Von Fabienne Naegeli – Nater/Glatthard/Bachmann präsentieren das «Format:Radio»: Diese Songtitel waren Mitte September Ihre Hits: «Got 2 Luv U», «I won’t let you go», «Moves like Jagger», «Set Fire to the Rain», «New Age», «Mr. Saxobeat», «The Edge of Glory», «Don’t wanna go home», «The Lazy Song», «Something in the Water» und «I’ll be your Man». Egal ob DRS 3, Capital FM, Radio Energy Zürich, Argovia, Basilisk, Pilatus oder Radio 105, überall in der Deutschschweiz werden die von den angesagtesten Stars produzierten Bestseller auf dem Plattenteller in den Charts rauf- und runtergespielt. Bis zu drei Mal am Tag können Sie Ihre liebsten Musiktitel über den Äther empfangen. Doch weshalb ist das so? Weshalb spielen alle Radiostationen die gleichen Songs? Wer entscheidet über die Auswahl der Hitparade und wie funktioniert diese wöchentliche, schon seit Jahrzehnten gemachte Listenbildung? Nach «Die Dällebach-Macher» und «Samichlaus – Das Musical» untersuchen Nater/Glatthard/Bachmann in «Format:Radio» die Musik im Radio und die damit verbundenen Auswahlverfahren und Vorgehensweisen der Sender. Hitparaden bilden eine Entscheidungsbasis für Konsumenten und sind Beurteilungsgrundlage für Programminhalte bei Medien. Sie sind ein bedeutsamer Massstab für den Erfolg und die Beliebtheit einer Musikerin und dienen als Gradmesser des Publikumsgeschmacks. Die Liedauswahl entscheidet über die Anzahl Hörer und die Reichweite der Sendeanstalt. Solche Quoten sind für die Legitimation eines Mediums und für die Werbeindustrie von enormer Bedeutung. Radiodirektorinnen und Programmgestalter müssen sich deshalb fragen, welche Songs sie in den Charts spielen und was ihre Hörerinnen oft und gerne hören, damit die gewünschte Zielgruppe bei der Werbung nicht wegzappt. Marktforschungsunternehmen berechnen dazu mit statistischen Methoden, was Menschen schön und hörenswert finden, und ermitteln Verkaufszahlen von Tonträgern, um die neusten Trends den Radiostationen als spezifisch auf sie zugeschnittenes und total individuelles Soundpäckchen à la Ikea zu verkaufen. Mit wissenschaftlichen Tests, sogenannten «Call-Outs», wird die Akzeptanz und Radiokompatibilität von Musiktiteln bei einem repräsentativen Publikum geprüft. Per Telefon werden der ausgewählten Gruppe 8‑Sekunden-Ausschnitte vorgespielt, welche die Testteilnehmer dann bewerten müssen. Das Ergebnis all dieser Experimente, statistischen Berechnungen und Musikanalysen ist die Durchschnittshörerin und ihr radiokompatibler Musikgeschmack. Innovationen und spannende musikalische Überraschungen haben dabei weniger Chancen als wiedererkennbare kulturelle Produkte. Doch genug des Kulturpessimismus und Quotenzwangs, mit Wiedererkennbarem und den Kultur-Imperativen kann man auch wunderbar spielen, und sie auf ihre Entstehungsmechanismen und Funktionen hin befragen. Nater/Glatthard/Bachmann machen genau das in ihrer neusten musikalischen Dokumentartheaterproduktion «Format:Radio». Sie recherchieren über werbefinanzierte Privatradios, öffentlich-rechtliche und alternative Sendeanstalten, interviewen Radiomacherinnen, Musiker und Hitproduzentinnen, um herauszufinden, welche Art Musik aus dieser Maschinerie entsteht und was es braucht, damit ein neuer Titel ins Radioprogramm aufgenommen wird. Mit dem Hit-Rezept in der Tasche versuchen sie einen eigenen, radiotauglichen Song zu komponieren, und damit die Schweizer Charts zu stürmen. Reichen wohl zweieinhalb Minuten harmonisch-kitschige Klavierklänge, ein wenig elektronisches Schlagzeug und ein Refrain mit «Love», «Eternity», «Dream», «Heart» und «Baby», oder braucht es doch noch «Memories», «Feelings» und ein bisschen «Forever» zum Mitsingen? In «Format:Radio» werden sie mit viel Musik und satirischen Szenen über ihre Erfahrungen berichten, Insider-informationen verraten, Statistiken erläutern, und sich mit Kennern der Branche per Lautsprecher unterhalten.
Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2011