Guy Huracek im Gespräch mit Steff la Cheffe — Was ist Kultur? Diese Frage stellt das Kulturmagazin ensuite der Berner Rapperin Steff la Cheffe. Ein Blick durch ihre Augen.
Was verstehst du unter Kultur?
Das klingt wie eine Prüfungsfrage aus meinem Studium. Kultur? Das ist vielleicht das, was uns von dem Tier unterscheidet. Kultur ist sicher ein Ausdruck einer Lebensform, einer Tradition, es ist auch Kunst, es ist etwas, das nicht zwingend ist fürs Überleben. Aber dennoch wäre der Mensch nicht Mensch wenn es keine Kultur gäbe. Was ist Kultur? Es ist ein Ausdruck einer gewissen Intelligenz. Es ist ein freiwilliger Akt. Es ist ein Bedürfnis des Menschen, sich auszudrücken und etwas zu hinterlassen.
Besuchst du das Paul Klee Zentrum?
Ich habe dort gearbeitet (lacht). Ich war im Souvenirshop ein halbes Jahr lang Verkäuferin. Aber sonst war ich nie im Paul Klee Zentrum.
Und im Kunstmuseum?
Dort war ich zuletzt bei einer chinesischen Ausstellung der Sammlung Sigg. Ich weiss es nicht genau. Jedenfalls sorgte die Ausstellung für Diskussionen.
Ein Künstler nähte den Kopf eines Fetus auf den Körper eines Vogels.
Ja genau. Da die Ausstellung sehr kontrovers war, wurde ich darauf aufmerksam. Kultur ist meiner Meinung nach einerseits Kunst, andererseits ist es Unterhaltung.
Unterhaltung? Also ist RTL ein Kultursender, die Sendung «Bauer sucht Frau» keine Vergewaltigung des guten Geschmacks, und der Blick.…
Die Menschen sind nun einmal so. Die Intellektuellen finden solche Unterhaltungsgenre schlecht, weil sie sich lieber auf einem höher stehenden Niveau mit den Dingen auseinander setzen. Der Mensch hat anscheinend das Bedürfnis nach Boulevard. RTL und der Blick ist nur eine Form der Kultur.
Die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum und im Paul Klee Zentrum «Lust und Laster» befasst sich mit den sieben Todsünden. Was ist für dich eine Todsünde?
(lacht) Ich kann nicht einmal alle Todsünden aus der Bibel aufsagen – ich habe das Buch nie gelesen – aber für mich ist ein Todsünde.… (überlegt mehrere Sekunden)
Was ist für dich eine Tugend?
Mitgefühl (wie aus der Kanone geschossen) finde ich sehr wichtig und zentral. Wenn man kein Mitgefühl hat, begeht man eine Todsünde, denn man fühlt sich zu wenig in sein Gegenüber. Meiner Meinung nach geschehen viele Todsünden aus Mangel an Mitgefühl. Der Mensch ist ein Sozialwesen, zwar hat er egoistische und individualistische Züge, aber er kann nur mit anderen etwas erschaffen.
Wie schätzt du die kulturelle Vielfalt in Bern ein?
Man kann schon sagen, dass Bern, zumindest die Musikszene, sehr vielfältig ist. Ich hatte beispielsweise mit vielen Leuten aus der Musikbranche Diskussionen über die Musikkultur in Bern und in Zürich. In Zürich läuft extrem viel, aber die Stadt ist auch grösser, und innerhalb einer Szene können die Leute auch etwas für sich allein tun, ohne dass es andere mitbekommen. In Bern gibt es diese «Anonymität» weniger.
Betrachtet man die geringe Anzahl an Hip-Hop-Veranstaltungen in Bern, dann kann man schon sagen, dass die Hauptstadt eingeschlafen ist. Persönlich finde ich, dass die Berner Hip-Hop-Szene vor fünf Jahren wesentlich innovativer war. Gewisse Hip-Hop-Sachen sind in Bern seit Jahren gleich. Doch vergleicht man Bern mit der Szene in Biel, fällt auf, dass die Stadt im Seeland wesentlich innovativer ist. Neue Musikstile wie zum Beispiel Dubstep kamen in Biel bei den Leuten viel früher an als in der Hauptstadt. In Bern war der Musikstil nie richtig angesagt.
Was könnte in Bern anders gemacht werden?
Es ist schwierig. Ich finde Kultur kann nicht von oben herab delegiert werden. Kultur sollte aus der Nachfrage der Leute entstehen. Eine Schwierigkeit an Bern ist der Stadtkern, der in der Aareschlaufe liegt. Die historisch bedingte Lage hat zur Folge, dass sich sämtliches kulturelle Angebot darin befindet. Ausserhalb dieser Schleife sind Wohnquartiere, und schon nur aus rechtlicher Sicht gesehen dürfen in Wohnquartieren praktisch keine Partys veranstaltet werden. Ein zweiter Punkt ist die gewisse Trägheit von Bernerinnen und Bernern. Sobald etwas ausserhalb dieses Stadtkerns liegt, ist es für die Berner zu weit weg. Um auf deine Frage zurück zu kommen, was man verändern könnte, ich habe keinen Plan. In Bern herrscht meiner Meinung nach eine gewisse Mentalität, was man kennt, besucht man und an etwas Neues tastet man sich schrittweise heran.
Die Medien sind geil auf dich. Teilweise wurdest du mit Interviewanfragen regelrecht bombardiert. Wie schätzt du die Berichterstattung über dich ein?
Es gibt und gab nur relativ wenige Berichte mit Kritik über mich. Ich denke, dass nachdem Leitmedien über mich berichtet haben, sich auch viele kleinere Zeitungen für mich interessierten. Sie berichteten jedoch oftmals unkritisch über mich und blieben an der Oberfläche.
Die Medien haben vor allem dein weibliches Geschlecht in einer von Männern dominierten Hip-Hop-Szene in den Fokus gerückt.
Diese frauenspezifischen Fragen haben mich in den Medien genervt. Ich will meine Musik für mich sprechen lassen und es ist doch egal ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Doch die meisten Leute wollen Schubladen. Für die meisten Leute die Hip-Hop nicht kennen, ist dieser Musikstil das, was sie auf MTV in Videoclips sehen. Diese kommerziellen Clips sind sexistisch, aber das ist nicht der ganze Bereich von Hip-Hop. Viele Medienschaffende haben ein negatives Bild von Hip-Hop, und als sie mich kennenlernten, hatten sie das Gefühl, ich sei eine, die in der Männerdomäne Hip-Hop besteht. Doch Hip-Hop ist nicht einfach nur eine sexistische Männerdomäne. Hip-Hop ist so vielfältig und differenziert. Ich hatte Angst, dass mich die Leute nur noch als diese «Rebellin» sehen und mich gar nicht der Hip-Hop-Kultur zuordnen.
Foto: zVg.
ensuite, Januar 2011