demnach erlaubt: Jeder kennt Kraftwerk, niemand kennt Kraftwerk. „Die Musikanten mit Taschenrechner in der Hand“ bleiben ein schwer zu knackendes Rätsel, oder pathetisch ausgedrückt, überirdirsch, „halb Wesen und halb Überding“.
Bild: zVg.
ensuite, Mai 2004