Von Luca D’Alessandro — Die trashig-analoge Klangästhetik der 60er und 70er haben es Roberto Di Gioia alias Marsmobil angetan. Der Multiinstrumentalist und Vollblutmusiker aus München liefert mit seinem Album «(Why Don’t You Take) The Other Side?» Einblicke in seine fantastische Welt. Pop, Rock und Psychedelica-Sound der 60er bilden die Ingredienzien für Di Gioias Klangbild. Als Hobbykoch komponiert er aber nicht nur Musik …
… sondern?
Auch Rezepte. Ich koche fürs Leben gern.
Eine Leidenschaft, die sich in Deiner Musik niederschlägt.
Ganz recht. Da kommt mir eine Geschichte in den Sinn. Darf ich?
Ich bitte darum.
Eines Abends, anlässlich einer Recording Session in Wien mit den beiden Produzenten Peter Kruder und Christian Prommer, stand ich in der Küche und bereitete ein Tomatensugo vor. Im Nebenzimmer hörten sich Peter und Christian ein paar Platten an; sie mussten sich auf einen Auftritt in einem Wiener Klub vorbereiten. Während also der Knoblauch vor sich hin brutzelte, vernahm ich unerwartet einen Sound, der mir buchstäblich unter die Haut ging. Er klang ein bisschen wie ABBA … (Roberto singt eine Melodie) … es war das Lied «Patience» von Supermayer, kennst Du das?
Ist mir nicht bekannt.
Wie dem auch sei: Ich skizzierte mir die Melodie auf eine Serviette, die ich in der Hosentasche zum Schnäuzen hatte (lacht) und stürzte mich hinunter ins Studio.
Und das Essen?
Das köchelte ruhig vor sich hin. Im Studio spann ich die Idee weiter. Als ich später beim Essen Christian und Peter davon erzählte, zeigten sie sich zunächst wenig beeindruckt. Ich verfolgte die Idee weiter, bis ich ein paar Tage später meine eigene Version von «Patience» im Kasten hatte.
Der Titel wird auf Deinem neuen Album zu hören sein.
Ja, dieses erscheint im April.
Zum Einen inspirierst Du Dich am psychedelischen Sound der 60er, zum Anderen schlägst Du mit Deinem Künstlernamen Marsmobil eine Brücke in die Welt des Science-Fiction. Wer bist Du eigentlich?
Ich bin ein komplett unvoreingenommener Mensch, der sich begeistern lassen kann: sowohl von einem netten Menschen, der mich am Flughafen grüsst, als auch von einem Arme-Leute-Essen in Italien. Ich stehe auf einfache Dinge. Alles, was ich mache, muss reduziert und zugleich konzentriert sein. Ein Musikstück von Bach zum Beispiel, klingt einfach, ist es aber nicht! Es ist auf seine Art verständlich und transparent. So verhält es sich auch in meiner Musik …
… die sich seit Deinem ersten Album «Strange World» stark verändert hat.
Manchmal bin ich zu wechselhaft. In der Vergangenheit habe ich viele Konzepte verändert und bewegt. Doch inzwischen empfinde ich das nicht mehr als Laster, sondern als Vorteil. Ich bin stets in Bewegung.
Es ist also nicht die Musik, die zeitlos ist, sondern Du bist es.
Na ja, ich bin sehr konservativ (lacht). Was ich einmal für gut befunden habe, möchte ich mir selbst bewahren. Ich verfolge aber auch einen fortschrittlichen Gedanken: Täglich bemühe ich mich, etwas Neues zu entdecken. Wenn ich eine Vorstellung spüre, ist sie noch nicht Realität. So gesehen, arbeite ich zukunftsorientiert.
Diese Eigenschaft steckt im Namen «Marsmobil» drin.
Den Namen habe ich seit elf Jahren. In der Zwischenzeit habe ich mich persönlich weiterentwickelt. Ein Namenwechsel stand dennoch nie zur Diskussion. Warum auch? Marsmobil geht gut von der Zunge, die Leute kennen ihn.
Steckt nicht mehr hinter diesem Begriff?
Ich habe mir nie grosse philosophische Gedanken darüber gemacht. Marsmobil vereint in sich meine visionäre Charaktereigenschaft: Was passiert, wenn ich dieses und jenes Element zusammenfüge? Wie kann ich mit neuen Zutaten einen mir sehr persönlichen Sound generieren? Einen Sound, den ich selbst nicht kenne? Da beginnt für mich die Zukunft.
Das ist ein bisschen wie kochen.
Ja, verschiedene Ingredienzien ergeben ein Menü.
Und dieses soll möglichst einfach sein.
Was mir an der Musik gefällt, ist die Transparenz – nichts Verschnörkeltes. Was aber nicht heisst, dass ich Schnörkel nicht gut finde. Grundsätzlich schmeckt mir ein einfach gekochtes Essen besser, als eines, das mit wenig Liebe, aber mit unzähligen Zutaten zubereitet wurde. Das macht auf mich den Eindruck, man wolle etwas kaschieren. Wenn du in ein Restaurant gehst, merkst du an der Tischdekoration oder am Licht, ob hier mit Liebe gekocht wird.
Deine Mutter ist aus Deutschland, dein Vater Italiener. Deine Musik lässt sich teilweise dem Psychedelica-Sound der 60er zuordnen. Inwie-fern hast Du Dich von der Musik aus der römischen Filmeküche Cinecittà beeinflussen lassen?
Ziemlich stark. Ich bin vom italienischen Kino der 50er und 60er angetan. Mich inspirieren die Bilder und Stimmungen, die von diesen Filmen ausgehen, und wie sie von den Filmmusikern Ennio Morricone, Armando Trovajoli, Piero Umiliani bis hin zu Federico Fellini gesehen werden: Amarcord ist ein Film mit vielen Fragmenten, der genau wegen die-ser Fragmente ewig fortgesetzt werden könnte. Und genau so betrachte ich meine Musik: Sie besteht aus kleinen Momenten und Stimmungen, die in ihrer Gesamtheit ein Bild ergeben.
Stimmungen, wie sie aus den Western-Filmen von Sergio Leone und der Musik von Ennio Morricone bekannt sind.
Ja. Ich habe Morricone in Wien gehört und während des Konzerts fast nur geweint. Die Stimmung hat mich in ihren Bann gezogen. Wie sich Morricone am Ende verbeugte, kaum lächelnd … Er ist eine Ikone! Der Klangkörper aus dem Film «C’era una volta in America» fasziniert mich.
Nehmen wir das Stichwort «Bild» nochmals auf. Wenn Du von Deiner neuen CD ein Bild malen müsstest, wie sähe das aus?
Es entspräche einem Gemälde, wie wir es vom britischen Maler und Fotografen David Hockney kennen. Hockney hat aus Polaroid-Bildern Collagen gemacht. Zum Beispiel hat er Teile von einem Kopf eines Menschen fotografiert, und die einzelnen Polaroids verschoben zu einem Gesamtbild zusammengeführt. Dabei sind ganz merkwürdige Formen entstanden – eine übergeordnete Perspektive, sozusagen. Ähnlich wie auf meiner Platte.
Der Albumtitel «(Why Don’t You Take) The Other Side» suggeriert aber einen Perspektivenwechsel.
Ja, am Ende ist es aber erneut eine Perspektive. Oft stelle ich mir die Frage: Was ist die andere Seite? Stehe ich immer auf der gleichen Seite, oder kann ich mich nicht selbst einmal von aussen betrachten, um meine Wahrneh-mung im richtigen oder falschen Moment zu ändern? Mit diesen Fragen beschäftige ich mich zurzeit. Im Übrigen beginnt und endet mein Album mit dem Satz: «Why Don’t You Take The Other Side». Der Satz bildet das Leitmotiv des Albums: den Rahmen des Bildes. Im Innern des Bildes befinden sich Fragmente wie Liebe, Männer, Frauen, Essen, Bilder, all das, was uns das Leben bietet.
Sind die Fragmente aufeinander abgestimmt?
Es kommt auf die Betrachtungsweise an: Aus rhythmischer und akustischer Perspektive ist das Lied «Ordinary Boy» ein Happysong. Ihm liegt aber ein wahnsinnig krasser negati-ver Text zugrunde. «Ordinary Boy» handelt von einen Taugenichts, der ein Held sein will, es aber nicht sein kann, weil er sein Leben nicht kapiert. Er versteht die Dinge nicht, zumal er leicht unterdurchschnittlich begabt ist. Das spiegelt manchmal mich ein bisschen wieder. Dennoch schaffe ich es, dank des Perspektivenwechsels mich so zu akzeptieren, wie ich bin – trotz meiner Fehler.
So unbegabt bist Du nun auch wieder nicht. Es gibt wohl kaum ein Instrument, das Du nicht spielst.
(lacht) Ich bin kein gutaussehender Superstar, der fehlerfrei lebt und irgendwelche Liebesaffären hat. Ich bin ein «Ordinary Boy».
Ein gewöhnlicher Mann, der mit «ganz gewöhnlichen» Produzenten arbeitet. Unter Anderem mit Rolling Stones Saxophonist Tim Ries.
Das war vor sieben Jahren, als die Stones in München gastierten. Tim Ries produzierte parallel zur Tournee ein Tribute Album: «Music Of The Rolling Stones». Damals wurde ich angefragt, ob ich bereit wäre, in einem Münchner Studio mit Charlie Watts ein Lied einzuspielen.
Weshalb kam Ries ausgerechnet auf dich?
Ich kannte ihn aus meiner Zeit in den USA. Als er mit den Stones nach München kam, erinnerte er sich an mich. So kam es am Ende zu dieser Zusammenarbeit.
Dein erstes Album «Strange World» erschien fast gleichzeitig bei ACT Music. «(Why Don’t You Take) The Other Side» wird bei Compost verlegt. Weshalb der Labelwechsel?
ACT ist auf Jazzmusik spezialisiert. Meine jetzige Musik hat nur am Rande etwas mit Jazz zu tun. Ich würde sie eher dem psychedeli-schen Folk zuordnen. Post-Prog-Rock-Musik, die bei ACT genauso falsch wäre wie bei einem Klassiklabel. Natürlich habe ich ACT-Labelmanager Siggi Loch mein neues Konzept vorgelegt, er legte mir aber erwartungsgemäss nahe, es bei einem anderen Label zu versuchen. So kam ich zu Compost …
… und hoffentlich auch bald zum Abendessen. Ich hoffe, ich habe Dich nicht zu lange aufgehalten.
Nein, überhaupt nicht (lacht).
Was gibt’s zum Essen?
Ich habe Gäste eingeladen. Vorgesehen ist ein weisses Pesto, bestehend aus Ricotta, gebratenen Wallnüssen und Pinienkernen, Pecorino- und Parmesankäse, frischem Basilikum, feinem sizilianischem Olivenöl und Tortiglioni. Meersalz, Pfeffer und ein klein wenig Knoblauch. Dazu gibt es einen Canonau.
Einen was?
Einen sardischen Rotwein. Und bei dir?
Pastetli.
Foto: zVg.
ensuite, März 2009