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Hut ab und zugehört

Von Anet Häc­ki - Strassen­musikan­tInnen kön­nen ner­ven, und das nicht zu knapp. Am schlimm­sten ist es für die Angestell­ten von Maroni- oder Glacéstän­den. Die arbeit­en den ganzen Tag draussen auf der Gasse und auf ein­mal ste­ht da ein Mann oder eine Frau oder ein Kind und trällert und pfeift und häm­mert auf irgen­deinem unschuldigen Instru­ment herum, den ganzen Tag das­selbe Lied, immer wieder die gle­ich Melodie, immer wieder falsch, und wieder von vorne, zwis­chen­durch wird mit dem Hut gewedelt, die unfrei­willi­gen ZuhörerIn­nen an den Stän­den wür­den am lieb­sten ihren gesamten Tage­sum­satz opfern, wenn nur endlich! dieser unglaubliche Lärm aufhören würde. Es geht aber auch anders. Lauer Som­mer­wind, gemütlich­er Stadt­bum­mel, von Weit­em die Töne ein­er faszinieren­den Melodie, welche die Füsse zu sich her­lockt, das Ohr ver­wöh­nt, das Pub­likum nicht mehr weit­erziehen lässt. Und nach jedem Stück ein neues ken­nt. Und zwis­chen­durch höfliche Pausen macht, damit die Herge­lock­ten wieder ent­fliehen kön­nen — wenn sie denn möcht­en. Im Win­ter ist die Strassen­musik ausser­dem das einzige ver­lässliche Zeichen dafür, dass Wei­h­nacht­en her­an­rückt. Erst wenn die Heil­sarmee sich unter den Lauben ver­sam­melt, muss mit dem Geschenkekauf und Kartengeschreib­sel begonnen wer­den. Die ersten Wei­h­nachts­bäume ste­hen bere­its kurz nach Hal­loween in den Geschäften, sind also kein Anhalt­spunkt mehr.

Das diesjährige 1. Inter­na­tionale Strassen­musik­fes­ti­val in Bern will jedoch wed­er an einen Feiertag erin­nern noch unschuldige Instru­mente quälen oder GlacéverkäuferIn­nen ner­ven. Es soll ein jährlich wiederkehren­des Stadt­fest wer­den, so das Ziel der Ini­tiantinnen. Das „Buskers“-Festival geht diesen Som­mer zum ersten Mal in der Bun­de­shaupt­stadt über die Bühne — in diesem Fall: über die Strasse. Ähn­liche Anlässe find­en sich bere­its auf der ganzen Welt, so etwa in Edin­burgh, Fer­rara, Avi­gnon und seit 15 Jahren sog­ar Neuchâ­tel. Höch­ste Zeit also, dass auch in unserem Städ­tle das Image der Strassen­musikan­ten (Buskers eben) auf­poliert wird. Dies geschieht allerd­ings nicht mit der Heil­sarmee und anderen wohlbekan­nten (Un-)Klängen, son­dern mit 26 hochkaräti­gen Grup­pen aus aller Welt, welche ihr Kön­nen während drei Tagen auf 24 Plätzen der Alt­stadt Bern zum Besten geben. Da wird neben tra­di­tioneller mon­golis­ch­er Musik auch eine Seil­tanz­gruppe aktiv und a capel­la gesun­gen.

„Die Ferien kom­men nach Bern!“, ver­spricht eine Wer­bekarte des Fes­ti­vals. Eine nette Entschädi­gung also für alle, welche den Som­mer statt in Indi­en, Spanien oder der Mon­golei in der Haupt­stadt ver­brin­gen. Auch lokale Grup­pen haben dies­bezüglich einiges zu bieten, die ein­ge­lade­nen Buskers stam­men zu rund der Hälfte aus der Schweiz. „Bei uns treten fast auss­chliesslich pro­fes­sionelle Musik­erIn­nen auf!“, freut sich Chris­tine Wyss, eine der bei­den Ini­tiantinnen des Pro­jek­tes. Ver­ant­wortlich für die Auswahl der Grup­pen war ihre Schwest­er Lisette Wyss, selb­st pas­sion­ierte „Buskerin“. Seit mehreren Jahren besucht sie mit einem Sax­ophon­quar­tett ver­schiedene Fes­ti­vals im In- und Aus­land, was sie auf die Idee brachte, selb­st auch einen solchen Anlass zu organ­isieren. „Bern eignet sich von der Kulisse her per­fekt“, ist Chris­tine überzeugt.

Organ­isiert wird der Anlass haupt­säch­lich von den bei­den Schwest­ern, unter­stützt von einem Kern­team und weit­eren 30 frei­willi­gen HelferIn­nen pro Tag. „Wir mussten bei Null anfan­gen“, erk­lärt Chris­tine, „das näch­ste Mal wird sich­er einiges ein­fach­er“. Hil­fre­ich waren die vie­len Beziehun­gen zu anderen, ver­gle­ich­baren Fes­ti­vals. So kön­nen einige inter­na­tionale Grup­pen nur einge­flo­gen wer­den, weil sie eine Woche später auch in Neuchâ­tel auftreten und die Kosten geteilt wer­den. Bei der Auswahl der Grup­pen war Lisette’s eigene Buskers-Erfahrung eben­falls hil­fre­ich. „Unser Herz schlägt für die Kleinkun­st und ein bre­ites Spek­trum an Musik“, erk­lärt Chris­tine die per­sön­liche Moti­va­tion für den grossen organ­isatorischen Aufwand. Wichtig sei ihnen, ein viel­seit­iges aber qual­i­ta­tiv gutes Fes­ti­val zu bieten. Der Buskers-Anlass will die gesamte Bern­er Bevölkerung ansprechen. Daher wird mit Fig­urenthe­ater und Pup­pen­show auch ein Kinder­pro­gramm geboten und auf der Mün­ster­plat­tform Vor­führun­gen von Jugendlichen gezeigt, organ­isiert vom Trägervere­in für offene Jugen­dar­beit der Stadt Bern. Um das herge­lock­te Pub­likum möglichst lange bei Laune zu hal­ten, bietet das Fes­ti­val ausser­dem nicht nur einen Ohren­son­dern auch einen Gau­men­schmaus. Passend zu den inter­na­tionalen Grup­pen wer­den auf dem Mün­ster­platz ver­schieden­ste Verpfle­gungsstände aufge­baut. Und wem das noch immer nicht genügt, die oder der darf nach Mit­ter­nacht — wenn die Instru­mente auf den Strassen und Plätzen ver­s­tummt sind — unter dem Dach des Korn­haus­es im „Busker­shaus“ weit­er­feiern. Wer hinge­gen vom Gezeigten über­haupt nicht begeis­tert ist, kann ganz ein­fach die Strassen­seite wech­seln. Die Buskers wer­den allerd­ings darum besorgt sein, den Herge­lock­ten zu gefall­en: Wie bei der alltäglichen Strassen­musik sorgt das Pub­likum mit seinem „Hut­geld“ für den Lohn, dies ist bei Buskers so üblich. „Es gibt Leute, die son­st eine ziem­lich grosse Gage kriegen“, meint Chris­tine nicht ohne Stolz. Pas­sion­ierte Strassen­musik­erIn­nen, welche näch­stes Jahr auch gerne mit­machen und nicht nur zuguck­en oder ‑hören möcht­en, kön­nen sich übri­gens beim Organ­i­sa­tion­steam melden. Die Auswahlkri­te­rien sind aber streng: Ein einziges Lied zu flöteln genügt nicht, schliesslich wollen die Schwest­ern Wyss keinen Krach mit GlacéverkäuferIn­nen.

 www.buskersbern.ch

Bild: Lukas Vogel­sang
ensuite, August 2004

Artikel online veröffentlicht: 14. Juni 2017