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Humor kann auch ernst sein

Von Luca D’A­lessan­dro — Anton Brüschweil­er ist Mundart­sänger, Jazzer, Kolum­nist, Gitar­ren-Lehrer und ein beken­nen­der Unge­sun­der. Auf sein­er Inter­net­seite bietet er einen Kurs zum The­ma «unge­sund leben» an. Die The­men: Wie geht man Bewe­gung erfol­gre­ich aus dem Weg? Wie gewöh­nt man sich an chro­nis­chen Schlaf­man­gel? Wie gibt man sich ohne schlecht­es Gewis­sen der Völlerei hin? «Obwohl ich hun­derte von Anfra­gen habe, bis heute habe ich noch keinen einzi­gen Kurs durchge­führt. Zu viele Dinge habe ich um die Ohren», so Anton. Eines dieser Dinge ist seine aktuelle CD «Ansicht­en eines afghanis­chen Hirten­hun­des», die am 12. Novem­ber in der Alten Chäsi Gysen­stein getauft wird.

Anton, wie kommt man auf einen der­art kuriosen CD-Titel?

Irgen­dein­mal ist er in meinem Kopf aufge­blitzt. Das Bild des afghanis­chen Hirten­hun­des liess mich nicht mehr los. Schliesslich entschloss ich mich, das The­ma in mein neues Pro­gramm einzu­flecht­en. Dabei geht es um einen unschuldigen Hirten­hund, der die Launen seines opi­um­ab­hängi­gen Her­rchens ertra­gen muss.

Wieso ger­ade Afghanistan?

Das Land wird in den Medi­en fast aus-schliesslich mit Krieg und Ter­ror in Verbindung gebracht. Mit meinem CD-Titel bringe ich einen neuen Aspekt her­vor. Ich ver­weise an einen Schau­platz, der kaum mehr berück­sichtigt wird. Mich reizt es, absurde Zugänge zur Real­ität zu find­en.

Absurd ist auch der Aspekt des Gehirn­schwun­des: Im gle­ich­nami­gen Lied geht es vor allem um das Vergessen.

Genau – oder anders gesagt: Es geht um das Ver­drän­gen der Real­ität. Was heute in Afghanistan abge­ht und wie die Welt­ge­mein­schaft darauf reagiert, ist absurd. Diese Absur­dität wiederum reizt und provoziert mich, die Aufmerk­samkeit erneut auf den Hirten­hund und seinen Hirten zu lenken, der durch das Opi­um einen Gehirn­schwund erfährt.

Manch­mal kann Gehirn­schwund etwas Vorteil­haftes sein: Man nimmt die eigene Real­ität nicht mehr wahr.

Für den betrof­fe­nen Hirten ist das sich­er so. Für den Hund ist es eine andere Sache. Er real­isiert Alles und beobachtet, wie sein Her­rchen die merk­würdig­sten Dinge tut.

Dänke bim schänke – auch hier geht es um Absur­dität. Man beschenkt sich gegen­seit­ig. Zuerst wer­den nur kleine Aufmerk­samkeit­en aus­ge­tauscht, diese wer­den dann immer grös-ser und kost­spieliger, am Ende ver­schulden sich bei­de Parteien, weil sie sich gegen­seit­ig Villen und Sport­wa­gen schenken. Ein Teufels-kreis. Weshalb dieses The­ma?

Ansatzweise habe ich sel­ber ein­mal eine solche Geschenke­s­pi­rale durchgemacht. Meine Nach­barn und ich, wir haben uns eine Zeit­lang beschenkt. Zuerst haben wir uns gegen­seit­ig zum Aben­dessen ein­ge­laden, später kamen immer neue Geschenke hinzu. Das ganze ging weit­er und weit­er, bis es zur Qual wurde. Diese Erfahrung habe ich in diesem Lied niedergeschrieben. Natür­lich ist der Text mas­siv über­spitzt. Doch dank dieser Ironie nähere ich mich den Gren­zen des Zusam­men­seins und Daseins. Ich komme mit den damit ver­bun­de­nen Absur­ditäten in Berührung. Diese the­ma­tisiere ich übri­gens auch im Lied «Brot», wo ich das Ver­hal­ten der Men­schen gegenüber ihren Äng­sten auf­greife. Pho­bi­en gibt es heutzu­tage mehr als je zuvor: Es gibt die Angst vor Spin­nen, vor Krankheit­en, vor grossen und kleinen Plätzen… Es sind Prob­leme unser­er Luxu­s­ge­sellschaft. Sie kann sich solche Pho­bi­en leis­ten.

In deinen Liedern durch­brichst du diese Spi­ralen immer wieder, zum Teil auch sehr abrupt.

Das ist Absicht, zumal ich es schade finde, wenn sich eine Idee lin­ear durch einen Song durchzieht. Die Hörerin­nen und Hör­er stellen dann meist bei der vierten Stro­phe fest, wie das Lied aus­ge­ht. Deshalb vol­lziehe ich in fast jedem mein­er Lieder eine abrupte Kehrtwende. Ich gehe in die ent­ge­genge­set­zte Rich­tung und durch­breche den Fluss.

Wie reagiert das Pub­likum darauf?

Unter­schiedlich. Es gibt Leute, die meine Songs gar nicht mögen, andere wiederum krüm­men sich vor Lachen.

Lachen ist bekan­ntlich gesund. Ste­ht das nicht im Wider­spruch zu deinem Kurs?

Das Lachen und der Humor in meinen Stück­en ist eine Finte. Mir geht es nicht darum, die Leute zu unter­hal­ten. Ich möchte sie mit ern­sten The­men kon­fron­tieren. Den Zugang zu ihnen ver­schaffe ich mir über den Humor: Bist du lustig, hören dir die Leute zu. Ein uraltes Prinzip, das bere­its die Hof­nar­ren in den Schlössern prak­tizierten.

Anton – ein bekan­nter Kopf

Anton Brüschweil­er ist Kom­pon­ist, Lie­der­ma­ch­er und Kolum­nist sowie Co-Leit­er des Kul­turzen­trums Alti Chäsi Gysen­stein. Bekan­nt wurde er durch die Zusam­me­nar­beit mit Grup­pen wie Pünk­tchen und Anton, Anton and the Head­clean­ers, Rain­dogs, Flash­gar­den und Die Hellen Bar­den.

Foto: zVg.
ensuite, Novem­ber 2010

Artikel online veröffentlicht: 9. Dezember 2018