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Hyperrealistische Fleischschau

Die Frühabend­sonne strahlt noch höch­stens eine halbe Stunde durch das Schaufen­ster der kle­in­sten Galerie Zürichs. Fast ist es, als würde sie direkt in einen über­grossen Trauben­zweig scheinen, der hin­ter den Scheiben hängt. Seine gel­b­grü­nen Früchte leucht­en, das Wass­er span­nt ihre Haut, drückt die Fasern nach aussen, bald platzen sie. Kön­nte man sich nicht mit eige­nen Augen überzeu­gen, dass beim Näherge­hen nur noch feine Pin­sel­striche und Punk­te zu sehen sind, wäre man sich sich­er, es hier mit einem Foto­print zu tun zu haben. Doch es ist Öl auf Lein­wand. Öl riecht bess­er als Acryl, find­et der Kün­stler. Und mit der Inten­siv­ität der Ölfarbe gelingt ihm das Trompe‑l’oeil.

Motive platzen vor Zunei­gung

Der Zürcher Christoph Eber­le eröffnete am Mittwoch seine Einze­lausstel­lung «Oel­bider: Stilleben vs. Land­schaften» im Kun­stRaum R57 in Wip­kin­gen. Zur Vernissage trägt er sein Ausstel­lungs­gesicht, wie er erk­lärt: glänzende Glatze zu akku­ratem Hen­ri­qua­tre-Kinnbart, Augen­lin­sen, weiss­er Kra­gen. So präzise wie seine Kun­st. Der 44-Järige fotografiert, wenn er im All­t­ag den Drang hat, etwas festzuhal­ten. Und bei eini­gen Fotografien will er dann sehen, was mit ihnen passiert, wenn er sie malt. Er ver­grössert sie stark auf dem Com­put­er und malt sie so hyper­re­al­is­tisch und detail­liert, dass am Ende jedes Motiv vor Zuwen­dung zu platzen scheint: Gräs­er, so majestätisch wie Säulen, Apfel­blüten wie Iko­nen, Kirschto­mat­en zum Anbeis­sen. Stil­lleben vor reduziertem Hin­ter­grund, von dem sich die Objek­te mono­lithisch abheben.

Gegenüber hängt ein Kotelett, das «Côtelette». Wie es da prangt, auf 90 mal 30 Zen­time­ter, ekelt und provoziert es zugle­ich, zieht fasziniert-angewiderte Blicke auf sich. Alles ist vorhan­den, genauer als man es je betra­chtet hat: Die Stelle, wo die Faser­s­tum­meln des abgesägten Knochens abste­hen, das offene Ende eines bluti­gen Äderchens, die Höh­le, die den Eingewei­den Raum gibt, ein weiss­er Pelz, das Fett. Man weiss nicht, wohin mit diesem feucht glänzen­den Kör­p­er. Laut dem Kün­stler, sind Veg­e­tari­er begeis­tert von dem Gemälde.

Licht als tra­gen­des Ele­ment

Licht ist ein tra­gen­des Ele­ment in den Werken Eber­les. Schon in früheren Werken, wo Dunkel­heit und Unschärfe die Kon­turen ver­wis­cht­en. Doch wie das Licht die Objek­te stre­ichelt, wie es erst den Kör­p­er zum Kör­p­er wer­den lässt, welch­es Kör­perteil es betont und welch­es in Schat­ten ver­schwindet, zieht sich als The­ma durch seine Werke.

Auf Öl geban­nte, hyper­re­al­is­tis­che Stil­lleben mit natür­lichem Licht, im Sekun­den­schlag ein­er Fotoauf­nahme ent­standen, sind in der aktuellen Ausstel­lung des Kun­stRaum R57 zu sehen sowie reduzierte Land­schafts­bilder und seit Neustem auch lich­tum­spielte Porträts von Men­schen. Das Architek­turstudi­um des Kün­stlers scheint sich in sein­er Kun­st zu zeigen: Die Liebe zu Kör­per­schaften und ihrer Bauart.

Die Lust zum Trompe‑l’oeil, zur Ver­führung der Augen zieht einen in den Kun­stRaum R57. Mehr nicht. Die Bilder beein­druck­en, anrühren kann jedoch nur das Fleisch, dank dem aktuellen Diskurs um veg­e­tarische Lebensweise.

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