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«Houses» — Eine Ausstellung von Thomas Schütte im Kunstmuseum Luzern

Von Heike Ger­ling — Zwei Ausstel­lun­gen des Düs­sel­dor­fer Kün­stlers Thomas Schütte geben zur Zeit Ein­blick in ver­schiedene Gebi­ete seines vielschichti­gen Schaf­fens: Während die Fon­da­tion Beyel­er in Riehen bis zum 2. Feb­ru­ar eine reiche Auswahl seines fig­u­ra­tiv­en Werkes zeigt, ist im Luzern­er Kun­st­mu­se­um noch bis zum 16. Feb­ru­ar eine Ausstel­lung sein­er konzeptuellen Architek­tur­darstel­lun­gen zu sehen.

Mit dem auf die Architek­tur bezo­ge­nen Teil seines Werkes wurde Thomas Schütte seit den 80er Jahren in der Kunst­welt bekan­nt; seine fig­u­ra­tiv­en Skulp­turen, Aquarelle und Zeich­nun­gen wur­den erst allmäh­lich als weit­ere Aspek­te sein­er Arbeit zur Ken­nt­nis genom­men. Zwis­chen den ver­schiede­nen kün­st­lerischen Ansätzen beste­hen auf inhaltlich­er Ebene span­nende Zusam­men­hänge. Es lohnt sich auf jeden Fall, bei­de Ausstel­lun­gen zu sehen.

Die Ausstel­lung im Kun­st­mu­se­um Luzern doku­men­tiert unter dem lakonis­chen Titel «Hous­es» Schüttes inten­sive kün­st­lerische Auseinan­der­set­zung mit Architek­tur, dem Prozess ihrer Entste­hung, ihrer gesellschaftlichen Rolle und Bedeu­tung. Schütte inter­essiert die Fähigkeit der Form, Assozi­a­tio­nen zu weck­en, und er arbeit­et an diesem Aspekt in Bezug auf Architek­tur und Stadt mit ver­schiede­nen bild­ner­ischen Mit­teln.

Seine Entwürfe fik­tiv­er architek­tonis­ch­er Pro­jek­te weisen über die Form hin­aus; sie sind Meta­phern, Kom­mentare zur Welt, mit denen er den gesellschaftlichen Sta­tus quo, Werte und Kon­ven­tio­nen kri­tisch, aber humor­voll hin­ter­fragt. Schütte beze­ich­net seine Pro­jek­te manch­mal auch als «Witze» oder «Spiel­ereien»; allerd­ings liegt seinem Humor eine sehr ern­sthafte Auseinan­der­set­zung mit den The­men, auf die er sich bezieht, zugrunde.

Die Entwürfe sind in der Ausstel­lung zum Teil als min­i­mal­is­tisch abstrak­te Konzept­skizzen präsent, als Zeich­nun­gen oder Druck­graphiken; zum Teil auch nur als Mod­elle, die man wie Skulp­turen lesen kann. Andere Pro­jek­te wer­den mit mehreren Mod­ellen in ver­schiede­nen Vari­anten, Maßstäben und Abstrak­tion­s­graden dargestellt; so etwa Schüttes «One Man Hous­es», oder sein «Ferien­haus für Ter­ror­is­ten». Die Pro­jek­te sind nicht für konkrete Orte entwick­elt wor­den; es han­delt sich um Pro­to­typen – oder auch um Mod­elle möglich­er Arche­typen, oft mit iro­nis­chem Bezug zu ihrer eige­nen Mon­u­men­tal­ität, zu architek­turgeschichtlichen Iko­nen, architek­tur­the­o­retis­chen Debat­ten oder zeit­geschichtlichen Entwick­lun­gen. So ist in Schüttes «Boot­shaus» ein lakonis­ch­er Rück­bezug zur Rev­o­lu­tion­sar­chitek­tur von Ledoux spür­bar; der Kon­trast zwis­chen dem pro­fa­nen Zweck des Gebäudes und dem Pathos sein­er Sym­me­trie reizt auch bei der «Eis­diele» zum Lachen. «Ack­er­mans Tem­pel» und der rosa-grün gestreifte «Robelin Tem­pel» erin­nern an Aldo Rossis Arche­typen; hier spielt Schütte mit der Mon­u­men­tal­ität, die auch kleine Baut­en durch Sym­me­trie und Ein­fach­heit der Form erre­ichen kön­nen, und set­zt die Mon­u­men­tal­ität ein­er zen­tral­sym­metrischen Bau­form in witzi­gen Kon­trast zur impro­visierten Bauweise des Robelin Tem­pels. Mit seinem «Entwurf für ein Muse­um», das drei zum Ver­heizen von Kun­st vorge­se­hene Kamine birgt, erlaubt sich der Kün­stler einen zynis­chen Kom­men­tar zu den Funk­tion­s­mech­a­nis­men des Kun­st­be­triebs.

Das kleine Mod­ell des «Tow­er of Talk­ers» kön­nte man auf den ersten Blick für den Pro­to­typen eines Desig­nob­jek­tes hal­ten; die Form kann aber auch an riesige Hochhäuser in Dubai oder Chi­na erin­nern. Auch die grösseren Mod­elle aus Edel­stahl, die auf inter­es­sante Weise mit der Architek­tur des KKL kor­re­spondieren, zeich­nen sich wie das kleine Mod­ell vor allem durch ihre innere Leere aus.

Mit «Haupt­stadt», ein­er Serie von sieben grossen Zeich­nun­gen büh­ne­nar­tig insze­niert­er Sym­bole, regt Schütte dazu an, sich mit dem The­ma poli­tis­ch­er Macht und ihrer mar­tialis­chen Seite kri­tisch auseinan­derzuset­zen.
Prinzip­iell hat Schütte nach eigen­em Bekun­den alle seine Pro­jek­te, ange­fan­gen bei seinen ersten Entwür­fen für die Köl­ner Ausstel­lung «West­kun­st», auf eine Real­isierung im Maßstab 1:1 hin angelegt.

Wer den ersten Raum der Luzern­er Ausstel­lung betritt, sieht sich tat­säch­lich mit einem «Haus» kon­fron­tiert: Man ste­ht vor Schüttes «Ferien­haus für Ter­ror­is­ten», dem 1:1‑Modell eines pavil­lonar­ti­gen Gebäudes aus Holz in mod­ernem Stil, dessen Seit­en mit far­bigen Stoff­bah­nen verklei­det sind. Die Stoff­bah­nen wirken optisch wie eine mod­erne Gebäude­hülle, ohne tat­säch­lich Schutz zu gewähren; teil­weise ist die Fas­sade auch ganz offen.

Man kann das Gebäude an zwei Seit­en betreten; es hat einen Vorder- und einen Hin­terein­gang. Man kann in diesem Bau umherge­hen und kann sich schnell ori­en­tieren: Der Innen­raum wird gegliedert durch zwei mas­siv wirk­ende ver­tikale Ele­mente aus Holz, die wahrschein­lich das Dach tra­gen. Eines dieser dynamisch schrä­gen Ele­mente stellt einen Kamin dar: Das darin bere­it liegende Feuer­holz lädt dazu ein, sich ein Feuer zu machen; das einge­baute Kam­in­rohr aus Met­all sig­nal­isiert Funk­tion­stüchtigkeit; der Masstab des Gebäudes und seine Bege­hbarkeit bestärken den Besuch­er darin, an seine Benutzbarkeit zu glauben. Das Mate­r­i­al des Kamins wider­spricht dieser Annahme allerd­ings – er beste­ht ja selb­st aus Holz.

Drei in schnit­tiger For­men­sprache auf die anderen Ein­baut­en abges­timmte Hock­er bieten die Möglichkeit, sich niederzu­lassen: aus Span­plat­ten gez­im­mert, mit dynamisch schrä­gen Seit­en­flächen – aber spar­tanisch harten Sitzflächen.

An der schrä­gen Rück­wand des Kamins, ein paar Schritte ent­fer­nt vom zweit­en Ein­gang des Pavil­lons, ist eine Garder­oben­stange mon­tiert; funk­tion­al geplant vom Entwer­fer. Hin­ter ein­er dün­nen Holzwand, mit Blick nach draussen und auch von draussen durch die Stoff­bah­nen hin­durch sicht­bar, ist die roh geschrein­erte Form eines «WC» aus Holz mon­tiert. Es ist so grob detail­liert, als wäre es ein Mod­ell im Masstab 1:200; im Masstab 1:1 provoziert es den irri­tieren­den Ein­druck, sich wie Alice im Wun­der­land in ein­er mod­ell­haften Welt zu bewe­gen.

Zusät­zlich kön­nen sich weit­ere Fra­gen ergeben; zum Beispiel, was dieses Gebäude zu einem «Ferien­haus für Ter­ror­is­ten» macht: Ist in der fik­tiv­en Welt, für die das Haus ent­wor­fen wurde, Ter­ror­ist ein «Beruf wie jed­er andere»? Sind die Ausstel­lungs­be­such­er poten­tielle Ter­ror­is­ten? Kön­nten nicht auch sie Bewohn­er sein, da sie dieses Haus schon besichti­gen? «Jed­er Ausstel­lungbe­such­er ein poten­tieller Ter­ror­ist»? Kommt man auf die Idee, Beuys’ Pos­tu­lat «Jed­er Men­sch ein Kün­stler» so ver­fremdet zu denken, ergibt sich ein höchst sarkastis­ch­er Kom­men­tar zur heuti­gen Zeit.

Kleinere Entwurf­s­mod­elle des sel­ben Pro­jek­ts sind im näch­sten Raum zu besichti­gen. Dank des Engage­ments eines Samm­lers ist es inzwis­chen tat­säch­lich als «Haus» real­isiert wor­den, in Telfs, Öster­re­ich. Ein Video zeigt im Zeitraf­fer den Bau des Haus­es; die Bauar­beit­er wirken darin wie Spielzeug­fig­uren, und das Haus wieder wie ein Mod­ell. Das gebaute Pro­jekt trägt den Titel «Haus T». Warum, erk­lärte Thomas Schütte in einem Inter­view: Man musste den Pro­jek­t­na­men ändern, weil man son­st keine Baube­wil­li­gung bekom­men hätte.

Ob der real­isierte Bau immer noch wie ein Mod­ell wirkt? Ist er noch Kun­st, oder «nur noch» orig­inelle Architek­tur, oder bei­des? Thomas Schütte beze­ich­net auf sein­er Web­seite die im Maßstab 1:1 gebaut­en Pro­jek­te jeden­falls nicht als «Hous­es», son­dern als «Per­ma­nent Instal­la­tions». Auch eines der «One Man Hous­es», die Schütte ursprünglich aus Lüf­tungse­le­menten aus Zinkblech entwick­elt hat­te, ist von einem Samm­ler real­isiert wor­den; in Roanne, Frankre­ich, ste­ht es in idyl­lis­ch­er Land­schaft an einem See. Sein Entste­hung­sprozess kann jet­zt in Luzern anhand ver­schieden­er Mod­elle nachvol­l­zo­gen wer­den. Nach der Arbeit mit gefun­de­nen Lüf­tungse­le­menten aus Zinkblech, die er durch das Aufk­leben far­biger Plex­i­glas­plat­ten zu min­i­mal­is­tis­chen Mod­ellen der «One Man Hous­es» uminter­pretiert hat­te, hat Schütte an Holz­mod­ellen im Masstab 1:5 weit­ergear­beit­et. Darin hat er die Bedürfnisse eines fik­tiv­en Indi­vidu­ums ins Innere der vorgegebe­nen Form eingepasst, deren Logik auf unbekan­nten Para­me­tern basiert …

Dem The­ma des Interieurs ist in der Luzern­er Ausstel­lung noch ein eigen­er Raum gewid­met, in dem Möbel, Wand­dekor, Lam­p­en und Deko­ra­tions­ge­gen­stände eine Atmo­sphäre eige­nar­tiger Ambivalenz entwick­eln, so dass man als Betra­chter schwankt zwis­chen der Wahrnehmung des Raumes als Wohn­raum und sein­er Inter­pre­ta­tion als einem grossen Mod­ell.

Schütte schafft «präg­nante Bilder der Ambivalenz», schrieb Patrizia Dan­der im Beglei­theft zu sein­er grossen mono­graphis­chen Ausstel­lung im Münch­en­er Haus der Kun­st 2009. Wer die Denkräume zu schätzen weiss, die durch eine solche Hal­tung entste­hen kön­nen, wird diese Ausstel­lung geniessen kön­nen.

Foto: zVg.
ensuite, Jan­u­ar 2014

Artikel online veröffentlicht: 30. Mai 2019