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“Ich bin ein fürchterlich verzettelter Mensch”

Von Guy Huracek — Wal­ter Andreas Müller ist Schaus­piel­er, Radiomod­er­a­tor und Par­o­dist ver­schieden­er Poli­tik­er. Mit Guy Huracek spricht er über seine Rolle als Blocher, Fernse­hen und The­ater.

Guy Huracek: Herr Müller, wie ist es, Blocher zu sein?

Wal­ter Andreas Müller: Sehr angenehm. Natür­lich im Sinne des Par­o­dis­ten geant­wortet. Er ist eine Per­sön­lichkeit, die mir sehr gut liegt, auch phys­iog­nomisch. Man sagt mir, ich habe eine gewisse Ähn­lichkeit mit Her­rn Blocher. Es braucht daher rel­a­tiv wenig, um in diese Fig­ur zu schlüpfen. Das ist span­nend, polar­isiert, löst bei den Leuten Ver­schiedenes aus und es ist eine Par­o­diefig­ur, der man sehr viel in den Mund leg­en kann. Sehr viel mehr, als wenn ich als Bun­desrat Moritz Leuen­berg­er auftrete. Es ist daher inter­es­sant, dass der Approach (die Nähe) zum Pub­likum bess­er funk­tion­iert.

Guy: Spie­len Sie Blocher lieber als andere Bun­desräte?

Das kann man so nicht sagen. Nein. Ich sage immer: Die Fig­ur, die ich ger­ade spiele ist meine lieb­ste. Wie gesagt, Blocher ist die Bun­desrat­srolle, die mir optisch am meis­ten ent­ge­genkommt. Für die Maske habe ich hier am wenig­sten Schwierigkeit­en. Es gibt Leute, die find­en mich als Blocher grossar­tig, andere sagen, der Merz sei fan­tastisch gespielt usw. . Ich habe alle meine Par­o­di­en wahnsin­nig gern. Auch in meinem neuen Stück «Reifen, Cash und Pan­nen» – wo es primär keine Poli­tik­er sind – ist die Fig­ur, die ich ger­ade par­o­diere, meine lieb­ste.

Guy: Hat sich Christoph Blocher zu Ihrer Par­o­die geäussert?

Ja. Es ist tat­säch­lich so, dass es durchs Band Reak­tio­nen von Leuten gibt. Das Geheim­nis ist, dass wir ver­suchen, diesen Leuten nicht zu nahezutreten, bzw. dass wir sie nicht in die Pfanne hauen. Als Par­o­diefig­ur wollen wir ihnen zwar gerecht wer­den, uns ihnen satirisch und komö­di­antisch näh­ern, aber nicht so, dass wir sie ver­let­zen. Das hat die Kon­se­quenz, dass ich noch nie eine neg­a­tive Reak­tion von ein­er mein­er par­o­dierten Per­sön­lichkeit­en bekam. Ich hat­te sehr schöne Begeg­nun­gen, sowohl mit Christoph Blocher als auch mit den Bun­desräten Merz oder Leuen­berg­er.

Guy: Sie sagten «wir ver­suchen». Wer ist alles damit gemeint?

Ich meine mit dem «wir» die Autoren, die mir meine Texte schreiben. Ich bin nicht wie Gia­cob­bo, der seine Texte selb­st ver­fasst (schmun­zelt). Ich beze­ichne mich als rekreativ­en Kün­stler, der Mate­r­i­al braucht, um etwas draus zu machen.

Guy: Welch­er der Bun­desräte ist für Sie am schwierig­sten zu spie­len?

Das hängt immer ein biss­chen mit der Maske zusam­men. Ich sage immer die Maske ist in einem gewis­sen Grad 50 Prozent der Par­o­die. Wenn ich eine Maske habe, die optisch nicht stimmt, dann kann ich mich noch so anstren­gen eine Per­son zu imi­tieren. Ich bin ja kein Stim­menim­i­ta­tor, son­dern jemand, der von der Schaus­piel­erei her kommt. Ich will die Fig­uren möglichst authen­tisch verkör­pern, also auch optisch. Es ist so, dass ich, um Bun­desrat Merz zu wer­den, zweiein­halb Stun­den brauche. Die Schwierigkeit liegt dort, wo die Maske ein­er Fig­ur rel­a­tiv schwierig herzustellen ist. Am ein­fach­sten ist es bei ein­er Fig­ur – ich komme wieder auf Alt-Bun­desrat Blocher zurück – die rel­a­tiv leicht zu machen ist. Um Blocher zu wer­den, kann ich mich selb­st schminken.

Guy: Sie sagten, die Maske mache 50 Prozent Ihrer Par­o­die aus. Die übri­gen 50 Prozent sind ein­fach Ihre schaus­pielerische Fähigkeit?

Ja. Das «ein­fach» stört mich ein­fach ein biss­chen an dieser Frage (begin­nt zu lachen, tätschelt meine Hand). Nein, nein – ist gut, ich weiss, was sie meinen und nehme sie nur auf den Arm. Das bringt mich aber auf etwas Anderes. Viele Leute meinen, ich schüt­tle das ein­fach so aus dem Ärmel, so zack­za­ck, und das ist es natür­lich nicht. Man muss die Fig­uren studieren: ihre Sprache, ihre Gestik, ihre Bewe­gun­gen, Out­fit usw. . Daher sind die 50 Prozent ein sehr wichtiger Anteil. Es hängt sehr von der jew­eili­gen Rolle ab. Beispiel­sweise bei Bun­desrat Couchep­in (der ist so um die 1.95 Meter gross) brauchte ich sog­ar Koturne, und man musste mir das Kostüm ausstopfen, ich war auch hier über zwei Stun­den in der Maske für die Glatze, die kün­stliche Nase und Ohren. Beim ihm spielte die Maske ein grosse Rolle, und dann genügt es nicht, wenn ich (begin­nt mit tiefer Stimme und franzö­sis­chem Akzent Chouchep­in zu imi­tieren) so spreche, wie er gesprochen hat.

Guy: Wie haben Sie sich in die Rolle Blocher ein­gelebt?

Bei Blocher war dies ein Spezial­fall. Der ist mir im Prinzip zuge­flo­gen. Bei ihm hat­te ich über­haupt keine Prob­leme. Die Rolle lag mir von Anfang an. Natür­lich habe ich auch eine zeit­lang Videos von ihm geschaut und die typ­is­che Hal­tung von ihm studiert. Aber der Rest, seine Sprache oder sein Ausse­hen (begin­nt Blocher zu par­o­dieren) – das liegt mir sehr gut.

Guy: Sie machen Fernse­hen, Radio und The­ater. Was gefällt Ihnen am meis­ten?

Das ist schwierig zu sagen. Ich bin ein furcht­bar ambiva­len­ter und bre­it­ge­fächert­er Men­sch. Es ist für mich unglaublich schw­er, Vor­lieben oder irgendwelche speziellen Dinge zu definieren. Wenn man mich fragt, was mein Lieblingsessen, Lieblingswein oder Mot­to ist, dann komme ich immer ins Schleud­ern. Es gibt so unendlich viel, was ich gern habe. Das The­ater ist zwar meine Wurzel, meine Heimat, wo ich let­z­tendlich herkomme, nach mein­er so genan­nten ser­iösen Beruf­saus­bil­dung als Ver­lagskauf­mann. Das Fernse­hen ist die Sparte, die wir für die Pop­u­lar­ität brauchen, um bekan­nt zu wer­den, damit schlussendlich die Leute ins The­ater kom­men, um uns live zu sehen. Das Radio war für mich als junger Schaus­piel­er etwas, wom­it ich Geld ver­di­enen kon­nte, denn vom Kleinthe­ater an der Winkel­wiese kon­nte ich nicht leben. Ursprünglich war das Radio ein­fach eine Geldquelle, aber es wurde für mich zum Faszinierend­sten, was man machen kann. Es ist was total Anderes. Man ist allein im Stu­dio und spricht zu einem unbekan­nten Pub­likum. Im Radio spreche ich let­z­tendlich mit jeman­dem, von dem ich nicht weiss, wie er aussieht und was er macht. Zudem hat das Radio unglaublich viele Möglichkeit­en. Man ist als Mod­er­a­tor nicht mehr wie früher ein ausüben­des Glied in ein­er Kette von Tech­nikern und Redak­toren. Heute ist man als Mod­er­a­tor wie ein Pilot im Cock­pit. Mut­tersee­le­nallein. Alle diese Tätigkeit­en haben für mich eine unge­heure Fasz­i­na­tion, und ich kön­nte jet­zt nicht Noten für ein Gebi­et verteilen, dass mir am besten gefällt. Ich bin ein fürchter­lich verzettel­ter Men­sch.

Guy: Die Serie «Fascht e Fam­i­lie» …

(senkt den Kopf und begin­nt zu lachen) Das haben sie jet­zt so lustig gesagt, da kommt mir ger­ade eine Anek­tote in den Sinn.

Guy: Ver­rat­en Sie es mir?

Ein klein­er Junge kam mal auf mich zu und sah mich mit grossen Augen an. (Mit hoher kindlich­er Stimme) «Gäu du spielsch ir FASCHTEN Fam­i­lie?» Der kleine Bub sagte also «Fas­ten», und Ihre Frage hat mich ger­ade an diese Szene erin­nert.

Guy: (lacht) Ich bin froh, dass ich Sie an einen kleinen Jun­gen erin­nere. Aber fahren wir fort. Die Serie war ja rel­a­tiv erfol­gre­ich ...

Rel­a­tiv? Es war die erfol­gre­ich­ste Sit­com des Schweiz­er Fernse­hens. Über 1.3 Mil­lio­nen Zuschauer am Fre­itagabend. Es war der absolute Quoten­ren­ner und wurde bis jet­zt nicht übertrof­fen.

Guy: Somit sind wir bei mein­er Frage: Wieso wurde die Quote nie mehr erre­icht?

Hmmm. Das ist eine schwierige Frage. Da stosse ich auch an ein gross­es Frageze­ichen. Es kön­nte unter anderem daran liegen, dass «Fascht e Fam­i­lie» die erste Sit­com von SF war. Ganz generell gesagt hat­ten wir opti­male Bedin­gun­gen: kom­fort­able Pro­duk­tion­szeit­en, einen fan­tastis­chen Autor, her­vor­ra­gende Regis­seure, ein wun­der­bares Ensem­ble und eine Sto­ry, die von den Fig­uren her für jeden etwas brachte. Von der Gross­mut­ter bis zum Tee­nie, es hat­te jed­er Zuschauer seinen Liebling. Let­z­tendlich kann man es in einem Satz sagen: Es hat ein­fach alles gepasst. Warum man diese Quote nicht mehr erre­ichte, das kann ich offen gesagt nicht sagen.

Guy: Wenn Sie unendliche Geld­mit­tel zur Ver­fü­gung hät­ten – was wür­den Sie pro­duzieren?

Ich habe kein konkretes Pro­jekt, aber ich würde das Geld in eine gute Komödie investieren. Unser gross­es Prob­lem ist es, dass uns finanziell die Hände gebun­den sind. Es sind im Moment so viele Pro­duk­tio­nen unter­wegs, dass es langsam schwierig wird, die Leute ins The­ater zu brin­gen. Daher würde ich das viele Geld für eine enorme Wer­bekam­pagne aus­geben. Oder vielle­icht würde ich auch einen Kinofilm pro­duzieren.

Guy: Nicht nur The­ater­pro­duk­tio­nen haben es schw­er. Der Schweiz­er Bin­nen­markt ist rel­a­tiv klein. Deutsche Pro­duk­tio­nen, die einen wesentlich grösseren Absatz­markt haben, wer­den auch in der Schweiz aus­ges­trahlt. Kann sich eine schweiz­erische Serie in Mundart etablieren?

Sie kann sich schon etablieren. Aber wir haben nur einen wahnsin­nig kleinen Markt. Man darf nicht vergessen, wir pro­duzieren nicht ein­mal schweizweit. Wir pro­duzieren deutschschweizweit. Das macht es enorm schwierig, Mit­tel zu bekom­men. Ich meine, nie­mand gibt gerne für eine Pro­duk­tion eine halbe Mil­lion Franken aus, wenn er in Zürich nur 20 000 Leute erre­icht. Aus­nah­me­fälle gibt es, wie zum Beispiel die Nieder­dor­fop­er oder «Ewi­gi Liebi». Aber dahin­ter ste­hen ein­er­seits mutige Leute und ander­er­seits Leute mit viel Geld. Und dort zeigt sich ganz klar: Die Wer­bung hat funk­tion­iert.

Guy: Stirbt das The­ater aus?

Nein. Das The­ater stirbt sich­er nie aus. Es ist etwas, was die Leute brauchen. Das unmit­tel­bare Erleb­nis, das Live-Erleb­nis, das ist immer noch etwas, was die Leute anzieht. Man kann es mit einem Pop-Konz­ert ver­gle­ichen. Es ist ein gross­er Unter­schied, ob ich von den Rolling Stones eine CD kaufe oder sie live anschauen gehe.

Guy: Sie ste­hen als Kün­stler im Ram­p­en­licht. Ist es nicht schwierig, sein Pri­vatleben von der Öffentlichkeit zu tren­nen?

Ver­ber­gen oder Tren­nen?

Guy: Tren­nen.

Gut. Nein. Ich sage immer, es ist eine Grat­wan­derung, wom­it man als öffentliche Per­son umge­hen muss. Ich bin kein Men­sch, der all seine Prob­leme oder Ver­an­la­gun­gen an die grosse Glocke hängt. Aber auf der anderen Seite hat das Pub­likum auch ein Anrecht auf eine gewisse Offen­heit. Aber auch ich habe meine Pri­vat­sphäre.

Foto: Chris­t­ian Hark­er
ensuite, März 2010

Artikel online veröffentlicht: 14. Oktober 2018