Von Lukas Vogelsang — Um im Sommer nach St. Moritz zu fahren braucht es einen besonderen Grund, vor allem, wenn das Wetter schlecht ist. Wir hatten einen solchen und es verschlug uns dort ins Hotel Kempinski. Der wohlklingende Name, die Fotos auf der Webseite, und eine Deluxe Junior Suite – welch ein Versprechen. Da konnte uns der Sommer nicht davon abhalten.
Allerdings haben wir nicht schlecht gestaunt über die Lage des Hotels. Auf den Fotos sieht man immer nur die schöne Frontseite mit der doch etwas fürchterlichen «Kempinski»-Leuchtschrift. Das sieht auf den Fotos wirklich gediegen aus – in der Realität wurde aber um das Hotel kräftig gebaut, und der Ausblick ist alles andere als schön. Der gesamte Hotelkomplex ist monströs und wurde immer erweitert, so dass jetzt die Form etwas gelitten hat. Angebaut wurde zum Beispiel auch das Casino von St. Moritz. Und spätestens da schaut man zweimal hin.
Die Empfangshalle ist aber recht schön und grosszügig. Die Lounge bietet viel Platz zum Verweilen und die endlos vielen Sessel animieren zum Beobachten der anderen Gäste. An der Rezeption werden wir sehr kompetent empfangen und bedient. Alles geht einfach und schnell. Unser Zimmer, die Deluxe Junior Suite, liegt im ersten Stock. Auf den in diesen Hotels üblichen dicken Teppichen schweben wir nach oben in einen endlosen Gang. Unser Zimmer ist etwa so gross wie unser Redaktionsbüro: Ein kleines Entree, eine Wohnzimmerecke mit TV, Salontischchen und Sesseln, ein kleiner Arbeitstisch mit allen Internetanschlüssen, und dann das riesige Bett, ein begehbarer Kleiderschrank, ein geräumiges Badezimmer und eine kleine Toilette sind für eine Nacht unser zuhause. Doch, hier könnte ich auch arbeiten.
Spannend wäre es, die alten Pläne vom Hotel zu sichten. Die Räume wurden sicher einige Male umgebaut. Dabei wurden interessante Fehler gemacht: Das Bett zum Beispiel steht zu breit im Raum, so dass man die Türen für den begehbaren Schrank kaum öffnen kann. Da man neben dem Bett noch einen Läufer hinlegt, geht das mit der Türe gar nicht. Der Läufer muss also erst weg. Lichtschalter für das Badezimmer und die Toilette sucht man vergebens, beide verstecken sich hinter der geöffneten Türe, wir suchten fast 5 Minuten danach. Der Teppich ist zwar angenehm, so dick und flauschig, aber er ist so hoch, dass sich alle Türen nur mit Kraft bewegen lassen. Etwas eigenartig in einem derartigen Hotel.
Auch die Möbel überzeugen nicht wirklich: Furnierte Holzschränke, in deren Innerem man die Bausünden zählen kann. Es wirkt etwas billig, wenn auch massives Holz verwendet wurde. Trotzdem wirkt der Raum gemütlich, und ich kann mir sehr gut vorstellen, nach einem Skitag hier auszuruhen. Es ist sehr ruhig. Die Fenster sind dicht, und die Aussicht auf die Berge bringt Stimmung. Unser Programm lässt es am ersten Tag nicht zu, viel vom Hotel zu erkunden, und von der Nacht weiss ich nur, dass ich sehr gut geschlafen habe. Das wird die Höhenluft gewesen sein.
Am nächsten Morgen schlurfen wir vor dem Frühstück in Bademänteln und Schlupfpantoffeln vom Zimmer direkt in das angebaute Hallenbad. Der Wellnessbereich ist gross – und etwas unübersichtlich. Auf dem Weg dahin gibt es unzählige Türen – irgendwann steht auf einer Glastür «Textilfreie Zone». Nicht mein Weg.
Das Bad ist klein und reicht für ein paar erste Schwimmübungen. Ein künstlicher Fels, viele Fenster und die runde Gebäudeform wirken angenehm. An so ein Bad vor dem Frühstück könnte man sich sehr gut gewöhnen. Ein turtelndes Pärchen ist ebenfalls im Bad – doch irgendwann spricht der Mann mit seiner Gespielin über seine Frau, was stutzig macht. Ich kriege Hunger.
Wenn sie jemals in St. Moritz ohne Frühstück einfahren und genug Kleingeld mitbringen, so ist es eine Empfehlung, das Frühstücksbuffet in diesem Hotel genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Köche geben alles, und die Vielfalt ist der Feind jeglicher Diät. Zum Schluss streitet man sich noch mit ein paar Kindern um die letzten Pfannkuchen, lässt sich von der zuvor im Bad gesehenen «Freundin» anbaggern und flieht zurück ins Zimmer.
Stilistisch ist in diesem Hotel vieles nicht wirklich überzeugend und nicht wirklich fassbar. Ärgerlich ist auch, dass die Umgebung nicht schön gestaltet ist. Beim Frühstückstisch am Fenster darf man nur nach oben in die Berge sehen – unten ist ein unschöner Hinterhof mit allen parkierten Gästeautos. Und wer vom Hoteleingang zum See sehen will, sieht nur direkt in eine ziemlich schäbig wirkende Blocksiedlung. Da ist nichts Romantisches oder zauberhaftes vorzufinden.
Die Anonymität hat natürlich etwas Praktisches – allerdings ist sie eben charakterlos. Man bemüht sich, in den langen Gängen Kunst auszustellen, belebt die Lounges mit rauchfreien Feuerstellen – aber alles bleibt ohne Leben. Nur das Personal überzeugt durchwegs. Sogar der Portier lässt sich aber auch gar nicht aus der Ruhe bringen, und schenkt uns bei der Abfahrt noch zwei Wasserflachen für den Heimweg. Das Eingangs erwähnte Versprechen wurde zwar nicht eingelöst, aber wir haben den Aufenthalt ohne Schaden oder schlechte Erinnerungen überstanden.
Die Deluxe Junior Suite würde im Sommer ungefähr 700 Franken kosten – in der Wintersaison berappt man locker 2’000 Franken dafür, und das ist dann definitiv zu teuer.
Infos: www.kempinski.com/en/st-moritz/grand-hotel-des-bains/
Foto: Lukas Vogelsang
ensuite, Januar 2012